Boehringer-Chef: "Werden in Wien keine Impfstoffe produzieren"

CORONAVIRUS: PK NACH ROUND-TABLE BUNDESMINISTERIUM FÜR DIGITALISIERUNG UND WIRTSCHAFTSSTANDORT (BMDW) "ENTWICKLUNGEN UM DAS COVID-19 VIRUS": LATTORFF
Pharmaunternehmen startet im Herbst mit neuer biopharmazeutischer Fertigung in Wien. Weil am Standort viele Ärzte arbeiten, könnte eine Impfstraße eingerichtet werden, schlägt Generaldirektor Philipp von Lattorff vor.

Die Geschäfte des deutschen Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim laufen trotz Corona gut, der Vorjahresumsatz legte in der von Wien aus gesteuerten Region um 6,4 Prozent zu. Der KURIER sprach mit Generaldirektor Philipp von Lattorff über die neue Fertigung in Wien, warum eine Impfstoffproduktion am Standort keinen Sinn macht und was Österreich von Israel lernen könnte.

KURIER: Corona verzögerte die Erweiterung des Pharma-Standortes in Wien um einige Monate. Wann startet die neue biopharmazeutische Produktion?

Philipp von Lattorff: Die Probeläufe sind schon im Gange, jetzt müssen noch die Behörden die Anlagen inspizieren und freigeben. Wir starten im November mit der Produktion und ich hoffe, wir können wegen Corona ein Jahr später als geplant auch endlich unsere große Eröffnungszeremonie abhalten. Ich würde mir 200 Gäste wünschen, die endlich auch persönlich kommen.

Was genau und für wen fertigen Sie ab Herbst?

In der neu gebauten Anlagen werden wir zunächst für uns selbst ein Schlaganfall-Medikament produzieren und einen Teil der Fertigung aus Biberach in Deutschland übernehmen. In der bestehenden und adaptierten Anlage produzieren wir für einen Partner mehrere Komponenten für ein Krebsmedikament.

Benötigen Sie noch zusätzliches Personal?

Der Personalaufbau ist im wesentlichen erledigt. Wir hatten allein im Vorjahr 500 Neuaufnahmen für die neue Anlage. Wir haben allein am Standort derzeit 2800 Mitarbeiter, davon 2400 eigene.

FILE PHOTO: The logo of German pharmaceutical company Boehringer Ingelheim is seen at its building in Shanghai
Boehringer Ingelheim in Wien-Meidling

Boehringer Ingelheim hat neben Novartis den größten Pharma-Produktionsstandort in Österreich. Könnten Sie in Wien-Meidling auch bei der Covid-Impfstoff-Produktion aushelfen?

Das ist eine nahe liegende Frage. Wir haben dazu mit vielen Impfstoff-Produzenten intensive Gespräche geführt. Eine Delegation aus Russland war auch bei uns wegen Sputnik in Wien. Dabei ging es auch um die Möglichkeit der Abfüllung. Die Anlagen, die wir bei Boehringer in Wien haben, sind dafür aber absolut nicht geeignet. Wir könnten auch kein weiteres Werk mehr in Wien-Meidling bauen, sondern müssten bei Null anfangen und etwas auf die grüne Wiese hinstellen, etwa im Burgenland. Aber das dauert dann wieder deutlich länger dauern. Bis dahin wird die Impfstoff-Verfügbarkeit eine ganz andere sein. Da kommt man zu spät.

Novartis in Kundl/Tirol schafft die RNA-Herstellung in nur wenigen Monaten und will noch vor dem Sommer starten?

Eine tolle Sache. Aber die waren auch mit ihrer neuen Produktionslinie schon vorbereitet. Boehringer war nie ein Impfstoffhersteller und wird auch nie einer sein.

Lohnt sich eine Produktion in Österreich überhaupt?

Es macht Sinn, die Produktionen dort anzusiedeln, wo bereits Impfstoff erzeugt wird. Um Vakzine herzustellen, braucht es mehr als 200 Ingredienzien, die es am Weltmarkt zu besorgen gibt. Österreich kann sich da nicht abschotten. Jetzt eine eigene Produktion hochzuziehen wäre kein gutes Investment. Das Thema Pharma-Produktion muss man sich langfristig und europäisch überlegen.

Philipp von Lattorff
Philipp von Lattorff

Was soll die Politik tun?

