Der Kampf mit dem Trauma

Viele Flüchtlinge sind nach dem Verlassen ihrer Heimat stark traumatisiert.
Flüchtlinge, die aus kriegs- und krisengebeutelten Regionen nach Österreich kommen, kämpfen oft mit tiefgreifenden Traumata. Angebote psychosozialer Betreuung eröffnen Betroffenen die Möglichkeit der Rehabilitation.

Neben Vereinen, die Flüchtlingen in Österreich bei der sozialen Integration zur Seite stehen, Rechtsberatung anbieten oder bei der Strukturierung des Alltags helfen, widmen sich andere Organisationen der therapeutischen und psychosozialen Betreuung von Asylwerbern und anerkannten Flüchtlingen. Nur so können die traumatischen Erlebnisse, die meist von Krieg, Folter, Verfolgung und Lebensgefahr gekennzeichnet sind, und die damit verbundenen Symptome, bearbeitet und eine vollständige Genesung in Aussicht gestellt werden.

Susanne Baumann arbeitet als Klinische und Gesundheitspsychologin im Therapiezentrum OASIS der Volkshilfe OÖ. Im Interview mit dem KURIER spricht Sie unter anderem über das österreichweit dünn gesäte Angebot bei der psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen, die größten Herausforderungen in der Arbeit mit traumatisierten Klienten und therapeutische Notfallszenarien bei Budgetengpässen.

KURIER: Wie beurteilen Sie das Gesamtangebot psychosozialer Betreuung für Flüchtlinge in Österreich?

Susanne Baumann: Es gibt derzeit ganz klar zu wenig psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten. Die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind besonders problematisch, denn sie führen oft zu einer Verschlechterung der psychischen Symptomatik, zur Chronifizierung des Zustandsbildes und so auch zur Zuspitzung der Situation in den Flüchtlingsquartieren. Auch die psychosoziale Betreuung vor Ort in den Flüchtlingsunterkünften müsste dringend ausgebaut werden.

Wie sieht das konkrete Angebot der psychosozialen Betreuung für Flüchtlinge im Therapiezentrum OASIS in Linz aus?

Wir bieten dolmetschergestützte psychologische und psychotherapeutische Behandlung für geflüchtete Kinder und Jugendliche, erwachsene Asylwerber und anerkannte Flüchtlinge an. Wir führen Erstgespräche, psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlungen und Kriseninterventionen überwiegend im Einzelsetting durch. Bei Bedarf kann man bei uns auch Paar- und Familientherapien in Anspruch nehmen.

Sind die Dolmetscher bzw. Therapeuten in Ihrer Einrichtung speziell ausgebildet?

Ja, unsere Dolmetscher sind speziell für das Übersetzen von Therapiegesprächen geschult. Die Behandler haben wiederum Ausbildungen in verschiedenen Formen der Traumatherapie bzw. Kinder- und Jugendpsychotherapie.

Wie viele Personen bzw. Paare und Familien werden derzeit in Ihrer Einrichtung psychologisch betreut? Und: Wie viele Therapeuten stehen zur Verfügung?

Vom 1. Jänner bis zum 16. August 2016 wurden bei OASIS insgesamt 361 Klienten betreut. Unter den 361 Klienten waren 100 Kinder oder Jugendliche in Behandlung. Bis dato wurden in diesem Jahr in Summe 2139 Therapieeinheiten durchgeführt, davon 477 Einheiten mit Kindern und Jugendlichen. Dieser Klientenzahl stehen derzeit 16 Psychologen gegenüber. 100 Personen befinden sich aktuell noch auf der Warteliste für einen freien Therapieplatz. Sie müssen allesamt mit mehreren Monaten Wartezeit auf eine Behandlung rechnen. Wir versuchen natürlich Krisenfälle, beispielsweise bei Suizidalität oder akuter Gewalterfahrung, sowie Kinder und Jugendliche vorzuziehen und einen raschen Termin zu ermöglichen. Durch den Anstieg der Flüchtlingszahlen in Österreich haben sich die Wartezeiten auf einen Therapieplatz aber leider deutlich erhöht.

Wie wird ausgewählt, wer für eine Therapie in Frage kommt?

