Vier Operationen, 42 Tage im Krankenhaus, vier Monate auf Krücken – Nicole Schmidhofer hat eine lange Leidenszeit hinter sich. Kaum jemand hätte gedacht, dass die Steirerin nach ihrem Horrorsturz in Val-d’Isère, bei dem sie einen Verrenkungsbruch im linken Knie erlitten hatte, jemals auf die Piste zurückkehren würde.
Der KURIER traf Nicole Schmidhofer nach ihrer Rückkehr auf den Schnee. Sie ist aufgedreht und redselig und hat eine Kette um den Hals, an der eine grüne Beilagscheibe baumelt. Ein Andenken an die Schrauben und die Metallplatte, die bis vor einigen Monaten ihre ramponierten Knochen zusammengehalten haben. „Das sieht geil aus.“
KURIER: Wann wurde Ihnen die Schwere Ihrer Verletzung bewusst?
Nicole Schmidhofer: Zu Beginn war mir das absolut nicht bewusst. Bei der ersten Pressekonferenz einige Tage nach dem Sturz habe ich ja davon gesprochen, dass ich wieder skifahren will. Die Ärzte haben damals etwas ganz anderes gesagt. Nämlich: "Wir sind froh, wenn die Nici wieder normal gehen kann." Und irgendwann liegst du im Jänner allein auf der Couch und denkst dir, wie viel Glück du eigentlich hattest.
Laut der Ärzte hatten Sie sogar ein Riesenglück.
40 Prozent der Leute mit so einer Verletzung stehen ohne Unterschenkel da. Bei mir ist Gott sei Dank noch alles dran. Wenn du ins Rehazentrum gehst und dem Ersten, der dir entgegenkommt, der Unterschenkel fehlt, dann rattert’s schon. Und dir wird klar, dass du auch in dieser Situation sein könntest. Das war eine super Leistung meiner Ärzte und Therapeuten.
Haben Sie den Sturz jemals angesehen?
Aber natürlich. Gleich am nächsten Tag.
Und wie ging es Ihnen dabei?
Ich finde es sehr positiv, dass man nichts sieht. Also man sieht nicht, wie ich mich verletze. Und das ist gut so.
Weil es schreckliche Bilder wären?
Es ist schlimm, wenn man Stürze sieht, wo es jemanden richtig zerwuzelt. Wo man sieht, wie sich der Haxen verdreht. Und dann werden die Bilder auch noch wieder und wieder gezeigt. Und ich denke mir: What the fuck ist denn mit euch? So etwas kann man doch nicht herzeigen. Wenn ich mich so gesehen hätte, wenn ich gesehen hätte, dass bei mir der Fuß in die falsche Richtung steht – ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen könnte.
Welche Erinnerungen haben Sie an den Unfall? Sie sind ja mit mehr als 100 km/h durch den Fangzaun geflogen.
Es waren 116 km/h. Ich habe die Bodenwelle übersehen, mir hat es die Ski zusammengeschlagen, dann habe ich nichts mehr tun können. Ich weiß noch, dass ich mir in dem Moment gedacht habe: Scheiße, Netz!
Und dann?
Dann habe ich den Himmel über mir gesehen und mir gedacht: Bin ich jetzt wirklich übers Netz drüber geflogen? Zuerst habe ich den Fuß sogar noch bewegen können. Ich hab’ ihn heruntergehoben, mich hingesetzt und gewartet, bis wer kommt. Dann habe ich erst bemerkt, dass ich bei dem Sturz alles verloren habe. Ich hatte keine Handschuhe mehr an, ich hatte keinen Helm mehr auf, den hat es runtergerissen. Das war vielleicht auch gut so, sonst hätte es mich, glaube ich, stranguliert. Aber schon damals habe ich mir ein neues Ziel gesetzt.
Tatsächlich?
Wie ich hinterm Netz gelegen bin, war mir schon klar, dass die WM in Cortina gelaufen ist. Gerade Cortina, das war immer eine meiner Lieblingsstrecken. Den WM-Super-G im Fernsehen ansehen zu müssen, war der schlimmste Moment neben dem Tag, an dem ich erfahren habe, dass alles kaputt ist. Aber hinterm Netz habe ich mir gedacht: Ich brauche ein anderes Ziel. Dann eben Olympia. Ich glaube, dass ich auch meine Ärzte geschockt habe, als ich dieses Ziel ausgegeben habe. Ich war da auch sehr fordernd, es ist nicht leicht, mit mir zusammenzuarbeiten. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, will ich das unbedingt.
Sind Sie denn nie in ein Loch gefallen? Haben Sie Sich nie die Sinnfrage gestellt?
Es war gar keine Zeit, in ein Loch zu fallen. Es war immer Unterstützung da, von meiner Familie, meinen Leuten, meinen Kolleginnen, bis April habe ich bei Conny Hütter gewohnt. Alle haben an mich geglaubt und gesagt: "Wenn es wer schafft, dann du."’ Und das motiviert ungemein. Natürlich hat’s auch Tage gegeben, an denen es richtig Kacke war.
Am Freitag standen Sie das erste Mal seit 295 Tagen wieder auf den Brettl’n. Wie war die Rückkehr auf die Piste?
Sehr emotional. Das ist so schwer in Worte zu fassen. Ich kann es nicht beschreiben. Nach dieser Erstdiagnose, als es geheißen hat, dass ich froh sein soll, wenn ich wieder gehen kann, bin ich megastolz, dass ich heute wieder skifahren kann. Vom Rennsport bin ich natürlich noch weit entfernt, aber für einen Einkehrschwung reicht es schon. Wichtig ist, dass das Knie nicht reagiert.
Wie geht’s Ihnen denn jetzt körperlich?
Man kann nach 13 Trainingswochen nicht erwarten, dass man gleich dasteht wie vor einem Jahr. Es war ein langer Weg, bis ich den Fuß überhaupt wieder abbiegen konnte. Im Februar musste ich noch einmal operiert werden, weil alles so verwachsen war und ich das Bein nicht abwinkeln konnte.
Das war die vierte und letzte Operation, oder?
Die dritte. Das hintere Kreuzband ist erst später operiert worden. Das kann nämlich nur operiert werden, wenn man das Bein zu einhundert Grad abbiegen kann. Ich habe inzwischen viele Narben. Sehr lange Narben, die aber schön verheilt sind. Aber ich habe lange Zeit ganz bewusst einen Strumpf getragen, weil jeder die Narben so angestarrt hat. Manche haben sie sogar angefasst. Das war mir Vollgas unangenehm.
Wie geht’s jetzt weiter? Welche sind Ihre nächsten Schritte?
Ich hoffe, dass ich Ende des Monats wieder die langen Ski anschnallen kann. Den Fahrplan gibt sowieso der Körper vor. Sobald irgendetwas mit Schmerzen verbunden ist, dann mache ich es nicht.
Schmerzmittel sind für Sie also keine Option?
Das habe ich vor der Operation schon klar gestellt: Bevor ich mit einer Schiene fahre, fahre ich nie mehr. Das gleiche gilt für Schmerzmittel. Entweder es geht, oder es geht nicht. Schmerzmittel sind keine Option. Und wenn etwas wehtut, muss man eh überlegen, wie’s weitergeht.
Gibt’s denn einen Plan B?
Nein. Ich habe einen Plan, und der ist gut und von dem bin ich überzeugt. Es gab immer nur die Option, fit zu werden. Ich will zu Olympia.
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