Österreich wird nie alles produzieren können, sollte sich daher lieber auf die Impfstoff-Forschung fokussieren und hier Schwerpunkte setzen. So könnten Spitzenforscher in diesem Bereich nach Österreich geholt werden.

Boehringer forscht gemeinsam mit anderen auch an einem Medikament gegen schwere Lungenschäden nach einer Covid-Infektion. Wann erwarten sie hier eine Marktreife?

Seriöse Prognose ist schwierig, aber wir haben eine jahrzehntelange Erfahrung mit Lungenerkrankungen. Wir sind in der klinischen Phase zwei. Ein Medikament wäre eine ideale Alternative zur Impfung, weil es verhindert, dass man in die Intensivstation muss.

Wegen Corona mussten viele Therapien aufgeschoben werden. Wie lief das Geschäft von Boehringer in der von Wien aus gesteuerten Region?

Corona-bedingt gingen den Menschen weniger zum Arzt, daher gab es insgesamt weniger Neuverschreibungen. Die Entwicklung bei unseren chronischen Präparaten (Diabetes, Lungenfibrose) war stabil. Wir hatten in Summe ein Wachstum von 6,4 Prozent. Länderweise war es unterschiedlich. In Polen war es schwierig, dafür ist mit Russland einer unserer Hauptmärkte sehr gut gegangen. Wir leiden dort aber unter der Rubel-Schwäche. Ein Wachstumsmarkt für uns ist die Tiermedizin.

Philipp von Lattorff leitet seit 2013 das Regional Center Vienna (RCV) des deutschen Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim und trägt die Verantwortung für mehr als 30 Länder Mittel- und Osteuropas, der Schweiz und Israel. Das Regional Center Vienna (RCV) ist Zentrum für Krebsforschung sowie Produktionsstandort für biopharmazeutische Forschung. Mit 2411 Mitarbeitern zählt Boehringer Ingelheim zu den wichtigsten forschenden Pharmafirmen in Österreich. 2020 wurden in Österreich 115 Mio. Euro umgesetzt (+3,5 Prozent). Hauptumsatzbringer waren Pradaxa (Gerinnungshemmer), Speriva (Atemwegserkrankung) sowie Diabetes-Produkte. In der gesamten Region betrug der Umsatz 1,087 Mrd. Euro (+6,4 Prozent), wobei das Kerngeschäft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten um 5,6 Prozent und jenes mit Tiermedizin (Merial) um 12,8 Prozent auf 134,9 Mio. Euro zulegte.

Die Regierung hadert mit der Impfstrategie. Was wäre jetzt zu tun?

Jetzt geht es darum, den so genannten Ketchup-Effekt beim Impfstoff zu vermeiden und bis Juni alles zu tun, damit die Logistik für eine rasche Durchimpfung gegeben ist. Wir haben uns als Boehringer angeboten, unser Personal sowie deren Angehörige selbst zu impfen. Es arbeiten viele Ärzte bei uns. Wir können in sechs Wochen unsere gesamte Belegschaft durchimpfen. Prinzipiell sind wir auch bereit, die Öffentlichkeit beim Impfen zu unterstützen.

Austrian Chancellor Kurz meets with Israel's President Rivlin in Vienna
Kanzler Sebastian Kurz zu Besuch in Israel

Der Kanzler war mit Pharmavertretern gerade in Israel. Was kann Österreich von Israel lernen?

Israel hat mit Pfizer auf das richtige Pferd gesetzt und den Impfstoff rechtzeitig bestellt. Und die Logistik und die Verteilung des Impfstoffes über das Militär war sicher auch wichtig. Wir verteilen den Impfstoff über das Gesundheitsministerium heraus. Aber das ist keine gesundheitspolitische Aufgabe, sondern eine logistische. Das ist das Problem.

Soll in Apotheken geimpft werden, damit es schneller geht?

Von mir aus sollen sie das tun. Ich hätte kein Problem damit, mich von einer Apothekerin oder einen Apotheker impfen zu lassen. Hauptsache es geht jetzt endlich was weiter.

Sie sind klar gegen eine Impfpflicht. Was halten Sie vom geplanten EU-Impfpass?

Ich bin definitiv gegen eine Impfpflicht. Ich selbst halte Impfen aber sinnvoll für mich und die Gesellschaft. Der Impfpass kann das Reisen wieder ermöglichen, daher halte ich es für eine gute Idee.

Geht sich das bis Juni aus?

Ich würde der EU herzlich gratulieren, wenn sie es bis dahin schafft.

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