Eine Woche verbrachte der 26-Jährige in Yanqing im Nordwesten von Peking, wo 2022 neben den Rodel- und Bobbewerben auch die Alpinrennen stattfinden werden. Dabei wurde Gleirscher eindrücklich vor Augen geführt, dass das Reich der Mitte – sobald’s um prestigeträchtige Großveranstaltungen geht – zum Reich der Mittel wird.
Schon in Sotschi (2014) und in Pyeongchang (2018) waren im Zuge von Olympia hypermoderne Bob- und Rodelbahnen entstanden. Das National Sliding Center von Yanqing sucht aber seinesgleichen. Wie der Schwanz eines chinesischen Drachen schlängelt sich der Eiskanal 1.600 Meter lang durch die Landschaft, die Bahn ist über den gesamten Streckenverlauf mit einer Holzkonstruktion überdacht. „Ein brutaler Komplex, irgendwie ist dort alles größer“, erzählt David Gleirscher.
Dem Olympiasieger und seinen fünf internationalen Rodelkollegen kam in der Trainingswoche eine verantwortungsvolle Aufgabe zu. So schön ein neuer Eiskanal von außen auch aussehen mag, entscheidend ist, ob die Bahn auch fahrbar ist. „Wir haben geschaut: Wie gehen die Kurven, wie hoch ist das Tempo, was ist mit dem Eis los“, erklärt Gleirscher. Damit sich solche Tragödien wie bei den Spielen 2010 in Vancouver ja nicht wiederholen, als ein georgischer Rodler in einer Kurve aus der Bahn katapultiert wurde und tödlich verunglückte.
David Gleirscher findet die Bahn mit ihren „gebogenen Geraden“ und den Bergaufpassagen anspruchsvoll und spannend zugleich. Sonst hat der Tiroler in China nur wenige Eindrücke sammeln können. Weil er sie auch nicht sammeln durfte.
„Wir waren sehr isoliert und nur an der Bahn oder im Hotel. Und überall, wo wir waren, ist sofort alles desinfiziert worden. Ich hatte den Eindruck, dass die Chinesen nicht uns vor Corona schützen wollen, sondern eher sie sich vor uns.“
In Erinnerung geblieben ist ihm neben den vielen Baustellen vor allem die Landschaft, die man jetzt nicht zwingend mit Winterspielen in Verbindung bringen würde. „Ich kenne vom Stubaital andere Berge. Dort sind’s mehr Hügel.“
David Gleirscher und seine fünf Rodelkollegen waren die erste internationale Abordnung überhaupt, die die olympischen Wettkampfstätten von 2022 betreten durfte. Der Reihe nach sollten in diesem Winter die Sportler die Olympia-Anlagen von Peking begutachten und testen. Skispringer, Biathleten und Ski-Damen haben China im Weltcupkalender, die Snowboarder und Freestyler hätten im Februar dort sogar ihre Weltmeisterschaften geplant.
Gerade die Serviceleute der Alpinen und Langläufer hoffen darauf, dass diese Wettkämpfe nicht dem Coronavirus zum Opfer fallen. „Für die sind die Bewerbe wichtiger als für uns Sportler“, weiß Biathlet Simon Eder. Der Schnee in China ist sehr trocken, die teils extreme Kälte macht die Sache nicht einfacher. „Wir hätten sehr gerne Erfahrungswerte“, sagt Herren-Chef Andreas Puelacher, der bedauert, dass es auf der Abfahrtsstrecke keine Generalprobe gibt. „Es wäre schon wichtig, zu wissen, was uns dort erwartet.“
Dass es aber auch ohne Generalprobe geht, zeigte nicht zuletzt Matthias Mayer: „Ich habe die Strecke in Pyeongchang bis Olympia nur aus Videos gekannt“, sagt der Kärntner.
2018 wurde Mayer dann Olympiasieger im Super-G.
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