Jetzt kommen Diesel-Fahrverbote in Deutschland

Die Urteile in Düsseldorf und Stuttgart haben Bestand: Bundesverwaltungsgericht in Leipzig macht Weg frei für Fahrverbote.

(*Update: Deutsche Polizeigewerkschaft sieht keine Kapazitäten für Kontrolle der Fahrverbote; ÖAMTC und AK: Österreichische Städte weisen weniger Stickstoffdioxid-Belastung auf*)

Millionen Dieselauto-Fahrer können vielleicht bald nicht mehr unbegrenzt in Städten mit hoher Luftbelastung fahren. Das Bundesverwaltungsgericht erklärt die Diesel-Fahrverbote in Deutschland für rechtens: Damit dürfen deutsche Städte die Zufahrt untersagen oder Straßen sperren, wenn Grenzwerte von Stickoxid (NOx) in der Luft überschritten werden. Die Regelung gilt für ältere Fahrzeuge (Euro 4-Norm und davor) sofort, für Fahrzeuge der Klasse Euro-5 und jüngeren Datums ist eine Übergangsfrist bis Spätsommer 2019 vorgesehen.

Dieser Entscheidung folgend, könnte Diesel-Fahrzeugen die Einfahrt in 70 deutsche Städte verwehrt werden, in denen die von der EU gesetzten Grenzwerte regelmäßig überschritten werden.

Die Bundesregierung in Berlin müsse nun rasch die "blaue Plakette" einführen, die sauberen Diesel-Pkw die Zufahrt zu Städten erlaubt, sagte Jürgen Resch, Chef der Deutsche Umwelthilfe (DUH), in einer ersten Reaktion. Der Vertreter der Klagspartei erwarte sich zudem, dass die "betrügerische Fahrzeugindustrie" Diesel-Pkw raschestmöglich mit Schadstoff-Filtern nachrüstet.

Der Fall der Fahrverbote war am vergangenen Donnerstag mündlich verhandelt worden, das Urteil aber wegen Beratungsbedarfs des Gerichts verschoben worden.

Jetzt kommen Diesel-Fahrverbote in Deutschland
The managing director of the Deutsche Umwelthilfe (DUH, Environmental Action Germany) Juergen Resch (C) speaks with journalists in a courtroom of the Federal Administrative Court in Leipzig, eastern Germany, where judges pronounced their judgement on diesel driving bans on February 27, 2018. The top court ruled that cities were allowed to impose diesel driving bans to combat air pollution, in a landmark ruling that could shake up the auto industry and upend transport policies. Judges at the Federal Administrative Court in Leipzig found that local authorities have the right to enforce bans on older, dirty diesels, rejecting an appeal by the states of Baden-Wuerttemberg and North Rhine-Westphalia who said such curbs should be decided at the federal level. / AFP PHOTO / DPA / Sebastian Willnow / Germany OUT

Nach dem Urteilsspruch der Richter in Leipzig, müssen die Fahrverbote schnellstmöglich in Stuttgart, Düsseldorf und in weiteren Städten mit erhöhten NOx-Werten in Kraft treten. Die Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf hatten dies bereits verlangt und halten sie auch ohne zusätzliche Bundesregelungen im Straßenrecht für umsetzbar. Das bezweifelten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die deshalb die obersten Verwaltungsrichter anriefen.

Deren Urteile in Stuttgart und Düsseldorf seien allerdings nicht zu beanstanden, erklärte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher in Leipzig. Fahrverbote könnten verhältnismäßig ausgestaltet und umgesetzt werden. Die beklagten Städte müssten aber ihre Luftreinhaltepläne auf Verhältnismäßigkeit prüfen, urteilte das Gericht. Im Kern ging es um die Frage, ob die Länder eigenständig Fahrverbote anordnen können oder ob dies der Bund regeln muss.

Die Leipziger Richter erklären, Fahrverbote könnten auch ohne bundeseinheitliche Regelungen umgesetzt werden. Eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof sei nicht nötig.

Aktien der Autobauer fallen

Der Ausblick auf kostspielige Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen hat am Dienstag die Autowerte belastet. Die Aktien von Volkswagen weiteten ihre Verluste aus und fielen um 1,6 Prozent auf 162,82 Euro. Daimler und BMW verloren 0,3 bzw. 0,5 Prozent.

