Auto-Zulieferer auf der Flucht nach vorn
9.500 Stellen sind es, die der deutsche Lkw- und Bushersteller MAN abbauen will. Nicht nur am Heimmarkt Deutschland, sondern weltweit. Auch die Produktion im oberösterreichischen Steyr mit rund 2.300 Beschäftigten wackelt. Ob der Standort geschlossen wird, ist noch nicht fix. Man stehe am Anfang dieser Verhandlungen, sagt Konzernsprecher Manuel Hiermeyer gegenüber dem KURIER. Einen Zeithorizont wollte er dafür nicht nennen. Nur so viel: Es sei im Interesse des Unternehmens, diese Entscheidung rasch zu fällen.
Es ist die jüngste Meldung aus dem Bereich der Automobilindustrie, die zeigt: Dieser Wirtschaftszweig befindet sich in einem starken Umbruch. „Wir stehen als Nutzfahrzeugunternehmen vor einem immensen Strukturwandel. Der ist so groß, wie es ihn wahrscheinlich seit Erfindung des Dieselmotors nicht gegeben hat“, bestätigt Hiermeyer.
Und dieser Wandel kostet Geld, das in die Forschung und Entwicklung hin zu Digitalisierung, autonomem Fahren und alternativen Antrieben geht. „Diese Faktoren werden entscheiden, ob wir als Unternehmen bestehen können“, betont Hiermeyer.
Vereinfacht gesagt: Der Stellenabbau und die möglichen Produktionsschließungen bei MAN sollen Gelder freimachen, die in Forschung und Entwicklung fließen können. Die Belegschaft hat bereits massiven Widerstand gegen den Job-Kahlschlag angekündigt.
Für Unmut sorgt auch, dass der Mutterkonzern Traton für 2019 eine halbe Milliarde Euro Dividende ausschütten will. Allerdings hat MAN im ersten Halbjahr 2020 einen Verlust von 400 Millionen Euro eingefahren.
Die Branche befindet sich jedenfalls im Umbruch. Drastische Schritte wie bei MAN wurden auch von Schaeffler angekündigt, die in Europa 4.400 Stellen streichen wollen – ob Schaeffler Austria betroffen ist, ist noch offen.
Fest steht: Wer weiter bestehen will, muss sich auf die genannten Bereiche alternative Antriebe, Digitalisierung und autonomes Fahren konzentrieren. Das weiß auch Schaeffler Austria: Man berücksichtige das gesamte Ökosystem an Mobilität, heißt es von dem Unternehmen, an nachhaltigen Technologien und Lösungen entlang der gesamten Energiekette werde gearbeitet.
„Bestes Beispiel ist unser 30/40/30-Szenario, das wir nach wie vor als realistisch einschätzen. Es prognostiziert für das Jahr 2030 30 Prozent reine E-Fahrzeuge, 40 Prozent Hybridantriebe und 30 Prozent klassische Verbrenner bei den Neuzulassungen“, erklärt eine Sprecherin. Gleichzeitig fokussiere man sich auf neue Technologien wie Wasserstoff.
In ein ähnliches Horn stößt der oberösterreichische Zulieferer Miba, der rund 47 Prozent seines Gesamtumsatzes mit der Automobilbranche verdient. Rund 40 Millionen Euro hat Miba im Vorjahr für Forschung und Entwicklung ausgegeben. „Wir haben schon vor rund fünf Jahren damit begonnen, uns intensiv mit der E-Mobility zu beschäftigen“, erklärt Firmenchef Franz-Peter Mitterbauer.
Miba produziert etwa Leistungswiderstände, die in einigen Elektrofahrzeugen im Serieneinsatz sind – auch beim weltweit größten E-Auto-Hersteller BYD aus China.
Außerdem werden von Miba Lösungen für die Batteriekühlung und Hochvolt-Sicherungen in E-Autos entwickelt, ebenso wie Produktionsanlagen für Statoren in Elektromotoren produziert werden. Insgesamt will man sich nicht nur auf E-Fahrzeuge konzentrieren. „Auch moderne, saubere Diesel- und Ottomotoren leisten einen wesentlichen Beitrag zur Schadstoffreduktion“, sagt Mitterbauer.
An vorderster Front beim Wandel zu alternativen Antriebssystemen kämpft auch die Grazer AVL List. Sie forscht an allen Antriebssystemen inklusive Hybrid- und Elektroantrieben und dazugehörigen Komponenten. Daneben umfasst die Forschungsarbeit Getriebe, Leistungselektrik und Elektronik sowie Batterien und Brennstoffzellen. Allein in den vergangenen drei Jahren hat AVL List knapp 100 Erst-Patentanmeldungen mit Schwerpunkt Wasserstoff und Brennstoffzellen eingereicht.
Insgesamt sind in Österreich laut Auskunft der ARGE Automotive Zulieferindustrie 900 Unternehmen der Zulieferindustrie zugeordnet, 74.000 Menschen waren im Vorjahr hier beschäftigt, indirekt hängen 210.000 Arbeitsplätze an der Branche. Der Produktionswert lag 2019 bei 24 Milliarden Euro.
Der Umgang der Branche mit dem Strukturwandel wird also immens wichtig für Zigtausende Jobs und den Produktionsstandort Österreich sein.
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