Anna Gasser und Clemens Millauer: Aus Liebe zum Snowboarden

Anna Gasser und Clemens Millauer: Aus Liebe zum Snowboarden
Anna Gasser und ihr Freund und Teamkollege Clemens Millauer sprechen über Karriere, Familie und neue Projekte abseits von Weltcup und Olympia.

Anna Gasser und Clemens Millauer haben die vergangenen Tage mit Training am Stubaier Gletscher verbracht. Längst tüftelt das Snowboard-Paar an neuen Tricks und sammelt Stunden auf großen Schanzen.

 „Das Level steigt extrem“, sagt Gasser, die beim ersten Weltcup-Stopp in Chur im Oktober erstmals in ihrer Karriere im Big Air nicht auf dem Podest gelandet ist. Ganz nebenbei haben die beiden mit Freunden aus der Szene einen Film produziert, der ab 5. November auf Red Bull TV zu sehen ist.

Ihr habt mit „Schnitzeltime“ ein Snowboardvideo gemacht, in dem fast ausschließlich österreichische Athleten zu sehen sind. Warum dieser Fokus?

Millauer: Die Idee, die besten Fahrer aus Österreich zusammenzuholen und aufzuzeigen, dass wir ein starkes Fahrerfeld haben, hat mir gefallen.

Gasser: Wir sind damit aufgewachsen, dass es Snowboard-Crews gegeben hat, die gemeinsam fahren gegangen sind und Videos veröffentlicht haben. Wir wollten das ein bisschen zurückbringen. Unser Ziel ist es, Leute damit zu motivieren.

Apropos motivieren: Anna, Sie haben immer wieder angedeutet, dass es mit der aktiven Karriere bald vorbei sein könnte. Was hat Sie immer wieder zum Weitermachen motiviert?

Gasser: Es macht mir immer noch Spaß! Und ich entwickle mich immer noch gern weiter. Sähe ich jetzt, dass ich nicht mehr besser werde, würde ich es wohl bleiben lassen. Wer sich auf Tricks von letztem Jahr ausruht, ist sehr schnell nicht mehr dabei. Ich will allerdings die letzten ein- zwei Jahre meiner aktiven Contest-Karriere mit meiner Energie und mit dem Risiko sehr gezielt umgehen und nur Bewerbe fahren, bei denen ich mich wohlfühle und bei denen die Verhältnisse gut sind. Ich durfte so viel erreichen und ich glaube, jetzt kann ich ein bisschen wählerischer sein.

Bleibt Ihr Ziel, noch einmal bei Olympia teilzunehmen?

Gasser: So ganz sicher bin ich mir da gar nicht. Die Zeit vergeht so schnell. Grundsätzlich schon. Aber wenn ich sehe, dass es meinem Körper nicht mehr gut geht oder dass es mental einfach nicht mehr geht, ziehe ich die Reißleine. Wenn aber alles passt, bin ich dabei! Ich habe zweimal die Goldmedaille mitgenommen. Deshalb muss ich mich da auch nicht mehr beweisen. Ich glaube, als Sportler spürt man den Moment, wenn es nicht mehr sein soll. Ich kann nicht vorhersagen, ob das in ein paar Monaten ist, nach der Saison oder nach Olympia.

Sie sind 33 Jahre alt. Es gibt Gegnerinnen, die halb so alt sind. Auch in Österreich kommen etwa mit Hanna Karrer und Kristina Holzfeind junge Fahrerinnen nach. Welche Rolle haben Sie da als Routinier im Fahrerinnenfeld?

Gasser: Alle meine Freundinnen und Kolleginnen, mit denen ich die ersten Jahre meiner Karriere gefahren bin, sind in Sportlerpension. Ich fühle mich nicht im Konkurrenzkampf mit den Jungen, aber ich fühle ihren Respekt, das ist schön. Ich mag es auch, anderen Fahrern weiterzuhelfen, ein bisschen in die Mentorenrolle zu schlüpfen. Ich finde, ich passe immer noch gut in die Community, obwohl meine Gegnerinnen so viel jünger sind. Aber mit über 30 ist das Mindset sicher anders als bei einer 18-Jährigen. Ich war mit 18 sowas von verrückt und dachte überhaupt nicht über Konsequenzen nach. Heute denke ich sehr viel mehr nach, was ich mache, wie ich es mache, wann ich es mache.

Millauer: Ich würde dazu gerne etwas sagen.

Ja?

Millauer: Mir gefällt es nicht, in diesem Zusammenhang übers „Karriereende“ zu sprechen. Weil das Contest-Fahren ist nur ein Aspekt unseres Sports. Und ich bin mir sicher, dass Anna dem Snowboarden in vielen Bereichen erhalten bleiben und weiterfahren wird, auch wenn sie nicht mehr bei den Contests ist. Ich bin mir sicher, dass sie immer noch neue Tricks lernen wird. Aber nicht, um einen Contest zu gewinnen, sondern, weil es sie glücklich macht. Diese Bewerbe gehen sehr auf den Körper, weil du bei Bedingungen Sachen machen musst, bei denen du sie im Normalfall nicht machen würdest. Wenn du – ein anderer Aspekt unseres Sports – zum Beispiel filmen gehst, dann schaffst du dir dein Umfeld so, wie du es brauchst und kannst trotzdem noch beeindruckende Tricks machen.

