"Corona-Impfung als Menschenexperiment?": Faktencheck mit Star-Virologin von Laer
Blick zurück ohne Zorn: Die prominente Virologie-Professorin erklärt den aktuellen Wissensstand zu Corona.
KURIER: Corona sorgt weiterhin für Kontroversen. Daher möchte ich mit Ihrer Hilfe einen Faktencheck rund um Theorien machen, die auch in der KURIER–Leserschaft kursieren. Eine davon lautet, dass es seit der Impfung mehr Krebs und Schlaganfälle gibt.
Dorothee von Laer: Die Krebs- und Schlaganfallszahlen sind schon vor Corona gestiegen. Allerdings sinkt dank besserer Therapien die Sterblichkeit. Dass es zum Beispiel mehr Magen-Darm-Tumore gibt, liegt am hohen Fleischkonsum. Aber auch Mikroplastik steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Bei Schlaganfällen gehören Übergewicht und Ernährung zu den Ursachen.
Welche Nebenwirkungen hat die Corona-Impfung?
Bei jungen Frauen gab es durch die Impfstoffe von Astra Zeneca und Johnson & Johnson ein erhöhtes Thromboserisiko. Und junge Männer hatten eine leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Herzmuskelentzündung, die aber von allein ausheilt. Beides trat extrem selten auf. Das Risiko, durch eine Corona-Infektion einen Herzinfarkt, Thrombosen oder einen Schlaganfall zu erleiden, ist mehr als 1000-fach höher.
Wie gefährlich ist das Coronavirus derzeit eigentlich?
Das Virus ist lange nicht mehr so gefährlich wie zu Pandemiebeginn, etwa vergleichbar mit einer Grippe.
Experten, die das Virus anfangs mit der Grippe verglichen, wurde widersprochen.
Gegen das Corona-Virus gab es keine Immunität, daher musste man wirklich einen Heidenrespekt davor haben.
Manche meinen, die mRNA-Impfung sei eine Gentherapie und bleibe im Körper.
Nein, mRNA ist etwas, das nur kurzfristig in der Zelle ist und wieder abgebaut wird. Bei einer Lebendimpfung – wie bei Masern, Mumps und Röteln – bringt man das lebende Virus in den Körper ein, das sich kurzfristig vermehrt und Virus-Bausteine erzeugt. Das ergibt eine Immunantwort, und das Virus verschwindet. Und genauso ist es mit der mRNA-Impfung. Es ist keine DNA. Die kann in den Zellkern gelangen und dort permanent bleiben.
Manche Bürger halten das Ganze ja für ein großes Menschenexperiment, bei dem man auf Anordnung der Pharmaindustrie genmanipuliert wurde.
Wir nehmen täglich Gene aus Pflanzen oder Tieren zu uns. Nach dem Fleischgenuss ist die DNA in unserem Blut nachweisbar. Wir haben im Rahmen der Krebstherapie schon 15 Jahre an dieser mRNA-Technologie gearbeitet. Die Erkenntnisse haben den Impfstoff sehr sicher gemacht.
Studiogespräch mit Virologin Dorothee von Laer
Kritiker meinen, die Gesundheitsbürokratie habe damals die Macht übernommen. War die Impfpflicht ein Fehler? Sie kam zu spät. Für Risikopatienten und Über-60-Jährige wäre sie sinnvoll gewesen, um Leben zu retten. Bei der Deltawelle im Herbst 2021 lag Österreich europaweit an der Spitze. Die Sterblichkeit stieg stark an, Intensivstationen und Ärzteschaft waren an der Belastbarkeitsgrenze. Bis zum Beschluss der Impfpflicht hatten wir aber schon die neue Omicron-Variante, gegen die der Impfstoff nicht mehr so gut wirkte.
Wurde nicht dennoch zu viel versprochen? Weder schützte die Impfung vor Ansteckung, noch vor Virus-Weitergabe.
Das war erst später so, als sich das Virus weiterentwickelte. Gegen die frühen Varianten hatte der Impfstoff eine sehr gute Wirksamkeit von über 90 Prozent. Bei Corona und Grippe muss man den Impfstoff ja – im Gegensatz zu Masern – regelmäßig an die neuen Varianten anpassen.
Gibt es schon einen Doppelimpfstoff Corona und Grippe?
Noch nicht, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit.
Empfehlen Sie für den Herbst noch eine Corona-Impfung?
Ja, auf jeden Fall für Ältere, Übergewichtige, Asthma-, Diabetes-Patienten sowie für stark exponierte Leute, etwa Lehrer.
Manche meinen, der schwedische Weg wäre besser gewesen. Da sind zwar am Anfang mehr an Corona gestorben, doch am Ende hatten wir eine höhere Übersterblichkeit.
Bei der Zahl der Corona-Toten liegen Österreich und Schweden ziemlich gleichauf. Der Unterschied ist: Dort hält man sich besser an Maßnahmen. Skandinavier haben ein höheres Vertrauen in öffentliche Institutionen und mehr naturwissenschaftliche Kenntnis. Die ist in Österreich und Deutschland leider schwach ausgeprägt.
