Lux-Leaks: Juncker verteidigt sich

Jean-Claude Juncker
Rechtliche Verfehlungen habe es nicht gegeben. Nun will Juncker in die Offensive gehen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerte sich am Mittwoch doch noch zu der Affäre um Steuerpraktiken Luxemburgs ("Lux-Leaks") vor dem Europaparlament. Geplant waren eigentlich nur Stellungnahmen von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici - doch Juncker trat am Nachmittag höchstselbst vors Plenum, nachdem er eine Woche lang auf Tauchstation gegangen war.

Anlass sind die jüngsten Enthüllungen über Steuerfluchtmodelle Luxemburgs aus Junckers Amtszeit als Regierungschef. Demnach hätten Hunderte Konzerne - legal - Steuern umgangen, indem sie ihre Profite nach Luxemburg schleusten. An sich keine Überraschung: Seit Sommer 2013 laufen vier Prüfverfahren gegen Irland, die Niederlande und Luxemburg.

Diese sprach Juncker am Mittwoch auch vor den EU-Abgeordneten an - es werde geprüft und zwar unabhängig. Er werde mit der zuständigen Kommissarin nicht über die Causa reden und sich nicht einmischen - "sonst hätte ich jedwede Autorität verloren".

"Kein Interessenskonflikt"

Insofern könne Juncker "die Kommentare in diesem Zusammenhang nicht verstehen, auf Teufel komm' raus einen Interessenkonflikt zu sehen", so Juncker auf französisch. "Ich war luxemburgischer Premier, das ist bekannt, nun bin ich Kommissionspräsident. Ich stehe hier als Kommissionspräsident und nicht als Regierungschef."

Die "Lux-Leaks" seien das Resultat mangelnder Steuerharmonisierung in der EU; Rat und Kommission hätte aber auf diese Begebenheiten reagiert. Und er selbst werde sich weiterhin - wo schon zuvor - für eine Harmonisierung einsetzen. Man werde "gerechtere Regeln zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union finden".

Die an Junckers Erklärung anschließende Debatte verlief teilweise recht emotional: Während Vertreter der EVP und der Sozialdemokraten Juncker in Schutz nahmen, sprachen die Liberalen von einem "Riesenschatten" über der Kommission.

Es gab verhaltenen Applaus – und einige Buhrufe. Dass Juncker sich dem Parlament stellte, sei "ein guter erster Schritt", sagt SPÖ-Mandatarin Evelyn Regner zum KURIER. "Wenn Juncker klug ist, dann wird er bald ein umfassendes Paket vorlegen. Wir im Parlament müssen darüber wachen, dass auch etwas mit Substanz zustande kommt."

Von 100 Tagen Schonfrist keine Spur: Schon in seiner ersten Woche als Kommissionspräsident hat Jean-Claude Juncker richtig Ärger bekommen. Unter der Koordination des International Consortium of Investigative Journalists haben u.a. die Süddeutsche Zeitung, The Guardian und Le Monde enthüllt, wie zahlreiche Großkonzerne über verwinkelte Modelle in Luxemburg im großen Stil Steuern gespart haben - offenbar mit Hilfe der dortigen Behörden.

Angesichts der Enthüllungen steht Juncker unter Druck: Die Grünen im EU-Parlament fordern seinen Rücktritt, die Sozialdemokraten wollen ihn zumindest dazu befragen.

Es steht außer Zweifel, dass Juncker über ein Vierteljahrhundert hinweg die Steuerpolitik Luxemburgs als Finanz- und/oder Premierminister (einige Jahre war er beides) geprägt hat. Mutmaßlich hat er zumindest in den Grundzügen gewusst, wie die Steuerspar-Modelle der Großkonzerne von den Behörden behandelt und dass sie offenbar mitunter vorab abgesegnet wurden.

Rücktrittsreif ist er deswegen nicht.

