Boehringer-Chef: "Brauchen Krisenmanager für die Gasversorgung"
Der deutsche Pharmakonzern baut seine Präsenz in Österreich massiv aus und investiert 1,2 Milliarden Euro in ein neues Werk in Bruck an de Leitha. Der KURIER sprach mit Boehringer-Ingelheim-Generaldirektor Philipp von Lattorff über Standortfragen, die fatalen Folgen der Gas-Krise und warum es jetzt einen Profi fürs Krisenmanagement braucht.
KURIER: Bruck setzte sich im globalen Wettbewerb gegen Standorte in Deutschland, Spanien und USA durch. Was gab den Ausschlag?
Das war ein langer Prozess. Ein starkes Argument für uns war, dass wir dieselbe Produktion ja schon in Wien haben, es quasi eine Kopie des Wiener Werks ist.
Warum wurde nicht gleich in Wien größer gebaut?
Die Nachfrage nach Biopharmazeutika wächst stärker als gedacht. Zwei Werke parallel zu errichten hätten wir in Wien nicht geschafft und der Standort in Meidling ist auch zu klein für eine weitere Produktionsanlage. Deshalb mussten wir uns nach einem neuen Standort umschauen. Sowohl Wien, Niederösterreich als auch das Burgenland haben sich sehr darum bemüht. In NÖ haben wir dann sehr rasch alles gefunden, was wir brauchen, in Wien hätten wir eine so große Fläche in der Geschwindigkeit nicht geschafft.
Gibt es noch Hürden bezüglich Genehmigungen oder Auflagen?
Damit rechnen wir nicht. Es wird ein grünes Vorzeigeprojekt. Wir werden vom ersten Tag an CO2-neutral sein mit einem Mix an Alternativenergie wie Biogas, Windkraft und Fotovoltaik.
Damit sind sie auch unabhängiger von Russen-Gas?
Das war zunächst nicht das primäre Ziel, weil das Projekt vor dem Ukraine-Krieg gestartet wurde. Jetzt ist der Nebeneffekt zum Haupteffekt geworden. Wir sind auch gerade dabei, unser Wiener Werk umzustellen, um bis 2025 CO2-neutral zu sein und Erdgas durch Biomasse zu ersetzen. In Bruck heizen wir mit Hackschnitzel.
Derzeit sind sie aber noch stark abhängig vom Gas. Was wäre, wenn Russland die Lieferungen einstellt?
Da hätten wir alle ein Problem. Wir haben zwar Reserven und Dieselaggregate als Backup, aber nur für eine bestimmte Zeit. Daher wäre es so wichtig, dass es endlich einen Krisenmanager für die Gasversorgung im Bundeskanzleramt gibt. Wir fordern in der IV ja einen eigenen Staatssekretär für das Krisenmanagement.
Was soll diese Person können bzw. tun?
Wenn es eine Krise gibt brauch ich einen Profi, der sie managt und sagt, was Sache ist, also Strategien entwickelt, Konzepte vorschlägt und Verhandlungen führt. Wir haben im Unternehmen auch Profis fürs Krisenmanagement, die einem sagen, was zu tun ist.
Soll die Pharma- wie die Lebensmittelindustrie im Falle einer Gaskrise prioritär behandelt werden?
Wir sind systemrelevant und müssen so lange wie möglich weiterproduzieren können, denn es hängt das Leben vieler Patienten dran.
Wie schwierig wird es, die 800 Mitarbeiter zu finden?
Bruck liegt im Einzugsgebiet Wien, Niederösterreich, Burgenland, Slowakei und Ungarn. Das und eine gute Verkehrsanbindung machen uns optimistisch, dass wir die 800 auch finden werden.
Boehringer Ingelheim zählt mit mehr als 50.000 Mitarbeitern zu den größten forschenden Pharmakonzernen der Welt und ist nicht an der Börse notiert. Das Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV) ist Zentrum für Krebsforschung sowie Produktionsstandort für biopharmazeutische Forschung des deutschen Pharmakonzerns. Mit 2.400 Mitarbeitern zählt Boehringer Ingelheim neben Novartis zu den wichtigsten Pharmafirmen in Österreich.
Philipp von Lattorff leitet seit 2013 das Regional Center Vienna (RCV) und trägt die Verantwortung für mehr als 30 Länder Mittel- und Osteuropas, darunter die Ukraine und Russland.
Sie steuern von Wien aus auch die Märkte in der Ukraine und Russland. Wie ist die aktuelle Situation dort?
Wir haben 100 Beschäftigte in der Ukraine und 700 in Russland. Für die Mitarbeiter in der Ukraine haben wir in Lemberg ein Hotel gemietet, wo sie nun untergebracht sind. Die Medikamentenversorgung in der Ukraine stockt derzeit. Wir haben zwar genug Ware, aber es gibt ein Verteilungsproblem. Es hat auch nur jede dritte Apotheke geöffnet.
Ist ein Rückzug aus Russland geplant?
Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt. Patienten müssen ja mit Arzneimittel versorgt werden. Wir konzentrieren uns auf den Vertrieb ohne Marketing, bis dato wird auch noch normal bezahlt. Alle geplanten Investments, Kooperationen und klinischen Studien wurden auf Eis gelegt.
Wurde die Corona-Pandemie richtig gemanagt?
Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Am Anfang hätte man die Krise besser managen können und einen eigenen Staatssekretär als Krisenmanager ernennen können. Das Problem war ja oft nicht ein medizinisches, sondern ein logistisches. Da wäre als Krisenmanager ein Militärexperte wie in Deutschland eine Idee.
Sie waren immer gegen eine gesetzliche Impfpflicht. War die Einführung ein Fehler?
Ich war über lange Strecken ein absoluter Gegner der Impfpflicht, aber irgendwann muss man auch Vorgaben machen können. Es war traurig, dass man zu einer Impfpflicht greifen musste, aber es war noch trauriger, wie die Impfpflicht wieder gestorben ist. Weil so hat sie überhaupt keine Auswirkung auf das Impfverhalten der Menschen gehabt.
Ist die Pandemie vorbei?
Nein, die nächste Welle wird im Herbst wiederkommen. Daher nicht warten mit den Vorbereitungen, sondern jetzt Entscheidungen treffen.
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