Innovation im Ersten Weltkrieg

Lorenz Böhler, der "Titan der Unfallchirurgie"
Medizingeschichte. Wie die moderne Unfallchirurgie und Orthopädie entstand.

Schützengräben und Stahlhelme für Soldaten waren 1914 etwas ziemlich Neues. Was die Militärstrategen nicht bedacht hatten: "Durch den großflächigen Einsatz kam es im Ersten Weltkrieg gehäuft zu bis dahin nicht aufgetretenen Verletzungen im Gesicht", sagt Univ.-Prof. Michael Kunze, Sozialmediziner, MedUni Wien. "Mit einem Schlag waren Konzepte notwendig, um Gesichter zu rekonstruieren."

Nicht nur in der Kieferchirurgie stellte der erste industrialisierte Krieg mit seinen neuen Technologien (z. B. Maschinengewehre, Gitfgas, Flammenwerfer, Handgranaten) die Mediziner vor ungewöhnliche Herausforderungen. "Es ist ein Paradoxon, dass dieser schreckliche Krieg, der so vielen Menschen Unheil brachte, gleichzeitig ein wesentlicher Faktor für den medizinischen Fortschritt war", sagt SozialmedizinerMichael Kunze, MedUni Wien. Franz Kainberger, Präsident der Gesellschaft der Ärzte, ergänzt: "Auch wenn sich große Teile der Ärzteschaft von der Kriegseuphorie anstecken ließen: Viele Therapien, die für uns heute selbstverständlich sind, hatten damals ihren Ursprung."

Chirurgie

Hier wurden die größten Neuerungen offensichtlich, sagt Kunze. "Bis dahin war die Chirurgie in erster Linie eine Amputationsmedizin. Im Ersten Weltkrieg begann man, dies zu vermeiden, indem infiziertes oder abgestorbenes Gewebe sofort noch im Feld entfernt wurde." Als Militärarzt entwickelte Chirurg Lorenz Böhler seine später berühmten Techniken zur Knochenbruchbehandlung. Alfred Engel, Orthopäde im Wiener SMZ-Ost: "Er führte erstmals eine umfassende Klassifikation ein. Es ging ihm bei der Versorgung unzähliger Patienten nicht nur um die Dokumentation der Verletzungen, sondern vor allem darum, wie sie effizient behandelt werden können."

Prothesenanpassung, Orthopäde Hans Spitzy https://images.spunq.telekurier.at/46-62774473.jpg/70.672.923 … Orthopädie

Auch die Idee der Reha kommt aus den Kriegsjahren, betont Engel: "Die heute übliche Rehabilitation und frühe Mobilisierung der Patienten wurde erstmals umgesetzt." Vorreiter war der Orthopäde Hans Spitzy, der den Vorläufer des heutigen Wiener Orthopädischen Spitals Speising begründete.

Prothesen

Durch den Krieg wurde das noch junge Fach der Prothetik wichtig, besonders Arm- und Beinprothesen. Kunze: "Millionen von Versehren sollten resozialisiert und ihre Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden."

Tetanus

Bis ins 19. Jahrhundert waren Infektionen durch Tetanus (Wundstarrkrampf) oder Seuchen wie Typhus und Fleckfieber die häufigsten Todesursachen von Soldaten. Durch verbesserte Hygiene und besonders die um 1900 erfundene Tetanus-Passivimpfung starben erstmals mehr Soldaten bei Kampfhandlungen als durch Krankheiten. Angesichts der Folgen "ein zweischneidiges Schwert " (Kunze).

Wiedereingliederung der Kriegsversehrten ins Arbeitsleben (Hof in Ebreichsdorf) https://images.spunq.telekurier.at/46-62774682.jpg/70.672.868 … Traumata

Die häufig auftretende "Zitterneurose" von Kriegsheimkehrern ist heute als Diagnose "posttraumatisches Stress-Syndrom" anerkannt. Engel: "Damals war nicht einmal eine Definition bekannt." Viele Betroffene wurden noch als Tachinierer abgetan. "Besonders bei psychischen Erkrankungen gab es lange Lernprozesse."

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