Der große Rock'n'Roll-Schwindel: Wie beim Musikstreaming betrogen wird
Knapp 600.000 Euro soll ein 53-jähriger Däne in den vergangenen Jahren Streaming-Plattformen unrechtmäßig an Lizenzgebühren abgeknöpft haben. Vergangene Woche stand er deshalb im dänischen Aarhus vor Gericht.
Es ist einer der ersten Prozesse dieser Art. Betrug auf Streaming-Plattformen ist aber alles andere als ein Einzelfall. 10 bis 15 Prozent der je nach Dienst oder Markt abgespielten Streams, schätzen Marktbeobachter, könnten einen betrügerischen Hintergrund haben.
Der in Dänemark angeklagte Mann hatte fast 700 Songs geringfügig modifiziert und unter seinem eigenen Namen hochgeladen. Sie sollen dann jahrelang von automatisierten Programmen auf unterschiedlichen Endgeräten in Endlosschleife abgespielt worden sein. Solche Services werden bereits auch professionell angeboten.
"Streaming-Betrug ist ein Problem", sagt Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck von der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst (mdw). Weil dadurch der ohnehin bescheidene Kuchen, der an Musikerinnen und Musiker verteilt wird, noch kleiner werde.
Künstliche Intelligenz verschärft das Problem
Durch Künstliche Intelligenz (KI), die selbstständig Songs erstellt und mit der etwa Stimmen von Superstars nachgemacht werden können, werde das Problem verschärft, sagt Tschmuck. Die Technologie komme aber auch zum Einsatz, um Streaming-Betrug aufzudecken. "Im Grunde läuft derzeit ein Rüstungswettbewerb zwischen Betrügern und Streamingplattformen", sagt der Musikwirtschaftsforscher..
Mit Künstlicher Intelligenz sei es einfacher Songs zu generieren und so das Repertoire für betrügerische Aktivitäten zu vergrößern, sagt Nermina Mumic. Ihr Start-up Legitary spürt im Auftrag von Rechteinhabern Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen von Streaming-Plattformen nach. Die Kunden des Start-ups kommen zum Großteil aus den USA. Seit kurzem zählt man auch die viertgrößte Musikfirma der Welt, das Indie-Konglomerat Concorde, zu den Klienten.
Legitary analysiert das Streaming-Verhalten auf unterschiedlichen Plattformen in unterschiedlichen Ländern und vergleicht sie mit historischen Streamingdaten. Ungewöhnliches Konsumverhalten falle auf, sagt Mumic.
Oft seien aber auch technische Fehler die Ursache, sagt die Mathematikerin. Man habe aber auch bereits Fälle gehabt, bei denen etwa ein Konkurrent Fake-Plays für einen Rapper kaufte, um so zu erwirken, dass der Song seines Rivalen auf Plattformen gesperrt werde.
Fake-Streams kommen aber etwa auch zur Geldwäsche zum Einsatz. In Schweden wurden Fälle aktenkundig, bei denen Gangs ihre Einnahmen aus dem Drogengeschäft über Fake-Plays auf Streaming-Plattformen gewaschen haben.
Dienste steuern gegen
Seit Anfang des Jahres versuchen Dienste wie Spotify und Deezer dem Betrug auch mit einem neuen Abrechnungsmodell gegenzusteuern. Sie vergüten nur noch Songs, die über 1.000 Streams von einer Vielzahl unterschiedlicher Nutzer aufweisen.
Das hilft und hat für die großen Labels auch den Nebeneffekt, dass Künstler, die über die Schwelle kommen viel mehr Geld bekommen. Denn auf Spotify erreichen etwa 80 Prozent der Songs den Grenzwert von 1.000 Streams nicht.
Eine Möglichkeit, Betrug effektiver zu bekämpfen, kommt aber nicht zum Einsatz: ein nutzerzentriertes Abrechnungsmodell. Die Umstellung sei zu kompliziert, argumentieren die Dienste. Grund dürfte auch sein, dass die großen Labels und Künstler damit dramatisch an Einnahmen verlieren würden, vermutet Günter Loibl vom Digitalvertrieb Rebeat.
Derzeit wird nach dem Pro-Rata-Modell abgerechnet. Dabei wird der Anteil der Aboeinnahmen, der von den Plattformen verteilt wird - üblicherweise sind es 70 Prozent - in einen Topf geworfen. Die Summe wird dann dem Marktanteil der jeweiligen Künstler entsprechend verteilt. Erfolgreiche Künstler, die Millionen Streams aufweisen, werden dadurch bevorzugt, weil Gelder von Nutzern, die sie gar nicht hören, ihnen anteilsmäßig ebenfalls zufallen.
Bei einem fanbasierten Modell würden die Einnahmen aus dem Musikabo eines Nutzers tatsächlich auf die vom jeweiligen Nutzer gestreamten Songs verteilt. Selbst wenn ein Song von einem Konto wochenlang in Endlosschleife abgespielt wird, würde dafür von den Plattformen nicht mehr ausgezahlt werden als die Aboeinnahmen des jeweiligen Nutzers.
70 Prozent der Betrugsfälle wären damit nicht mehr lukrativ, sagt Loibl. Das Modell hätte auch einen weiteren Vorteil, meint Tschmuck. Auch kleinere Künstler würden profitieren und relevante Beträge ausbezahlt bekommen.
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