Vincent Kriechmayr, der Vinc, wie ihn im Weltcup alle nennen, machte schließlich das, was er immer tut, wenn er vor einer enormen Herausforderung steht: Er verließ sich auf seinen Instinkt. Damit ist der 29-Jährige schon in der Vergangenheit immer am besten gefahren. „Super-G ist reines Instinktfahren. Ich geb’s zu, ich hatte vor dem Rennen einen ganz anderen Plan.“
Aber als er da einen Kollegen nach dem anderen scheitern sah, entschied er sich kurzerhand, an dieser heiklen Passage etwas zu tun, was im Grunde jedem Abfahrer widerstrebt: Vincent Kriechmayr legte einen gewollten Bremsschwung ein.
„Ich habe noch nie zuvor in meiner Karriere einen 200-Meter-Drift gemacht“, sagte der Oberösterreicher. „Aber ich wusste, dass ich diesmal driften muss. Ganz egal, was die Trainer sagen.“
Diese Improvisationsgabe verhalf Kriechmayr zur Goldmedaille und dem größten Erfolg in seiner Karriere. Auch wenn er im Ziel vorerst alles andere als zufrieden wirkte; auch wenn er seine Fahrt am Anfang nicht richtig einschätzen konnte; auch wenn er einmal noch richtig zittern musste, als sein ehemaliger Teamkollege Romed Baumann bis auf sieben Hundertstelsekunden an den Weltmeister heranfuhr. „Beim Romed habe ich dann noch einmal richtig geschwitzt“, sagte der neue Super-G-Weltmeister.
Die Fahrt zur Goldmedaille war für den Oberösterreicher auch eine Reifeprüfung. Nach seinen Siegen in Kitzbühel und zuletzt in Garmisch war Kriechmayr als Führender im Super-G-Weltcup und als erklärter Topfavorit nach Cortina gereist. In der Vergangenheit hatte ihm diese Rolle nicht immer behagt. Noch bei der Hahnenkammabfahrt hatte der 29-Jährige nach seiner Trainingsbestzeit abgewiegelt und verärgert gemeint: „Jetzt kommen wieder diese Fragen.“
Vor dem WM-Super-G in Cortina versuchte sich Vincent Kriechmayr erst gar nicht in Understatement und Zurückhaltung. Weil er wusste, dass man es ihm nicht abnehmen würde. Und weil er nach den letzten beiden Siegen spürte, dass er sich im Super-G gerade in Superform befindet.
Der Druck schien diesmal an ihm abzuprallen. „Weil die Erwartungshaltung, die ich an mich habe, viel größer ist, als der Druck von außen.“
Genau das war lange Zeit auch das Dilemma von Vincent Kriechmayr. Der 29-Jährige stellt dermaßen hohe Ansprüche an sich selbst, dass er sich immer wieder selbst im Weg stand und selbst nach gelungenen Fahrten nicht restlos zufrieden wirkte.
„Dass ich jetzt da vorne stehen darf, ist eine große Genugtuung“, sagte Kriechmayr nach der Siegerehrung, die aus Covid-Sicherheitsgründen sehr dezent ausfiel. Aber das störte den Sohn einer Belgierin im Moment seines größten Triumphes nicht wirklich.
Vielmehr erfüllte es Vincent Kriechmayr mit Stolz, dass er seinem Vorbild Hannes Trinkl nacheifern konnte, der vor 20 Jahren bei der Weltmeisterschaft in St. Anton in der Abfahrt für die letzte Goldmedaille eines oberösterreichischen Skiläufers gesorgt hatte
„Der Hannes war für uns Oberösterreicher ein Vorbild. Wir haben alle auf ihn aufgeschaut. Dass ich in seine Fußstapfen treten darf, das macht mich glücklich“, sagte der neue Weltmeister.
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