Umstrittene Weitenjagd: Weltpremiere für das Skifliegen der Frauen
Der letzte Bewerb im Rahmen der Raw Air lieferte den Skispringerinnen schon einmal einen kleinen Vorgeschmack auf das, was an diesem Wochenende auf sie zukommt. Den Frauen blies in Lillehammer ein strenger Wind um die Ohren, sie wurden ordentlich durchgerüttelt und waren ein Spielball der Lüfte.
Alles harmlos verglichen mit den Riesenkräften, die auf dem Riesenbakken in Vikersund herrschen. Und dennoch gibt es jetzt keine einzige im Adlerinnenhorst, die sich nicht auf das erste offizielle Skifliegen der Frauen in der Geschichte des Skispringens freuen würde.
Traum oder Meilenstein – diese Ausdrücke fallen immer wieder, wenn die Sportlerinnen und ihre Trainer von dieser Weltpremiere schwärmen. Am Samstag erfolgen die historischen Jungfernflüge auf der Schanze, auf der Stefan Kraft vor sechs Jahren 253,5 Meter flog und damit noch immer den Weltrekord hält. Die geplanten Übungsflüge am Freitag mussten wegen schwieriger Schnee- und Windverhältnisse gestrichen werden, so wird nur am Samstag trainiert (10 Uhr), am Sonntag soll dann der Wettkampf folgen (10 Uhr).
„Wir wollen eine coole Show abliefern“, sagt Eva Pinkelnig. Die neue Gesamtweltcupsiegerin spricht stellvertretend für ihre Kolleginnen, die den Beweis antreten wollen, dass Skifliegen trotz einiger Bedenken und Kritiker auch Frauensache ist.
Große Fragezeichen
Die 34-Jährige stellt sich der Herausforderung im Grenzbereich mit einer „gewissen Lockerheit“, zugleich aber auch „mit vollem Fokus“ und dem nötigen Ernst. „Ich habe mit vielen Männern über das Fliegen gesprochen und mir auch Tipps geholt“, erzählt Pinkelnig frei heraus.
Dieser Austausch ist auch ganz im Sinne von ÖSV-Cheftrainer Harald Rodlauer. Der Steirer macht ganz bewusst nicht viel Wind um die Sache. „Die Springerinnen haben eh so schon genug Stress mit dem Skifliegen. Deshalb darf man kein Tamtam machen.“
Es gibt ohnehin viele Fragezeichen vor dieser Premiere. Wie gut kommen die Skispringerinnen tatsächlich mit den enormen Luftkräften zurecht? Was ist die geeignete Anlauflänge und -geschwindigkeit, um den Frauen ein Flugerlebnis zu ermöglichen, sie zugleich aber auch keinen Gefahren auszusetzen? Wie weit können, sollen, dürfen Frauen fliegen?
Es ist tatsächlich ein Sprung ins kalte Wasser. „Wir haben absolut keine Erfahrungswerte. Das macht es so speziell und schwierig für die Jury“, sagt Harald Rodlauer.
Und das erklärt auch den Gegenwind, den die Pionierinnen der Lüfte verspüren. Anton Innauer sprach bereits vor der Saison in einem offenen Brief an die FIS seine Bedenken aus. Frauen seien allein wegen ihrer Statur beim Skifliegen einem höheren Risiko ausgesetzt. „Die Sturzfolgen könnten fatal sein.“
Auch Weltcupleader Halvor Egner Granerud warnte in der Zeitung Verdens Gang vor den Kräften, mit denen ein Skiflieger konfrontiert ist. „Ich hoffe, dass die Frauen, alle drumherum und die Medien verstehen, dass Skispringen und Skifliegen zwei unterschiedliche Dinge sind und dass es entscheidende Sachen gibt, die man lernen muss.“
Dem gegenüber steht die Sehnsucht der Skispringerinnen nach dem einzigartigen Gefühl des Fliegens. Katharina Althaus etwa hätte ohne die Premiere in Vikersund womöglich ihre drei Goldmedaillen bei der WM in Planica verpasst. „Ich habe im Sommer überlegt, ob ich die Karriere beende. Aber dann wollte ich doch noch beim Fliegen dabei sein“, sagt die Deutsche.
Elitärer Kreis
Beim Skifliegen in Vikersund, das nicht zum Weltcup zählt, darf nur ein elitärer Kreis an Springerinnen abheben, die Top 15 der Raw-Air-Wertung. Julia Mühlbacher hätte damit die sportliche Flugerlaubnis gehabt, doch in Absprache mit den Trainern verzichtet die 18-jährige Innviertlerin auf die Teilnahme. „Ich hätte sie auch nicht fliegen lassen“, sagt Chefcoach Rodlauer.
Anders ist es bei Sara Marita Kramer, der Gesamtweltcupsiegerin der Vorsaison, die sich nicht qualifizierte. Auch Daniela Iraschko-Stolz, die mit 200 Metern den inoffiziellen Frauen-Weltrekord hält, verpasst wegen einer Verletzung die Premiere.
Die 39-Jährige ist ein Fan des Skifliegens. „Prinzipiell spricht nichts dagegen“ sagt Iraschko-Stolz, „aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass mit Sicherheit einmal irgendeine von uns dabei stürzen wird. Und dann darf aber niemand an den Pranger gestellt werden.“
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