Vor Olympia: Warum sich Österreichs Bobfahrer hypnotisieren lassen
Pilot Benjamin Maier kann sich durch Hypnose die Bahn in Peking besser einprägen. Rodel-Olympiasieger Gleirscher nahm Wasserproben aus China mit nach Tirol.
Als David Gleirscher im vergangenen Herbst als erster österreichischer Kunstbahnrodler einen Fuß auf die neu errichtete Olympiabahn in Yanqing setzen durfte, bekam er von daheim einen Spezialauftrag mit auf den Weg. Der Olympiasieger von 2018 sollte in China nicht nur Eindrücke und Informationen sammeln, er sollte von seiner Asien-Reise vor allem mit speziellen Souvenirs zurückkehren. „Wir wollten, dass er uns Wasserproben mitbringt“, erklärt Thomas Lörting, Professor am Institut für physikalische Chemie in Innsbruck.
Und deshalb fiel das allseits bekannte Pratzeln damals etwas unkonventionell aus, und David Gleirscher kratzte in unbeobachteten Momenten immer wieder Eis von der Bahn. Heimlich, still und leise, aber im Wissen, dass die Wassertropfen vom Herbst 2020 im Februar 2022 bei den Winterspielen Goldes wert sein können.
Ortswechsel von China nach Tirol. An einem schwülen Spätsommertag wird in einem unscheinbaren Container auf dem Gelände der Innsbrucker Sportuniversität mithilfe von David Gleischers Wasserproben gerade der chinesische Winter nachgestellt. Bei fünf Grad unter null testen Wissenschaftler auf einem 30 Meter langen Förderband alle möglichen Rodelschienen auf ihre Olympiatauglichkeit.
Tribometer nennt sich die Anlage, die einst 800.000 Euro gekostet hat und in dieser Ausführung weltweit einzigartig ist. Das Tribometer ist das Herzstück des Forschungszentrums für Schnee, Ski- und Alpinsport, das vor einem Jahrzehnt ins Leben gerufen wurde, um für den ÖSV und den Rodelverband Siege einzufahren. Auf diesem knapp 30 Meter langen Förderband können Sportgeräte wie Ski, Rodelschienen und sogar Snowboards auf bis zu 100 km/h beschleunigt und unter Laborbedingungen getestet werden.
„Wir sehen uns bei einer konstanten Geschwindigkeit die Gleiteigenschaften an und versuchen, für alle möglichen äußeren Bedingungen das richtige Set-up rauszufinden“, sagt Lörting. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Proben aus China haben, denn Eis ist nicht gleich Eis.“
Wie viel Zeit und Energie doch nicht investiert wird, um irgendwo eine Tausendstelsekunde zu gewinnen.
Wie beim Hexentanz
Im Kampf um olympische Medaillen wird in den Kernländern des Wintersports seit Langem nichts mehr dem Zufall überlassen. Auch hierzulande schöpfen die Athleten sämtliche Möglichkeiten aus, und mögen sie auf den ersten Blick noch so seltsam wirken. Österreichs Bobfahrer schwören zum Beispiel neuerdings auf die Kraft der Bewusstseinserweiterung. „Wir lassen uns alle hypnotisieren“, sagt Benjamin Maier.
Man mag sich jetzt nicht wirklich einen Bobpiloten vorstellen, der in Trance einen Schlitten mit 130 km/h durch den Eiskanal lenkt, aber Pilot Maier und seine Crew sind mit dieser Methode bislang nicht schlecht gefahren.
Der Vizeweltmeister im Vierer ist überzeugt, dass er sich dank der Hypnose die neue Olympiabahn in Yanqing besser einprägen kann. „Wir haben dort so wenige Fahrten, dass wir alle Ressourcen ausschöpfen wollen“, erklärt der 27-jährige Tiroler. „Ich habe jedenfalls für mich festgestellt, dass in mir mehr Informationen über die Bahn da sind, die ich gar nicht bewusst wahrgenommen habe.“
Die schiefen Blicke nimmt er dafür gerne in Kauf. „Wir haben schon Blitzhypnose ausprobiert, wir sind unter Hypnose im Bob gesessen und haben musiziert. Manchmal schaut’s ein bisschen aus wie ein Hexentanz. Aber uns als Team tut’s gut.“
Fliegen in Stockholm
Auch beim österreichischen Skiverband machten sich die Verantwortlichen schon früh olympische Gedanken. Ein Teil der Skispringer wurde im Herbst in einen speziellen Strömungskanal in Stockholm geschickt, dort arbeiteten die Athleten an der idealen aerodynamischen Flugposition. „Das ist extrem kräfteraubend, weil sie mehrere Minuten im Wind hängen. Die sind nach so einem Kurs richtig geschlaucht, aber es bringt sehr viel“, sagt ÖSV-Direktor Mario Stecher.
Österreichs Kombinierer hielten derweil ihren Sommer-Trainingskurs ausnahmsweise einmal in Übersee ab. Die Athleten und Betreuer nahmen die lange Reise nach Utah (USA) ganz bewusst auf sich. Denn die Olympiaschanze im hoch gelegenen Park City lieferte schon einen Vorgeschmack auf die Winterspiele, wo sich die Schanzen 1.600 Meter über Meeresspiegel befinden. „In so einer Höhe ist das Skispringen anders“, berichtet Christoph Bieler, der Sprungtrainer der ÖSV-Kombinierer, „wir haben dort feststellen können, dass kleinere und leichtere Athleten einen Vorteil haben.“
Testen in Utah
Cheftrainer Christoph Eugen will aber noch zusätzliche Erkenntnisse gewinnen und begibt sich deshalb kommende Woche auf eine Reise nach China. Der Steirer klinkt sich aus dem Weltcup aus und begleitet die zweite Gilde der ÖSV-Kombinierer zum Kontinentalcup, der auf den Olympia-Anlagen stattfindet. Dazu entsendet der Verband einige seiner besten Servicekräfte nach Fernost, um Aufschlüsse über die Beschaffenheit des chinesischen Schnees zu bekommen. „Wir wollen alles ausschöpfen“, sagt Eugen.
Im Tribometer in Innsbruck werden in den nächsten Tagen übrigens wieder die Kufen mit 100 km/h hin- und hergeschickt werden. Eben erst hatten die Kunstbahnrodler ihren Weltcup-Auftakt auf der Olympiabahn in Yanqing. Das bedeutet: Es gibt wieder frische Wasserproben aus China.
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