Warum "13 Reasons Why" Teenager in Gefahr bringt

"13 Reasons Why" handelt vom Suizid einer 17-Jährigen. International wird das Format massiv kritisiert. Was eine Psychologin und ein Suizidforscher dazu sagen.

Groß war die Vorfreude, als Netflix Ende 2015 ankündigte, den Bestseller "Thirteen Reasons Why" von Jay Asher auf die Bildschirme zu bringen. Groß ist nun auch die Kritik an der 13-teiligen Fernsehserie, die seit 31. März über den Streaming-Dienst ausgestrahlt wird.

Hype & Kontroversen

"Tote Mädchen lügen nicht", so der deutsche Titel der Produktion, handelt vom Selbstmord der Schülerin Hannah Baker, die ihre Geschichte auf Tonbändern hinterlässt. Auf den Kassetten nennt das Mädchen 13 Gründe für ihren Suizid und gibt ihrem Umfeld die Schuld dafür.

Nach der Veröffentlichung, an deren Umsetzung US-Sängerin Selena Gomez als Produzentin mitwirkte, wurde rasch das missglückte Aufgreifen der Themen Mobbing, Gewalt, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und schließlich auch Suizid diskutiert. US-Psychologen warnen Jugendliche und Erwachsene davor, sich die Serie anzusehen, da diese psychische Probleme hervorrufen und verstärken könne. In den sozialen Medien zeigen sich Eltern besorgt, an kanadischen Schulen wurde die Fernsehserie mittlerweile verboten, in Neuseeland dürfen Minderjährige die Serie nur im Beisein eines Erziehungsberechtigten sehen.

Netflix reagierte Anfang Mai auf die negative Resonanz und ergänzte die Serie um eine Handvoll Warnhinweise. Nic Sheff, der zum Autorenteam der Serie gehört, argumentierte, dass die Serie den Zuschauer mit der Realität konfrontiere und verdeutlichte, dass Selbstmord keine Erlösung, sondern "qualvollen Horror" bedeute.

Kritiker rücken dennoch nicht von ihrer Meinung ab. Der Tenor: Die Sendung stellt eine nicht kontrollierbare Projektionsfläche für Jugendliche dar, die Verherrlichung des Suizids ist unverantwortlich. Diese Ansicht teilt auch Thomas Niederkrotenthaler, Assoziierter Professor für Public Health an der Med Uni Wien. Er ortet in der Darstellung von Suizidalität eine gefährliche Eindimensionalität, außerdem würden diverse Mythen zum Suizid scheinbar bestätigt: "Beispielsweise wird gesagt, dass die Hauptdarstellerin zu schwach war, um dem Suizid zu entgehen. Tatsächlich ist es aber so, dass Suizid oder Suizidgedanken nichts mit einer starken oder schwachen Persönlichkeit zu tun haben", erklärt der Suizid-Forscher. Es werde auch vermittelt, dass der Suizid für die Darstellerin das einzig verständliche Mittel war, um einen Ausweg aus ihrer Situation zu finden. "Es wird suggeriert, dass es alternativlose Fälle gibt, doch das stimmt nicht. Hilfsangebote sind immer sinnvoll und können auch bei manifester Suizidalität greifen."

Diese Aspekte sind angesichts der jungen Zielgruppe besonders gefährlich: "Es wird nicht darauf eingegangen, wie man mit Suizidgedanken umgehen und Probleme wie Mobbing, Missbrauch und andere Realitäten bewältigen kann." Die Serie biete ein sehr großes Identifikationspotenzial, weil die dargestellten Krisen für viele Teenager zur Lebensrealität gehören. Studien hätten gezeigt, dass solche Identifikation mit filmischen Darstellungen eines Suizids, der als ausweglos präsentiert wird, tatsächlich Suizidgedanken verstärken können.

Steigende Suizidraten

In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen zeigte sich laut Bundesministerium für Gesundheit in den vergangenen Jahren ein Rückgang der Suizidrate. Dass Suizidalität bei Jugendlichen ein Thema ist, zeigt aber die steigende Zahl der Beratungen, die bei der Notrufhotline Rat auf Draht dazu durchgeführt werden. Gezielte Anfragen zu "13 Reasons Why" wurden bisher nicht registriert.

