Borealis-CEO Stern: "Es geht wieder nach oben"
KURIER: Ist die zweite Corona-Welle schlimmer als die erste?
Alfred Stern: Ökonomisch betrachtet – also nicht gesundheitlich bitte – sehen wir aus unserer Sicht global bei der zweiten Welle bisher keine Dramatik.
Wie sieht denn Ihr Krisenmanagement aus?
Wir haben damit schon im Frühjahr begonnen. Der Fokus dabei liegt auf Liquidität. Im dritten Quartal lagen wir mit dem Cashflow um sechs Prozent über Vorjahr. Überhaupt ging es im dritten Quartal wieder steil nach oben. Und auch das vierte Quartal wird ordentlich.
Hat Borealis Staatshilfe beansprucht?
Nein. Wir mussten auch keine Kurzarbeit einführen. Weltweit.
Droht Jobabbau?
Wir machen kein Restrukturierungsprogramm. Aber wir haben schon seit 2018 die Produktivität und die Effizienz erhöht. Das heißt: Wir stellen neue Mitarbeiter nur noch in besonders sensiblen Bereichen ein.
Mussten Sie eines ihrer Werke rund um den Globus wegen Corona schließen?
Nein. Wir haben seit Jahren ja sehr hohe Sicherheitsstandards. Das hat uns jetzt geholfen. Wir haben Schnelltests eingeführt, zusätzliche Hygiene- und Kontrollmaßnahmen. Deshalb gab es weltweit bei uns bisher nur wenige Fälle.
Aufgrund der Pandemie lief es im ersten Halbjahr nicht so gut. Der Nettogewinn ging zurück, der Umsatz auch. Wie läuft es denn im zweiten Halbjahr?
Über das gesamte Jahr läuft es wieder gut. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist sogar so gut, dass wir im Gesamtjahr mengenmäßig mit einem leichten Plus abschließen werden.
Der Gewinnrückgang basiert also nur auf dem globalen Preisverfall?
Ja. Der Preisverfall ist getrieben durch die niedrigeren Rohstoffpreise, die bekanntlich wiederum mit den niedrigen Ölpreisen zusammenhängen.
Wie läuft es denn in den einzelnen Bereichen?
Bei Pflanzennährstoffen war das erste Halbjahr sehr gut – besser als 2019. Was den Polyolefinbereich angeht, sehen wir bei den Bereichen Hygiene, Healthcare und Energie keine Einbrüche. Im Bereich Verpackung gab es sogar Zunahmen. Eingebrochen im ersten Halbjahr sind Rohre und der Automobilbereich.
Zur OMV: Die hat jetzt die Mehrheit. Der OMV-Vorstand sieht ein Synergiepotenzial von 700 bis 800 Millionen bis 2025. Sie auch?
Zunächst einmal: Der Mehrheitseigentümer ist kein neuer Eigentümer – ebenso der Minderheitseigentümer. Nun: In Schwechat und Burghausen sind wir mit der OMV an den gleichen Standorten und bisher schon sehr eng verzahnt.
Da lässt sich also viel heben.
Ja. Beim Materialeinsatz, bei externen Kosten, durch bessere Abstimmung der Planungsprozesse und damit verbundener Erhöhung des Marktanteils, oder Reduktion bei doppelten Ausgaben etc. Auch in puncto Kreislaufwirtschaft ergeben sich Synergien. Die OMV ist im Recycling stark – und wir ebenso.
Droht hier durch die Synergien Jobabbau?
Das kommt in keinem unserer Modelle vor. Langfristig kann man das aber nie ausschließen.
Wie bewerten Sie die Kritik am angeblich überhöhten Kaufpreis der OMV für die Borealis?
Dazu kann ich nichts sagen, weil ich die Bewertungskriterien nicht kenne. Das ist Sache der OMV.
Wann ziehen Sie in den OMV-Vorstand ein?
Die Entscheidung liegt da bei der OMV. Aber Personalia sind jetzt sekundär. Entscheidend ist, was wir gemeinsam alles bewegen können.
Aber bereit für den OMV-Job wären Sie?
Wenn er mir angeboten würde auf jeden Fall.
Der global agierende Chemiekonzern steht im Eigentum der OMV (75 Prozent) und der Mubadala AG aus den Emiraten (25 Prozent). Borealis produziert Kunststoff-Rohstoffe (Polyolefine, also Polyethylen und Polypropylen), Basischemikalien und Pflanzennährstoffe. Polyolefine werden z.B. zu Autobauteilen, Kabelisolierungen oder für die Medizintechnik weiterverarbeitet.
Der Konzern beschäftigt weltweit knapp 7000 Mitarbeiter, davon rund 1900 in Österreich. 2019 musste Borealis bei einem kaum veränderten Gesamtumsatz von 9,8 (2018: 9,9) Milliarden Umsatz einen Rückgang des Nettogewinns auf 872 (906) Millionen Euro verbuchen.
