Was zu viel Smartphone mit unserem Gehirn macht

Muss man bei Facebook bald bezahlen, um sich einloggen zu können? Wohl eher nicht.
Die Folgen von zu viel Smartphonekonsum auf die Gesundheit können noch gar nicht abgeschätzt werden.

13,42 Minuten. So lange dauert es, wenn Michael Jackson zum Zombie mutiert, seine Freundin ängstigt und mit Untoten tanzt. Das Video zu seinem Hit Thriller setzte 1983 neue Maßstäbe in der Visualisierung von Musik und gilt als Meilenstein.

2019 dauern Videos kaum mehr länger als zweieinhalb Minuten, und das hat einen Grund, sagt der Psychiater Kurosh Yazdi. Der Experte für Onlinesucht leitet am Linzer Kepler Klinikum die Abteilung für Psychiatrie. „Lange Videos wie Thriller würden heute bei der Zielgruppe gar nicht mehr ankommen, weil deren Aufmerksamkeitsspanne zurückgegangen ist. Sie steigen aus, auch wenn es spannend ist.“

Nur wenige Jahre haben seit der Einführung des Smartphones gereicht, um unsere Wahrnehmung zu verändern. Die mittel- bis langfristigen Folgen der intensiven Nutzung auf die Gesundheit sind noch gar nicht abschätzbar. Immer mehr Untersuchungen geben allerdings Hinweise auf Veränderungen im Gehirn. Studien zeigen, dass unser IQ seit Mitte der 1990er-Jahre sinkt, aber Forscher sind sich uneins, ob das mit der digitalen Welt zusammenhängt.

Unwichtiges im Fokus

Wir werden ständig mit eigentlich unwichtigen Dingen bombardiert und richten sehr schnell den Fokus auf das immer Neueste. Das gelingt umso leichter, da Internet-Plattformen den Nutzern mittlerweile automatisch weitere Videos oder Texte vorschlagen. „Damit nutzen die Betreiber Fähigkeiten aus, die dem Menschen von Natur aus gegeben sind“, erklärt Yazdi. Evolutionär bedingt mussten unsere Vorfahren ihre Aufmerksamkeit schnell auf das Wichtigste lenken, etwa ein plötzliches Geräusch beim Beerensammeln. „Drohte keine Gefahr, konnten sie wieder zur Hauptaufgabe zurückkehren.“

Heute switchen wir ständig zwischen Mails, lesen Nachrichten oder verfolgen den neuesten Aufreger in den sozialen Medien. Allein das Umschalten verbrauche 40 Prozent des vorhandenen Arbeitsspeichers des Gehirns, sagt der Psychiater und Burn-out-Experte Wolfgang Lalouschek. „Das Gehirn wartet praktisch nur mehr auf neue Nachrichten.“ Psychiater Kurosh Yazdi betont: „Der Großteil der Menschen ist nicht multitaskingfähig.“ Es passiere das Gegenteil: „Die Aufmerksamkeit wird fragmentiert.“ Bei Kindern und Jugendlichen ist das besonders deutlich.

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Länger als zwei Minuten

„Studien zeigen, dass sie die Fähigkeit, sich länger als zwei Minuten auf etwas zu konzentrieren, verlieren.“ Die amerikanische Hirnforscherin Gaya Dowling warnte 2018 überhaupt davor, dass die Smartphone-Nutzung bei Kindern die Gehirnentwicklung hemmen könnte. Andere Wissenschaftler warnen hingegen vor vorschnellen Schlüssen, da sich die von Dowling untersuchte Hirnregion bis zum Erwachsenenalter laufend verändere.

Dass das Smartphone der Auslöser für reduzierte Aufmerksamkeit sein könnte, kommt Betroffenen selten in den Sinn. Da gibt es 40-Jährige, die Angst haben, dement zu sein, weil sie sich immer weniger konzentrieren können. „Eine Folge von Multitasking“, sagt Lalouschek. „Bei chronischem Stress und zu wenig Regeneration werden Nervennetzwerke abgebaut.“ Geistige Pausen bräuchte das Gehirn aber dringend.

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Das Phänomen dahinter kennt wohl jeder Smartphone-Nutzer: „Zur Entspannung“ klickt man auf lustige Videos oder scrollt durch Nachrichten. Das Gehirn findet das ganz und gar nicht entspannend. Es ist überfordert durch die Informationsflut, steht permanent unter Stress und schüttet das Stresshormon Cortisol aus. „Es entsteht ein negativer Kreislauf, der Betroffene steht ständig unter einer leicht erhöhten Stressbelastung.“ Zusätzlich produziert das Gehirn keine Glückshormone – damit fehlen auch Erfolgserlebnisse. Das wirkt sich wiederum negativ auf die Gedächtnisareale aus: „Das Gehirn läuft weiter, kommt aber trotzdem nicht zur Ruhe, die Befriedigung versucht man sich dann oft über Konsum oder Ablenkung zu holen.“

Junge Menschen scheinen noch mehr gefährdet, ihr Smartphone exzessiv zu nutzen. „Wir haben viele junge Patienten, die panische Angst davor haben, Freunde zu verlieren, wenn sie nicht sofort antworten“, sagt Yazdi, der seit 2010 auch die Ambulanz für Verhaltenssüchte am Linzer Kepler-Klinikum leitet. Vor allem in den sozialen Medien sehr aktive, junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren seien davon betroffen.

Ausweg

In einer Aufgabe oder Tätigkeit völlig aufzugehen – Psychologen sprechen vom „Flow“ – das gelingt nur ohne Ablenkungen. Lalouschek empfiehlt daher „möglichst viele Phasen, wo man sich idealerweise nur auf eine Tätigkeit konzentriert.“ Das Wichtigste sei, dass man die Gestaltung seines Tages wieder selbst in die Hand nimmt. Wenn Apps zur Reduzierung von Handykonsum und Ablenkungen beitragen, könnten sie tatsächlich eine Hilfe sein. Dann sollte es aber auch die letzte App sein, die man installiert. Oder: Man übt sich in langsamer Entwöhnung. Das ist wie mit Süßigkeiten, beschreibt eine neuerdings Instagram-abstinente Vertreterin der „Generation Millennials“: „Wenn man sie sich mal abgewöhnt hat, gehen sie einem nicht mehr ab.“

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