Ganz nah dran an der Realität

Ganz nah dran an der Realität
Tiroler Stiftungsprofessur intensiviert die Praxis für angehende Nutztierpraktiker, um Tierärztemangel abzuwenden.

Ein Rind, das sich an der Klaue verletzt hat; eine Kuh mit einer Euterentzündung; ein Schaf, das nicht frisst. Ein Kälbchen, das unbedingt in einer kalten Winternacht auf die Welt kommen will, und das nicht grad ums Eck, sondern in einem Bergbauernhof hoch oben in einem Tiroler Seitental. Das riecht nach Kuhstall – und nach einer Menge Action. Denn, wann immer ein tiermedizinisches Problem auftritt, springen sie ins Auto und fahren zu ihren Patienten hin: die Tierärztinnen und Tierärzte des Landes. In Österreich, mit seinen auch im alpinen Gelände verstreuten, kleinbäuerlichen Betriebsstrukturen von durchschnittlich 15 Kühen im Stall, sind Veterinäre mit Spezialisierung auf Wiederkäuer wichtige Ansprechpartner.

Ganz nah dran an der Realität

Die Außenstelle der Vetmeduni in Tirol ist Knotenpunkt zwischen Ausbildung, Praxis und Wissenschaft

von Univ.-Prof. Dr. med. vet. Lorenz Khol, Vetmeduni Wien

Mangelberuf im Westen

Doch wie in vielen anderen Bereichen gibt es auch in dieser Sparte immer weniger Nachfolger, „die, so wie früher die klassischen Nutztierpraktiker, eine Praxis 365 Tage im Jahr leiten wollen. Auch an einem 24. Dezember, wenn es einen Notfall gibt. Wird heute eine Stelle ausgeschrieben, meldet sich meist niemand oder nur sehr wenige Interessenten“, stellt Lorenz Khol, Professor an der Universitätsklinik für Wiederkäuer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni) fest. 

Doch man weiß gegenzusteuern. Seit 2019 leitet der 47-jährige Wiener mit Tiroler Wurzeln die Stiftungsprofessur (eingerichtet vom Land Tirol) in Form dieser neuen Außenstelle der Wiener Vetmeduni in Innsbruck. Hauptmodul ist die „Wiederkäuermedizin im Alpenraum“, flankiert von dem Nebenmodul „Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit und Almwirtschaft“. Je 20 Studierende bekommen im Klinikjahr die Gelegenheit ihr Studium in Innsbruck zu absolvieren. Neben Vorlesungen und Sektionsübungen haben sie die Möglichkeit, Tiroler Tierärztinnen und Tierärzte bei der Arbeit zu begleiten. 

Khol: „Unsere Studierenden sind dann ganz nah dran am Geschehen und lernen so den Berufsalltag einer Tierärztin, eines Tierarztes am Land in vielen Facetten kennen. Im besten Fall springt der Funke über und Studierende erfahren, wie gut und erfüllend die Arbeit im Nutztierbereich sein kann.“ Voraussetzung neben dem fachlichen Interesse ist, „dass man gerne am Land lebt, körperlich anstrengende Arbeit nicht scheut, sich auch mal dreckig macht und stets verfügbar ist.“

Eine weitere Intention zur intensiven Ausbildung ist die Vernetzung zwischen Studierenden, Tierärztinnen, Tierärzten und Bauern vor Ort. „Möglicherweise möchte der eine oder andere fertige Veterinärmediziner gerne in westlicheren Gefilden beruflich Fuß fassen. Wenn man Land und Leute schon kennt, ist das umso leichter“, sagt Khol.

Ganz nah dran an der Realität

Die Bauern öffnen Studenten des Vetmeduni-Standorts Innsbruck ihre Hoftüren für Praxis und Forschung.

Forschungsort: Alm

Durch die „Tirol Connection“ profitiert auch die Forschung. Ein Schwerpunkt gilt dem Klimawandel. Die Alpen sind ein optimales Untersuchungsfeld dafür. Lorenz Khol: „Die Alpen sind ein Hotspot der Klimaveränderungen, die sich in höheren Lagen unmittelbarer und schneller auswirken. Der Niederschlag wird weniger, damit auch das Gras. Die Tiere leiden zunehmend unter Hitzestress“, sagt Khol, der Studierende durch den direkten Erkenntnisgewinn vor Ort auch dafür sensibilisiert. So werden künftig wohl auch die Tierärzte und Tierärztinnen durch ihre Empfehlungen für zeitgemäße Nutztiererhaltung wesentlich zu Tierwohl und gesunden Lebensmitteln beitragen.