Eine Turbine setzt Europa unter Druck
Diesen Donnerstag, 21. Juli endet das Wartungsintervall der Ostseepipeline Nord Stream 1. Ob sie danach wieder in Betrieb geht, hängt laut dem Gazprom-Konzern davon ab, ob er eine für den Betrieb wichtige Turbine rechtzeitig bekommt.
Bereits im Juni hat Russland die Lieferungen mit Verweis auf technische Probleme gedrosselt. Die deutsche Regierung hat keinen Hehl daraus gemacht, dass sie das für einen Vorwand hält. Gleichzeitig will man Russland keinen Anlass liefern, die Gaslieferungen weiter zu verknappen oder ganz einzustellen. Der KURIER hat sich auf die Spur der Turbine gemacht, die Europa in Atem hält.
Was ist das für eine Turbine?
Das genaue Modell gibt das zuständige Unternehmen Siemens Energy nicht bekannt. Laut Berichten handelt es sich um eine Turbine, die ursprünglich für Flugzeuge entwickelt wurde, die aber auch als Antrieb in der Öl- und Gasindustrie verwendet wird. Die Maschine soll eingesetzt werden, um an der Station Portowaja in der Nähe von St. Petersburg einen Kompressor anzutreiben, mit dem Druck in der Gas-Pipeline aufgebaut wird.
Wo ist das Gerät jetzt?
Die Turbine wurde laut Medienberichten am Sonntag, 17. Juli per Flugzeug von Kanada nach Deutschland transportiert. Für gewöhnlich erfolgt der Transport per Schiff, in diesem Fall musste es aber schnell gehen. Der Weitertransport nach Russland ist Sache von Siemens Energy und könnte Schätzungen zu Folge fünf bis sieben Tage dauern. Der genaue Standort des Geräts ist laut dem deutschen Wirtschaftsministerium aus Sicherheitsgründen nicht bekannt.
Warum muss ein deutscher Konzern seine Maschinen in Kanada warten?
Die Turbinen für die Nord Stream 1 wurden ursprünglich von dem Triebwerkhersteller Rolls Royce geliefert. Siemens übernahm 2014 das Turbinengeschäft des britischen Konzerns, inklusive der Wartungsverträge. Für die Turbinen ist deswegen nur das ehemalige Rolls-Royce-Wartungszentrum in Montreal geeignet und zertifiziert.
Bis wann soll die Turbine eingebaut werden?
Das Zeitfenster für die Wartung endet am Donnerstag, bis dahin sollte also, glaubt man Gazprom, die strittige Turbine installiert sein. Allerdings ist fraglich, ob sich das rechtzeitig ausgeht. Den Wiedereinbau übernimmt Pipeline-Betreiber Gazprom. Laut der deutschen Bundesnetzagentur ist durchaus damit zu rechnen, dass die Wartung heuer nicht zehn, sondern 14 Tage dauert.
Ist die Turbine wirklich unersetzbar?
Nein. Laut dem deutschen Wirtschaftsministerium handelt es sich um eine Ersatzturbine, die erst für den Einsatz im September vorgesehen war. Die Pipeline lief auch zuletzt ohne diese Turbine. Gazprom hingegen erklärt, die Turbine für den Betrieb unbedingt zu benötigen. Es dürfte sich also um ein politisches Tauziehen handeln. Moskau macht mit Energielieferungen Druck auf Deutschland und Europa.
Wieso kam es bei der Lieferung zu einer Verspätung?
Kanada hat die Ausfuhr nach Russland verweigert, weil sie gegen die gefassten Sanktionen verstoßen hätte. Deutschland intervenierte und bot die Lösung an, dass Kanada die Turbine nach Deutschland liefern solle. Damit verletzt Kanada die Sanktionen nicht, die Ukraine protestiert und sieht darin eine Umgehung.
Was passiert, wenn die Turbine nicht ankommt?
Dass Gazprom die Pipeline ohne die Turbine in Betrieb nimmt, ist nicht anzunehmen. Wenn sich die Gas-Lieferungen weiter verzögern, steigen die Gaspreise in Europa absehbarerweise weiter an.
Könnte man stattdessen die Nord Stream 2 nutzen?
Die Nord Stream 2 Pipeline verläuft über den Großteil der Strecke parallel zur Nord Stream 1. Russland hat seit der Fertigstellung im vergangenen Jahr Druck auf eine rasche Zulassung gemacht, Deutschland hat die Genehmigung aber wegen der Ukraine-Krise auf Eis gelegt. Da die Pipeline also keine Betriebsgenehmigung hat, kann sie laut der deutschen Regierung nicht benutzt werden.
1224 Kilometer
ist die Nord Stream 1 am Grund der Ostsee lang. Sie verbindet das russische Wyborg mit dem deutschen Lubmin.
55 Milliarden
Kubikmeter Erdgas sind vergangenes Jahr durch den Doppelstrang geflossen. Damit ist Nord Stream 1 die meistgenutzte Pipeline zwischen Russland und Europa.
10 Tage Wartung
Pipelines werden jährlich gewartet, für gewöhnlich im Sommer, wenn weniger Gas gebraucht wird.
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