Das Defizit der Serie sieht Niederkrotenthaler in diesem Kontext einmal mehr darin, dass keine Hilfsangebote gemacht werden. In der Realität gebe es für Betroffene sehr wohl ein offenes Ohr, sei es bei Eltern, Freunden oder Vertrauenspersonen beziehungsweise in Form von professioneller Hilfe in Kriseninterventionszentren. Das Argument der Macher, dass man mit der Serie eine abschreckende Wirkung erzielen wolle, lehnt er ab. Man erfahre außerdem wenig über den inneren Horror, den Menschen in Krisen wirklich durchleben. Warnhinweise alleine würden die Wirkung ebenfalls nicht beeinflussen. "Wenn man sich einem so komplexen Thema wie Suizidalität widmet, muss man ein deutliches Zeichen im Inhalt setzen."

Verbote seien nicht zielführend. Das führe zur Tabuisierung und dazu, dass erst recht nicht darüber geredet wird. "Nur wenn man sich intensiv darüber austauscht, kann dieser nicht geglückte Aufklärungsversuch zu etwas Förderlichem werden."

Hilfe finden Sie bei der Telefonseelsorge (142) sowie bei Rat auf Draht (147) und online: www.kriseninterventionszentrum.at & www.bittelebe.at.

KURIER: Was kann "13 Reasons Why" bei Jugendlichen, die Erfahrungen mit Mobbing oder Missbrauch gemacht bzw. selbst Suizidgedanken haben, auslösen?

Luise Hollerer: Die Jugend ist von Gefühlen der Extreme geprägt, weil körperliche und geistige Reifung nicht parallel verlaufen und die emotionale Steuerung erst erworben werden muss. Deshalb können bei Teenagern Gefühle schnell übermächtig werden. Genau das macht solche Inhalte gefährlich, weil Gefühle massiv ins Negative verstärkt werden können.

Was kann zu Suizidgedanken bei Jugendlichen führen?

Schwerwiegende Konflikte, Beziehungsprobleme, Veränderungskrisen, durch Orts- oder Schulwechsel, sowie Suizid und Suizidversuche im Umfeld.

In der Serie wird stark mit Schulzuweisungen gearbeitet. Kann die Sendung bei Jugendlichen, die einen Freund oder eine Freundin durch Suizid verloren haben, zu Problemen führen?

Filme oder TV-Serien wollen grundsätzlich immer Empfindungen beim Publikum auslösen. Die Sendung kann daher natürlich Schuldgefühle, die im Kontext eines Suizids im Umfeld aufkommen, enorm verstärken und bei Hinterbliebenen ein ohnehin vorhandenes Stigma noch weiter verstärken.

Halten Sie das Aufgreifen der behandelten Themen im Sinne der Aufklärung grundsätzlich für sinnvoll?

Das Aufgreifen der Thematik ist wichtig, weil Fragen wie "Welchen Wert hat mein Leben?", "Welchen Wert habe ich?" und "Wie gehe ich mit Krisen um?" in der Realität der Jugendlichen vorhanden sind. Die Frage ist, ob Unterhaltungsfilme per se ein geeignetes Medium dafür sind. Vielmehr sollte es die Aufgabe des sozialen Begleitumfeldes von Jugendlichen sein, dass diese Themen präventiv aufgegriffen und Teenager begleitet werden.

Wie kann ich als Elternteil oder als Lehrkraft in der Schule den Konsum derartiger Inhalte begleiten und gestalten?

Es gilt, Raum zu schaffen, sodass Gefühle ausgedrückt und Lösungen diskutiert werden können. Jugendliche lernen dabei eine Position zu bestimmten Problemthemen zu beziehen und gleichzeitig Strategien für die Bewältigung verschiedener Herausforderungen kennen.

Wie kann einen sinnhafte Aufklärung aussehen?

Aufklärung ist immer besser als Verbote, denn auf Youtube kann man heute alles konsumieren. Wenn Jugendliche sich einen Inhalt beschaffen wollen, werden sie das tun. Wichtiger wäre, dass Jugendliche lernen ihre Emotionen zu regulieren. Das sollte auch Eingang in Lehrpläne finden und im Privaten beachtet werden. Natürlich ist auch professionelle Begleitung hilfreich, die aufzeigt, wie man aus einem depressiven Gefühlssog wieder herauskommt.

Hilfe finden Sie bei der Telefonseelsorge (142) sowie bei Rat auf Draht (147) und online: www.kriseninterventionszentrum.at und www.bittelebe.at.

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