Einer Arbeitsgruppe unter Leitung des deutschen Verkehrsministeriums würde eine Nachrüstung von fast sechs Mio. Diesel-Fahrzeugen mit sogenannten SCR-Katalysatoren bis zu 10 Mrd. Euro kosten. Bisher lehnt die Autoindustrie den Umbau entschieden ab.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund bezeichnet es als „Irrglauben“, mit der Bestätigung von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge durch das Bundesverwaltungsgericht sei eine Lösung des Schadstoffproblems gefunden. Es sei ein falscher Eindruck, dass sich mit möglichst viel Regulierung und Verboten die Stickoxid-Belastung in den betroffenen Städten reduzieren lasse, sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das Urteil zu Diesel-Fahrverboten erhöht nach Auffassung von DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert den Druck auf Politik und Hersteller, §die längst überfällige Verkehrswende durchzusetzen§. Nun seien sie zu Maßnahmen gezwungen, um dreckige Diesel-Autos von den Straßen zu verbannen.

ÖAMTC: Konsumenten zahlen die Zeche

"Grundsätzlich kann es nicht sein, dass die Konsumenten für das Ausnutzen aller Spielräume bei der Abgasprüfung durch die Hersteller und auch für das Kontrollversagen der Politik die Zeche zahlen sollen", kritisierte Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung, die Auswirkungen des heutigen Entscheids. "Fahrverbote wirken für die betroffenen Dieselbesitzer wie eine Enteignung, weil die Fahrzeuge nicht mehr genutzt werden können", sagte Wiesinger in einer Aussendung.

Was die Auswirkungen des Urteils auf Österreich betrifft, so hält sowohl der ÖAMTC wie auch die Arbeiterkammer Fahrverbote für unwahrscheinlich: Die Stickstoffdioxid-Werte in deutschen Städten wie München oder Stuttgart mit über 70 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen weit über denen in österreichischen Städten, schrieb die AK in einer Aussendung.

Jetzt kommen Diesel-Fahrverbote in Deutschland

Die Grafik zeigt den Rückgang der Stickstoffdioxidwerte in Deutschland in zwanzig Jahren

Streitthema Luft

Die Verhandlung in Leipzig gingen auf Klagen der DUH in rund 20 deutschen Städten zurück. Die DUH will erreichen, dass die Pläne zur Luftreinhaltung dort so geändert werden, dass die Grenzwerte für Stickstoffdioxid eingehalten werden. Denn die hohe NOx-Belastung greift die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System an. Die EU führt jährlich rund 400.000 vorzeitige Todesfälle in Europa auf Schadstoffe zurück, direkt wegen hoher NOx-Belastung seien 2003 rund 70.000 Menschen verstorben. Der seit 2010 geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm NOx je Kubikmeter Luft wird an Messstellen in 70 deutschen Kommunen noch immer nicht eingehalten, auch wenn der Trend seit Jahren rückläufig ist.

Die Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf hatten geurteilt, dass dazu auch Fahrverbote in Betracht gezogen werden müssten.

Dagegen legten die Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Revision beim Obersten Verwaltungsgericht ein. Sie wollen klären lassen, ob sie rechtlich dazu befugt sind, Fahrverbote anzuordnen und durchzusetzen, oder ob der Bund handeln muss.

Zwölf Millionen Pkw betroffen?

Fahrverbote könnten nach einer entsprechenden Änderung von Luftreinhalteplänen deutschlandweit für mehr als zwölf Millionen Diesel-Pkw gelten, die noch nicht die neueste Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Wie am Wochenende bekannt wurde, hat das Verkehrsministerium bereits eine Änderung der Straßenverkehrsordnung vorbereitet, damit Kommunen selbst Dieselfahrzeuge von belasteten Strecken verbannen können. Darüber hinaus sind viele weitere Maßnahmen wie bessere Verkehrssteuerung oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs notwendig, um die Grenzwerte überall einzuhalten.

Kommt das Diesel-Fahrverbot in Deutschland? - ohne

Polizeigewerkschaft sieht keine Kapazitäten für Kontrolle

Wer Fahrverbote kontrollieren soll, ist offen: Nach dem Urteil hat die Deutsche Polizeigewerkschaft gewarnt, die Polizei habe keine Möglichkeiten, Fahrverbote zu kontrollieren. Es stehe fest, "dass die Kapazitäten niemals ausreichen werden", sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt gegenüber deutschen Medien. "Polizeikontrollen für Fahrverbote, vergessen Sie's."

Weiter sagte Wendt, "wir müssen uns auf wichtige Dinge konzentrieren, für die schon jetzt das Personal nicht ausreicht". Er verwies auf mehr als 20 Millionen Überstunden im vergangenen Jahr: "Mehr geht einfach nicht."

