Warum Sex auch im Alter nicht an Bedeutung verliert
Auch jenseits der Lebensmitte wünschen sich Männer und Frauen erotische Erfüllung. In der Gesellschaft werden Sexualität und Lust im Alter aber nach wie vor wenig thematisiert.
"Die allgemeine Auffassung ist, dass ältere Erwachsene nicht so sexuell aktiv sind wie jüngere Erwachsene – oder überhaupt nicht mehr sexuell aktiv sind", bestätigt auch Lee Smith, Epidemiologe und Sportmediziner an der britischen Anglia Ruskin University in Cambridge und Autor einer aktuellen Studie zum Thema (Journal of Sexual Medicine).
Sexuelle Aktivität nehme Lee zufolge mit dem Alter zwar tatsächlich ab, "ältere Menschen sind deswegen aber nicht asexuell". Erst kürzlich hatte eine US-Studie ergeben, dass viele US-amerikanische Senioren ein aktives Sexualleben haben: 40 Prozent der Befragten im Alter zwischen 65 und 80 Jahren gaben dabei an, Sex zu haben.
Langfristiger Stimmungsmacher
In der aktuellen Erhebung untersuchte Smith zusammen mit Kollegen Daten von knapp 7.000 Erwachsenen im Alter von 50 bis 89 Jahren. Dabei machten die Studienteilnehmer Angaben dazu, wie und wie oft sie Geschlechtsverkehr hatten. Zudem bewerteten sie ihre Lebensqualität und ihr Wohlbefinden anhand beschreibender Aussagen, etwa "Ich fühle mich voller Energie" oder "Mir machen die Dinge, die ich tue, Spaß".
Ausgehend davon wurde das allgemeine Wohlbefinden jeder Probandin und jedes Probanden anhand einer Skala von 0 bis 15 bewertet. Erwachsene, die sexuell aktiv waren, wiesen im Schnitt eine höhere Lebensqualität auf, ebenso wie jene, die berichteten, dass sie sich ihrem Partner oder ihrer Partnerin emotional nahe fühlten.
Geschlechterunterschiede
Sexuell aktive Männer erreichten auf der Skala im Schnitt einen Wert von 9,75, während jene Männer, die nicht mehr sexuell aktiv waren, durchschnittlich Werte um 9,44 erreichen. Bei Frauen lagen diese Werte bei 9,86 (sexuell aktiv) – beziehungsweise 9,67 (sexuell nicht aktiv). Bei Männern zeigte sich ein besonders starker Zusammenhang zwischen regelmäßigen Geschlechtsverkehr und ihrem Wohlbefinden. Bei Frauen beeinflusste körperliche Nähe ohne Geschlechtsverkehr, also etwa häufiges Küssen oder Streicheln, die Lebensfreude am stärksten.
Wie die Forscher berichten, seien die Unterschiede statistisch signifikant genug, um auf einen Zusammenhang hinzudeuten.
Die Gründe für die Geschlechterunterschiede konnten nicht erhoben werden. Denkbar seien Smith zufolge jedoch evolutionsbedingte Ursachen. Biologisch gesehen sei der Geschlechtsverkehr für Frauen weniger zweckdienlich, nachdem sie die Wechseljahre durchlaufen haben und nicht schwanger werden können, während Männer weiterhin Sperma produzieren und während ihres gesamten Lebens fruchtbar bleiben können.
Ob der Sex ein gesteigertes Wohlbefinden bedingt, oder umgekehrt, konnte im Zuge der Studie nicht ermittelt werden. Smith sieht ohnedies einen wechselseitigen Zusammenhang als wahrscheinlich an.
Mut zur Sexualität
Die Ergebnisse würden jedenfalls belegen, dass sexuelle Aktivitäten jeglicher Art für ältere Menschen wichtig sind – möglicherweise, weil dadurch Endorphine freigesetzt oder Gefühle emotionaler Nähe gefördert werden. Erwachsene aller Altersgruppen zu ermutigen, Sexualität als Teilaspekt ihrer psychischen wie physischen Gesundheit zu sehen, sei Smith zufolge daher mehr als wünschenswert.
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