Als Anton Innauer seinen offenen Brief verfasste, war ihm durchaus bewusst, dass viel Wind um die Sache gemacht werden würde. Der Olympiasieger von 1980 ist ein Mann, der seine Worte mit Bedacht wählt und nicht für Schnellschüsse bekannt ist. Wenn also der Doyen des Skispringens höchstpersönlich massive Bedenken gegen das Skifliegen der Frauen ausspricht, dann sollten rund um den Schanzentisch die Alarmglocken schrillen. "Ich vertrete ja keine Lobby. Mir geht es hier wirklich um die Sache", sagt der 64-jährige Vorarlberger im KURIER-Gespräch.
Über das Wochenende hätten sich viele Weggefährten und Skisprung-Insider bei ihm gemeldet und sich seiner Meinung angeschlossen, erzählt Innauer. Aber natürlich hat er auch den Gegenwind auf Social Media wahrgenommen.
Manche Poster und Posterinnen hatten Innauers grundsätzliche Ablehnung für das Frauen-Skifliegen kurzerhand für eine Grundsatzdiskussion über die Gleichberechtigung im Sport zweckentfremdet. "Aber darum geht’s überhaupt nicht. Man darf die Gender-Debatte nicht über die Sicherheitsdebatte stellen", mahnt Innauer.
Große Gefahren
Und die Gefahren beim Skifliegen liegen ja auf der Hand. Die höheren Geschwindigkeiten auf Riesenschanzen wie in Vikersund, wo die 15 besten Frauen im März 2023 ihre Jungfernflüge bestreiten sollen, bringen zwangsläufig einen höheren Luftstand und größere Luftkräfte mit sich. Jeder kleinste Fehler kann beim Skifliegen verheerende Folgen haben.
"Wenn’s dich bei der Flugschanze runterradiert, dann geht das in den meisten Fällen nicht glimpflich aus", sagt Daniela Iraschko-Stolz. Die 38-Jährige hat sich schon einmal über eine Skiflugschanze gewagt, die 200 Meter, die sie 2003 am Kulm erreicht hatte, gelten heute noch als inoffizieller Frauen-Weitenrekord.
Die Grande-Dame des Frauenskispringens ist stolz darauf, welch große Leistungssprünge ihr Sport seit der WM-Premiere 2009 vollzogen hat. "Prinzipiell spricht nichts gegen das Skifliegen", meint Iraschko-Stolz deshalb auch, "aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass mit Sicherheit einmal irgendeine von uns dabei stürzen wird. Und dann darf aber niemand an den Pranger gestellt werden."
Anderes Level
Für Anton Innauer birgt vor allem die erste Flugphase ein großes Risiko für einen verhängnisvollen Absturz. Wenn es darum geht, die richtige Flugposition einzunehmen und die Skier möglichst flach und aerodynamisch zu führen. In den Augen von Innauer sind in erster Linie die Stars gefährdet. Was auf den ersten Blick erstaunt, klingt aus dem Mund des Vorarlbergers logisch. "Es trifft nicht die schwachen Springerinnen, sondern die, die ans Limit gehen. Die haben eine höhere Geschwindigkeit und eine höhere Flugbahn. Da liegt der Hase im Pfeffer."
Bei der besten Skispringerin der Gegenwart löst die geplante Weltcuppremiere des Skifliegens jedenfalls keine Luftsprünge aus. "Für mich kam die Entscheidung schon überraschend. Ich hätte es besser gefunden, wenn man noch mehr Großschanzen in den Weltcup-Kalender eingebaut hätte. Und Skifliegen ist schon noch einmal ein ganz anderes Level", meint Sara Marita Kramer. Ein Verzicht auf das Flugerlebnis käme für sie aber nicht infrage. "Ich hoffe, dass ich die 200 Meter knacken kann. Die Top-Springerinnen haben es auf jeden Fall drauf."
Anton Innauer hofft derweil, dass die Verantwortlichen bei der FIS seine Botschaft ernst nehmen. "Wenn der offene Brief in der Gesellschaft solche Wellen schlägt, wie in den letzten Tagen, werden sie dort hoffentlich alles ein bisschen durchleuchten."
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