Auch Österreich am EU-Pranger

Die EU-Kommission stuft die bisherigen Anstrengungen Deutschlands zur Verminderung der Stickoxid-Werte als unzureichend ein und droht mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Deutschland steht aber nicht allein am Pranger, sondern zusammen mit acht weiteren Mitgliedstaaten: Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei. Auch gegen Österreich hat die EU-Kommission Anfang 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der NO2-Belastung gestartet. Grenzwertüberschreitungen gab in diesem Jahr an elf von insgesamt 142 Messstellen.

Schwarz (ORF) über die Dieselfahrverbote

Der Boom beim Autokauf hält an - dank des Ansturms auf Benziner, denn Dieselfahrzeuge werden immer schwerer zu verkaufen. Im Jänner stieg die Zahl der Pkw-Neuzulassungen um 8,4 Prozent auf 28.568 Fahrzeuge. Bei Benzinern wurde im Jahresvergleich ein Anstieg von 33,1 Prozent verzeichnet, bei Diesel gab es ein Minus von 13,1 Prozent.

E-Autos legten um 18,3 Prozent zu, machen aber nur 1,4 Prozent der Neuzulassungen aus. Bei Pkw mit Benzin-Hybridantrieb gab es einen Zuwachs von 46,3 Prozent (Anteil: 2,9 Prozent), geht aus Zahlen der Statistik Austria hervor.

Jetzt kommen Diesel-Fahrverbote in Deutschland
Pkw in Österreich 1990-2017 - Kurvengrafik; Autobestand nach Fahrzeugart, Pkw-Dichte nach Bundesländern GRAFIK 0224-18, 88 x 148 mm

BMW in OÖ meldet Rückgang bei Diesel

Im BMW-Werk im oberösterreichischen Steyr, dem größten weltweit des bayerischen Autobauers, merkt man bereits den Trend weg vom Diesel. Im Vorjahr ist der Anteil der Dieselmotoren an der Gesamtproduktion in Steyr um zehn Prozent zurück gegangen - obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt, so BMW.

"Die Diskussion läuft auf Basis von falschen Behauptungen, die Kunden dürfen nicht weiter verunsichert werden", betonte BMW Steyr-Chef Christoph Schröder am vergangenen Mittwoch im Rahmen der Jahresbilanzpressekonferenz eines der größten Arbeitgebers Österreich. Ohne Dieselmotoren wäre das Klimaziel der EU kaum erfüllbar, erklärte Schröder. Der Diesel werde jedenfalls noch lange eine wichtige Rolle spielen.

Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) habe bei seinem Werksbesuch in Steyr kürzlich betont, dass keine neuen Steuern auf Diesel geplant seien und dass Fahrverbote in Städten für Dieselfahrzeuge nicht im Raum stünden.

Hardwareumrüstung

Dass der deutsche Automobilklub ADAC mitteilte, dass eine Hardwareumrüstung alter Dieselfahrzeuge möglich und hocheffizient wäre, kann Schröder so nicht nachvollziehen. "Das wäre ein massiver Eingriff", so Schröder, der eine Entwicklungszeit von zwei bis drei Jahren benötigen würde und mit sehr hohen Kosten verbunden wäre.

Trotz des Glaubens an die Zukunft des Diesel setze BMW auch in Steyr auf Elektromobilität, inzwischen würden bereits Komponenten für E-Autos produziert.

Als wichtigstes Zukunftsthema sieht Schröder das autonome Fahren, bei dem BMW schon sehr weit sei. Sowohl der neue 5er wie auch der neue 7er könnten bereits teilweise autonom fahren, wie zum Beispiel selbsttätig aus der Tiefgarage. "Wie Knight Rider", wie BMW-Österreich-Chef Christian Morawa bei der Bilanzpressekonferenz sagte.

Es gibt in Deutschland rote, gelbe und grüne Plaketten fürs Auto - bisher. Sie zeigen an, welche Autos in die Umweltzonen einfahren dürfen. Schon seit Jahren liegt der Vorschlag einer blauen Plakette auf dem Tisch, die nach noch strengeren Kriterien vergeben wird. Sie könnte vor allem ältere Dieselfahrzeuge aus Innenstädten mit schlechter Luft heraushalten - in Städten sind Dieselmotoren die Hauptquelle für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid.

Die bisherigen Umweltzonen haben vor allem zum Ziel, die Feinstaubbelastung in Städten und Ballungsräumen zu verringern.

Befürworter der blauen Plakette argumentieren, dass die Kommunen mit so einem bundesweiten Instrument Fahrverbote gut regeln und überprüfen könnten. Unter anderem die geschäftsführende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, das Umweltbundesamt und die Grünen sind dafür. Schon vor knapp zwei Jahren haben sich außerdem die Umweltminister der Bundesländer dafür ausgesprochen. Gegner der Plakette setzen sie dagegen mit Fahrverboten gleich.

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