Im Zuge eines Erstgespräches werden erst einmal die Anliegen des Klienten besprochen. Basierend darauf wird dann die fachliche Notwendigkeit einer Behandlung geklärt. In manchen Fällen zeigt sich bereits beim Erstgespräch, dass der Klient eine rechtliche oder soziale, und keine psychologische Unterstützung benötigt. Da stellen wird dann einen Kontakt mit den zuständigen Ansprechpersonen oder Einrichtungen her.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Herausforderungen bei der psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen?

Die ungewisse Aufenthaltssituation in Verbindung mit der immensen Angst vor Abschiebung stellt wohl die größte Problematik dar. Natürlich ist auch die individuell empfundene Scham der Menschen ein kritischer Faktor. Oft schämen sich Betroffene schlichtweg zu sehr, um eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, da in ihrem Kulturkreis psychologische Betreuung häufig mit einer Stigmatisierung einhergeht. Auch die Retraumatisierungsgefahr ist nicht zu unterschätzen. Reize, die eine Ähnlichkeit zum Trauma aufweisen, können eine Retraumatisierung auslösen und im schlimmsten Fall zu einem Suizidversuch führen. Hinzu kommen eine ganze Reihe weiterer Problemfaktoren, wie beispielsweise die "anormale" und belastende Lebenssituation in den Asylheimen oder das Fehlen von Normalität im Alltag. Viele Flüchtlinge haben auch, je nach Aufenthaltsstatus, keine Möglichkeit einer geregelten Arbeit nachzugehen und sich einen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie fühlen sich nicht gebraucht, das erschwert wiederum die Integration.

Welche spezifischen Diagnosen werden seitens der Therapeuten am häufigsten gestellt?

Die häufigste Diagnose ist die Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTSD (Posttraumatic Stress Disorder). Hier steht in der Regel die Symptomatik wiederkehrender Erinnerungen, des Vermeidungsverhaltens, der Übererregung sowie Depressionen und Angststörungen im Vordergrund.

Wie lange dauert es in etwa in der Regel, bis eine Therapie abgeschlossen ist?

Im Allgemeinen kann unter förderlichen Bedingungen bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit einer relativen Rehabilitierung gerechnet werden. Eine psychologische Behandlung bzw. Psychotherapie kann aber nur dann zu einer vollständigen Genesung führen, wenn die erforderliche Basis für eine Behandlung gegeben ist - nämlich die äußere Sicherheit sowie wenig Auslösereize in Bezug auf traumatische Inhalte. Solange Personen keine faktische Sicherheit über Leib und Leben haben und nicht wissen, ob sie nicht wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt werden, können traumatische Erfahrungen nicht gänzlich der Vergangenheit zugeordnet werden, was die Behandlungsdauer deutlich erhöht.

Auf der Homepage der Volkshilfe Oberösterreich ist angeführt, dass das Angebot von den Europäischen Flüchtlings Fonds, der OÖ Gebietskrankenkasse und dem Land OÖ gefördert wird. Wie wird diese Finanzierung jährlich bemessen?

Es gibt jedes Jahr ein fixes Budget von allen drei Geldgebern. Da die Therapieeinheiten auf den Flüchtlingszahlen in Oberösterreich aus der Vergangenheit beruhen und aktuelle Zahlen nicht berücksichtigt werden, kommt es oft zu Versorgungsengpässen im Therapieangebot. Wir hoffen aber sehr, dass aufgrund der langen Warteliste für 2017 eine Erhöhung der Einheiten möglich sein wird. Derzeit ist das leider noch ungewiss.

Wie wird bei Budgetengpässen reagiert? Was passiert mit den Klienten, wenn die Behandlung aus Budgetgründen abgebrochen werden muss?

Wenn nicht genug Einheiten für eine Behandlung vorhanden sind, kann die Betreuung bei Personen mit schwerwiegenden Traumatisierungen, Suizidalität, Gewalterfahrungen sowie bei Kindern und Jugendlichen mittels Kriseninterventionen überbrückt werden. So kann die weitere Betreuung zumindest im eingeschränkten Ausmaß sichergestellt werden.

Der Kampf mit dem Trauma

Informationen zu den psychosozialen Angeboten und Projekten für Flüchtlinge in Österreich finden Sie auf den jeweiligen Homepages der aktiven Vereine und Organisationen:

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