12.500 Briefkästen im Steuerhafen Niederlande

Neben Waren werden gewaltige Geldströme durch die Niederlande geschleust: Hafen Rotterdam
Steuerdeals: Fiskus akzeptierte 669 Ansuchen, lehnte nur 25 ab. Andere Staaten verlieren Milliarden-Beträge.

Alles legal, aber hochgradig unfair: Nach Luxemburg kommt nun auch das Nachbarland für seine Steuerpraktiken unter Beschuss. Die Niederlande sind ein wichtiges Zahnrad für das Getriebe der internationalen Steuervermeider; das ist seit geraumer Zeit bekannt. Jetzt legt ein Bericht des niederländischen Rechnungshofes allerdings die Dimensionen offen. Und die sind beträchtlich: Nicht weniger als 12.500 Briefkastenfirmen ("Special Financial Institutions") dienen dem Zweck, Geldströme durch das Land zu schleusen. 1750 davon sind einzig und allein mit dem (steuerbefreiten) Einkassieren und Auszahlen von Zinsen und Lizenzgeldern befasst.

Und: Auch in den Niederlanden können ausländische Konzerne mit den Steuerbehörden Vorab-Vereinbarungen aushandeln. Für Luxemburg wurde soeben eine große Zahl solcher grenzwertiger Steuerdeals ("Rulings") an die Öffentlichkeit gespielt ("Lux Leaks"). In den Niederlanden wurden im Vorjahr 669 Absprachen akzeptiert und nur 25 abgewiesen, berichtete das Portal EU-Observer.

"Kontroversiell, aber nicht illegal"

Den Rechnungshofprüfern sind die Praktiken offenbar nicht restlos geheuer. Sie vermeiden aber jede Form offener Kritik. Das niederländische Steuersystem würde "nicht substanziell von jenen in Ländern wie Großbritannien, Schweiz oder Luxemburg (abweichen)", heißt es im Bericht. Allerdings räumen die Prüfer ein, dass "substanzielle Dividenden-, Zins- und Lizenzzahlungen durch die Niederlande fließen". In den letzten zehn Jahren seien diese Geldströme massiv angeschwollen.

Ganz besonders trifft das auf Lizenzen, Patente und Markenrechte zu: Erträge aus intellektuellem Eigentum werden in den Niederlanden nämlich praktischerweise gar nicht besteuert - ein Grund, warum unter anderem Bands wie die Rolling Stones oder U2 ihre Songrechte dorthin ausgelagert hatten. Aber auch für andere Unternehmensausgaben lassen sich diese günstigen Sonderregeln ausnützen. Das tut unter anderem die US-Kaffeekette Starbucks, die EU-Kommission überprüft bereits, ob dieses Steuermodell mit EU-Regeln konform ist. Erfolgreich ist es allemal: Die Zahlungsflüsse in die Niederlande schwollen von 5,4 Milliarden Euro (2003) auf 18,5 Milliarden Euro (2012) an. Im Mehrjahres-Schnitt waren es sogar 26 Milliarden Euro.

4,5 Milliarden Euro Ausfall

"Das bedeutet bei den übrigen Staaten einen Steuerausfall von rund 4,5 Milliarden Euro", rechnet der Wiener Steuerberater Gottfried Schellmann vor. "Das ist viel, sogar sehr viel, aber weit entfernt von der Billion Euro, die die EU-Kommission genannt hat." Auf diesen Betrag hatte EU-Kommissar Algirdas Šemeta die gesamten Steuerausfälle in der EU durch die Steuerumgehung beziffert. "Keine Frage, man muss das abstellen. Aber diese unmäßigen Übertreibungen sind damit wohl falsifiziert", so Schellmann.

73 Milliarden Euro Dividenden

Nicht minder spektakulär sind allerdings die Geldflüsse aus Dividenden: Zuletzt waren es fast 73 Milliarden Euro, die den niederländischen Sonderfinanzvehikeln zukamen; mehr als fünf Mal so viel wie noch im Jahr 2004 und fast zehn Mal so viel, wie in Österreich anfällt. Insgesamt nahmen die Niederlande daraus 2,2 Milliarden Euro Steuern ein. Offiziell werden Dividenden zwar mit 15 Prozent besteuert. Ausländische Konzerne könnten ihre Steuerlast aber unter 1 Prozent drücken, schreiben die Rechnungshofprüfer - und zwar nur unter Ausnutzung der gültigen Steuerverträge und der europäischen Gesetzeslage.

Zinsen: Auch darauf fallen in den Niederlanden keine Steuern an. Die Zuflüsse betrugen im Schnitt 12 Milliarden Euro pro Jahr und haben sich in den letzten zehn Jahren ungefähr verdoppelt. Weitere erstaunliche Erkenntnisse der Prüfer: Sie könnten keine durchgängigen Muster angeben, weil die Steuermodelle "maßgeschneidert" für die Bedürfnisse seien: "Die Arrangements können sich von einem Unternehmen zum anderen unterscheiden."

"Untergräbt solide Finanzen"

Das Fazit der Prüfer: Alle Länder stünden in einem intensiven Wettstreit um Steuervorteile. Das könne die "Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen und faire Verteilung der Steuerlast untergraben". Weil Steuerdumping aber ein internationales Phänomen sei, wären die Niederlande allein dagegen ohnehin machtlos. Immerhin: Die Regierung sollte die internationalen Initiativen von OECD, G20, EU und UNO aktiv unterstützen, lautet der Rat des Rechnungshofes.

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