Erstens fehlt der Überraschungseffekt: Luxemburgs Steuerpolitik ist bekannt, ebenso Junckers Anteil daran. Wer ihm jetzt vorwirft, dass er mitgeholfen hat, die Steuerschuld großer Konzerne in anderen Ländern zu senken, der könnte ihm genauso gut vorwerfen, dass er ein nicht allzu großer grauhaariger Mann Ende Fünfzig mit Brille ist. Will sagen: Jeder im EU-Parlament oder in nationalen Regierungen muss gewusst haben, wer da neuer Kommissionschef wird. (Die Rücktrittsforderung der Grünen ist trotzdem glaubwürdig, sie haben Juncker ja mehrheitlich nicht gewählt.)

Zweitens fehlt der Skandalfaktor, was Juncker betrifft: So weit es bekannt ist, sind die Luxemburger Steuerspar-Modelle völlig legal. Das freilich ist - bei näherer Betrachtung dieser Modelle - der eigentliche Skandal. Nur sollte man das weniger Juncker vorwerfen, der als nationaler Regierungschef das versucht hat, was nationale Regierungschefs nun einmal versuchen: Firmen und Geld ins Land holen.

Vielmehr kann man sich darüber empören, dass im Kreis der 28 Regierungschefs bzw. 28 Finanzminister noch nicht genug Druck aufgebaut wurde, damit Steueroasen wie Luxemburg ihre Geschäftsmodelle ändern. Man weiß, dass es oft nur so geht - oder glaubt jemand, dass Österreich sich vom Bankgeheimnis für Ausländer aus einer plötzlichen Eingebung heraus verabschiedet?

Wenn man so will, hat Juncker in der Vergangenheit nur das gemacht, wofür er gewählt worden war. Daran sollte man ihn auch in seinem neuen Job messen: Als Kommissionschef kann er (in einem gewissen Rahmen) mithelfen, Druck auf Luxemburg aufzubauen, sich vom Steueroasen-Geschäftsmodell zu verabschieden.

Tut er das nicht, dann - aber erst dann - ist er rücktrittsreif.

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Lux-Leaks: Juncker verteidigt sich
Kommissionschef Jean-Claude Juncker prägte 25 Jahre lang die Steuerpolitik Luxemburgs

Die Steuervorteile für Unternehmen in Luxemburg sind nach einer am Mittwoch veröffentlichten Studie von Eurodad (European Network on Debt and Development) auch in zahlreichen anderen EU-Ländern verbreitet. So reicht die Bandbreite in 15 untersuchten EU-Staaten von knapp über einem Prozent in Luxemburg für bilaterale Verträge mit Entwicklungsländern bis zu knapp maximal sechs Prozent in Spanien.

Österreich findet sich in der Aufstellung nicht. Nach Luxemburg bieten auch Polen und Belgien eine Steuersatzreduktion für Entwicklungsländer auf etwas über einem Prozent an, Italien liegt bei zwei Prozent, Ungarn und Tschechien zwischen zwei und drei Prozent, Deutschland und Slowenien bei knapp unter drei Prozent, die Niederlande, Frankreich und Irland über drei Prozent, Dänemark und Schweden knapp unter vier Prozent, Großbritannien über vier Prozent und Spanien unter sechs Prozent.

Es gibt darüber hinaus aber auch Einzelfälle, wo Entwicklungsländer überhaupt keine Steuern bezahlen. So hat laut Eurodad - eine Gruppe von Nicht-Regierungsorganisationen - Großbritannien die Steuerquote auf Lizenzgebühren für Sierra Leone von 25 auf null Prozent gesenkt.

Die Zahl der bilateralen Steuervereinbarungen ist von rund 1.000 im Jahr 1993 auf nunmehr 3.000 gestiegen. Eurodad weist darauf hin, dass diese Verträge oft unfair gegenüber den Entwicklungsländern gestaltet seien. Praktiken zur Erleichterung von Steuerhinterziehung durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit würden breit genützt, damit in manchen Fällen Regierungen behaupten können, wettbewerbsfähig zu sein, so Eurodad in seiner Untersuchung. Damit werde aber ein Wettlauf nach unten gestartet, womit Länder auch ihre Steuerstandards senken, um für internationale Kooperationen attraktiv zu werden. Dazu zählten demnach auch Irland, Luxemburg und die Niederlande.

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