Eine höhere Technik- und Wissenschaftsskepsis also?
Ja, es gibt ja auch viele Strömungen wie Homöopathie oder Anthroposophie – nicht evidenzbasierte Dinge, die keine Wirkung haben, außer vielleicht einen Placeboeffekt.
Was große Verbitterung ausgelöst hatte, war die Vereinsamung Älterer durch die Lockdowns. Viele hielten das gesundheitlich für verheerender als ein Ansteckungsrisiko.
In der ersten Welle war der Lockdown gerechtfertigt. Aber später, mit Masken, Impfung und Tests, hätte man nicht mehr so streng sein müssen.
Dorothee von Laer forscht an der Uni Innsbruck an Therapiemöglichkeiten gegen Krebs und hat sich mit HIV- und Tumortherapie beschäftigt.
Gesundheitsminister Rudi Anschober zog die Professorin zu Pandemiebeginn als Expertin zurate. Die gebürtige Hamburgerin ist Tochter des Nobelpreisträgers Klaus Hasselmann und wuchs international auf.
1 Millarde Geimpfte
gibt es weltweit mit mRNA-Impfstoffen. Insgesamt sind 5,6 Mrd. Menschen gegen Covid 19 geimpft. In Deutschland und Österreich ist die Skepsis hoch und wird von Rechtsparteien befeuert. Ende 2020 waren die ersten Impfstoffe gegen das bis dato unbekannte Virus zugelassen worden.
Es gab groteske Maßnahmen, wie gesperrte Bundesgärten.
Das geschah aus Unwissenheit. Es gibt ja auch Erkrankungen, die sich in frischer Luft gut ausbreiten, wie Windpocken.
Auffällig war dennoch, dass Wissenschafter von der scientific community ausgegrenzt wurden, sobald sie andere Meinungen äußerten.
Manchmal musste man sich schon darüber wundern, wer sich da alles als Experte ausgab. Die Virologen hingegen waren sich in den wichtigsten Fragen einig. Aber letztlich ist die Abwägung – Freiheit versus wie viele Tote man dafür in Kauf nimmt – eine politische und keine wissenschaftliche.
Es gab Hass gegen Experten und Politiker. Haben Sie auch Todesdrohungen erhalten?
Ich habe eine Flut an Mails erhalten. Viele Schimpfworte kannte ich gar nicht, auch Todesdrohungen und Anti-Deutsche-Ressentiments waren dabei. Aber wir Norddeutschen sind protestantisch und pflichtbewusst, daher habe ich es stets als Pflicht betrachtet, mein Wissen weiterzugeben.
Haben Sie sich nie gefürchtet?
Die Feindseligkeit in Tirol war schon hoch. Ich wohne jetzt im Burgenland und pendle nur zum Arbeiten nach Tirol.
Die Tiroler mögen die Deutschen nicht?
Naja, in Tirol gab es viele Corona-Ausbrüche. So habe ich früh vor der Südafrika-Variante gewarnt, wogegen der Impfstoff nicht mehr richtig half. Die Bayern verhängten dann ein Einreiseverbot für Österreicher – eine politische Entscheidung, die man mir zuschrieb.
Ändern die publizierten Protokolle des deutschen Robert-Koch-Instituts (Bundeseinrichtung zur Krankheitsüberwachung) noch etwas an der Beurteilung der Maßnahmen?
Nein, sie zeigt nur, wie man wirklich um jede Entscheidung gerungen hat. In Deutschland war das etwas besser strukturiert als in Österreich.
Warum sind Verschwörungstheorien so erfolgreich?
Theorien stehen im Netz gleichwertig nebeneinander. Der Laie kann nicht unterscheiden, ob es Fantasie oder eine Stellungnahme von jemandem ist, der seit Jahren dazu forscht. Die Schulen müssen mehr Internetkompetenz vermitteln.
Die FPÖ hat Sucharit Bhakdi auftreten lassen, der die Wirksamkeit der Polio-Impfung bezweifelt. Ihre Meinung dazu?
Er ist Bakteriologe und kein Virologe und gilt als Verschwörungstheoretiker. Die Polio-Impfung ist eine hochwirksame Impfung und hat Polio fast verschwinden lassen. Ich kannte in meiner Jugend noch Leute, die durch Polio-Lähmung im Rollstuhl saßen.
Muss man sich noch impfen lassen, wo Polio ohnehin fast verschwunden ist?
Es wird immer wieder mal etwas eingeschleppt.
Könnte Covid-19 versehentlich dem chinesischen Labor in Wuhan entwischt sein?
Ausschließen kann man es nicht, aber es gibt Hunderte von SARS-ähnlichen Viren in Fledermäusen, von denen nur ein Bruchteil bekannt ist.
Was muss die Politik tun?
An der Vorbereitung für die nächste Pandemie arbeiten. Das neu gegründete Semmelweis-Institut wäre dafür eine gute Unterstützung. Die nächste Pandemie kommt bestimmt.