In der breiten Öffentlichkeit wird Freestyle-Snowboarden hauptsächlich bei Olympischen Spielen, Weltcups und Weltmeisterschaften wahrgenommen. Aber der Sport entwickelte sich einst auf vielen Ebenen, die mit Wettkampf wenig zu tun haben: in Videos, in Magazinen und anderen Projekten. Wie erlebt ihr diesen Wandel?

Gasser: Es ist ein großer Wandel. Früher war man nur ein vollkommener Fahrer, wenn man Videoprojekte, Shootings und Contests gemacht hat. Heute gibt es kaum noch Fahrer, die das unter einen Hut bringen. Es gibt Weltklasse-Fahrer, die ausschließlich Videos machen und von Sponsoren leben, und auf der anderen Seite die FIS-Fahrer, teilweise Kinder, die so gut wie ohne Sponsoren auskommen, die Snowboarden als Leistungssport in einem Verband trainieren. Wir und eine Handvoll Fahrer wir sind die letzte Generation, die beides noch mitgenommen haben.

Millauer: Mich würde interessieren, wie lange die Jungen, die jetzt schon so gut sind, diesen Sport noch betreiben werden.

Gasser: Das ist mittlerweile so ein Leistungssport und die Fahrer werden immer jünger. Es ist schwer, das mit der Schule zu verbinden.

Im Skigymnasium Stams gibt es mittlerweile auch den Snowboard-Freestyle-Zweig...

Gasser: Die US-Kinder machen alle Homeschooling. Die machen ihre Schule „nebenbei“ auf der Tour. Stams ist eine tolle Möglichkeit! Aber sie müssen trotzdem noch in die Schule gehen. Sie werden weniger zum Fahren kommen als gleichalte Amis oder Japanerinnen.

Clemens, Sie halten sich seit Jahren im Top-Feld, haben riesige Konkurrenz, von teils sehr jungen Ridern, machen nebenbei Projekte wie filmen, schneiden, etc. Wie schaffen Sie diesen Balanceakt?

Millauer: Ich fahre einfach wirklich gerne Snowboard! Wäre ich in der neuen Generation von Nur-noch-Contest-Fahrern aufgewachsen, wäre ich vielleicht kein Snowboarder. Mir hat immer auch dieser Lifestyle gefallen, das Kreative, das Tiefschneefahren, Street-Rail-Fahren, also das Gesamtpaket des Snowboardens.

Nervt Sie beide, dass aber in der breiten Öffentlichkeit scheinbar nur die Contests zählen?

Millauer: Ja, und ich glaube, es wird nicht wirklich wahrgenommen, welches Level in unserem Sport mittlerweile herrscht.

Gasser: Der Weltcup in Chur kam mir vor wie ein Gladiatorenkampf. Alle gehen aufs Ganze, jeder Zweite sitzt mit Eisbeutel da. Das Level ist grenzwertig! Das Preisgeld im Weltcup ist nicht sehr hoch, man muss abwägen, ob es den Aufwand, den es für einen Podiumsplatz braucht, wert ist. Man muss den Punkt finden, wo man es aus Liebe zum Sport macht.

Was wollt ihr denn auf Contest-Ebene noch erreichen?

Gasser: Clemens will noch einmal zu Olympia, oder?

Millauer: (überlegt) Wenn es bei einem Contest gut läuft, fahre ich heim und denke: „Geil, ich fahr wieder zu Olympia“, wenn es schlecht läuft, denke ich mir: „Warum tu’ ich mir das an?“

Gasser: (überlegt) Ich will auf andere Dinge schauen als früher. Damals habe ich getan, was für den Sieg nötig war – jetzt schaue ich, dass ich stolz auf mein Snowboarden bin.

Und was wollt ihr im Snowboarden abseits der Contests erreichen?

Millauer: Wieder mehr Leute für unseren Sport zu begeistern, sie daran erinnern, was Snowboarden eigentlich ist.

Gasser: Und Projekte machen. Man kann so kreativ sein! Und uns fällt jedes Jahr irgendwas ein – vor allem dem Clemens. Da kann man sich dann auf andere Art und Weise ausleben.

Millauer: Ich glaube, dass man das Snowboarden wieder richtig zu schätzen lernt, wenn der Wettkampfdruck abfällt.

Und habt ihr Pläne abseits des Snowboardens?

Millauer: Wir wollen ein Haus bauen ...

Gasser: ... eines Tages. Jetzt haben wir noch andere Dinge zu tun. Und ich hätte schon gerne eine Familie irgendwann. Und einen Hund. Und ich freue mich, wenn mein Leben irgendwann ein bisschen ruhiger wird. Wenn ich nicht mehr aus dem Koffer lebe und meiner Familie sagen kann: „Samstag in drei Wochen bin ich zu 100 Prozent daheim“. Ein strukturiertes Leben zu führen in dem Sport, das geht einfach nicht.

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