Im ersten Halbjahr 2020 ging der Nettogewinn coronabedingt um rund 60 Prozent auf 215 Mio. Euro zurück, der Umsatz um ein Fünftel auf knapp 3,5 Mrd. Euro. Allein im dritten Quartal wurde aber mit 163 Millionen Nettogewinn die Kehrtwende geschafft
Die Düngemittelsparte der Borealis in Linz steht angeblich vor dem Verkauf. Ihr Kommentar?
Der Düngemittelmarkt in Europa ist ein guter, solange es Landwirtschaft in Europa gibt. Aber der Markt ist schon sehr fragmentiert, weshalb er vor einer Konsolidierung steht. Wir brauchen also eine Lösung. Die Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.
Kommen wir ins Ausland: Die drei großen Wachstumsprojekte - ein Joint Venture in Texas, eine neue Propan-Dehydrierungsanlage in Belgien und die fünfte Polypropylenanlage in Abu Dhabi sind weiterhin trotz Pandemie im Plan?
Wir mussten nichts auf „Hold“ setzen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass alles wie geplant läuft. Weil wir an allen drei Standorten mit Corona konfrontiert waren. Das bedeutete zum Teil massive Zugangsbeschränkungen zu den Baustellen bis zu Schwierigkeiten in der Logistik. Zu Verzögerungen wird es kommen, da sprechen wir aber von Wochen bis wenigen Monaten.
Die Mubadala AG aus den Emiraten hält jetzt noch 25 Prozent an der Borealis. Sie haben dort ein riesiges Joint Venture mit der Abu Dhabi National Oil Company Adnoc, das Polyolefine für den asiatischen Markt herstellt. Wie sieht da jetzt die Zukunft aus?
Mubadala hält 25 Prozent an der Borealis, aber auch 24,9 Prozent an der OMV. Die OMV hält 15 Prozent Anteile an der Adnoc-Raffinerie in Abu Dhabi und hat dort Lizenzen für Öl- und Gasfelder übernommen. Also: Die Verzahnung ist eng. Das Joint-Venture war in den vergangenen 20 Jahren höchst erfolgreich. Wir zählen auch weiter auf die starke Partnerschaft mit Adnoc in Abu Dhabi und arbeiten sogar an einem Ausbauprojekt.
Sie hatten in Kasachstan eine integrierte Cracker- und Polyethylenanlage in Planung, die sie verworfen haben. Warum?
Die Erklärung ist dieselbe wie bei einem Projekt in Indien. Aufgrund der Pandemie haben sich die langfristigen Produktionskapazitäten und Nachfrageverhältnisse verschoben. Das geht auch an uns nicht vorbei. Wir sehen im Markt im Nachfragewachstum eine Verschiebung von mindestens zwei bis drei Jahren nach hinten. Gleichzeitig werden große Kapazitäten aufgebaut.
Kasachstan ist komplett vom Tisch, Indien liegt auf Eis, richtig?
Ja. Indien ist ein sehr großer Markt mit großem Zukunftspotenzial, ob mit diesem Projekt oder einem anderen. Das werden wir weiter beobachten, so wie China. Mit neuen Projekten sind Sie also vorsichtig – es gibt keine konkreten neuen in der Pipeline? Wir haben die Augen immer offen. Aber die drei Projekte, die wir jetzt haben, sind für Borealis Wachstumssprünge. Wir müssen die jetzt einmal erfolgreich auf die Zielgerade bringen
Ganz generell: Sie sind Chef eines Weltkonzerns. Wie lange darf Covid noch dauern, um nicht die globale Wirtschaft komplett zu gefährden?
Ich denke, das kann nicht mehr lange so gehen. Man hält sich global durch das Aufnehmen von massiv hohen Schulden über Wasser. Ich glaube aber, wir kommen an die Grenzen des Machbaren. Ich bin aber sicher, dass sich alles erholen wird. Man darf aber nur nicht dem Irrglauben verfallen, dass wir uns zu dem zurückerholen, wo wir vorher waren. Wir werden uns erholen zu einem anderen Punkt hin.
Zu welchem Punkt?
Gerade Themen wie Kreislaufwirtschaft sind, glaube ich, echte Zukunftschancen. Das ist eine einmalige Chance für Österreich und für uns, die ich auch durch die Erhöhung der Anteile der OMV an Borealis sehe. Hier können wir ein weltweit führendes Unternehmen sein.
Der Österreicher Alfred Stern ist seit Juli 2018 Vorstands-Chef des Borealis-Konzerns. Stern studierte Materialwissenschaften in Leoben, arbeitete beim Chemiekonzern Du Pont und ist seit 2008 bei Borealis. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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