Skistar Svindal: "Die Alternative ist, Olympia zu streichen"
Aksel Lund Svindal hat in seiner Karriere mehrmals das Comeback geschafft. Schwere Verletzungen und deren Folgen bekämpfte der Norweger mit eiserner Disziplin und Zielstrebigkeit. Im Februar 2019 war Schluss. Am vergangenen Wochenende startete er wieder ein Comeback im Skizirkus. Als Zuseher konnte er beim Saisonauftakt in Sölden viele seiner Freunde und Ex-Konkurrenten wieder sehen. Am Rande der Rennen bat der KURIER Svindal zum Gespräch.
Zum Skifahren, sagt der 38-Jährige, kommt er weniger als ihm lieb ist. Obwohl der Norweger davon abgesehen immer noch viel Sport macht, sieht man ihm die Veränderung an. "Es ist schon arg, weniger essen und weniger Zeit in der Kraftkammer – auf einmal hatte ich zwölf Kilo weniger", sagt Svindal.
Wenn man Sie sieht, fällt das schon sehr auf, wenn man das sagen darf.
Ja, das darf man schon sagen. So ist es einfach.
Wie fühlt es sich an, zurück im Skizirkus zu sein?
Es ist echt schön, die vielen Leute wieder zu sehen, die ich richtig gut kenne. Viele sind noch dieselben wie 2019. Gegner, Trainer - das sind teilweise richtige Freunde.
Könnten Sie bei den Rennen noch mithalten?
Nein, auch nicht bei den Damen. Dazu müsste ich wieder mehr Kraft trainieren, viele dieser Kilos wieder zurückgewinnen. Aber die mentale Einstellung wäre fast noch wichtiger – wieder in diesen Race-Modus zu kommen. Da bin ich einfach überhaupt nicht. Jetzt stehe ich oben und genieße es.
Fehlt Ihnen der Race-Modus?
Nein. Diese Zeit ist einfach vorbei. Ich hatte meine 17 Jahre im Weltcup. Ich denke, das ist genug. Jetzt kann ich ohne Stress zuschauen.
Ihnen fehlt dieser Nervenkitzel nicht, in Kitzbühel aus dem Starthaus rauszufahren?
Das nicht. Aber was mir am meisten fehlt, ist es, mit der Mannschaft unterwegs zu sein. Dieser Zusammenhalt. Fast mehr beim Training als beim Rennen. Trainingslager in Chile oder Neuseeland zum Beispiel. Es ist so einfach und alle haben dasselbe Ziel. Die Mittagessen, das Kartenspielen am Abend, diese Dinge fehlen mir. Aber so ist es eben! Um das weiter zu haben, müsste ich mitziehen als Trainer oder so.
Könnten Sie sich das vorstellen?
Nein, weil wenn du das machst, musst du es zu hundert Prozent machen. Die Zeit habe ich nicht. Die besten Trainer sind die, die am Renntag fast gleich nervös sind wie die Athleten. Dafür bin ich zu relaxed.
Apropos Zeit: Sie haben viele Projekte schon vor dem Karriereende begonnen. Ein Buch geschrieben, einen Film produziert, ein Hotel eröffnet, in Start Ups investiert, begonnen, eine TV-Show zu moderieren. Das klingt nach viel.
Es ist auch genug! Manchmal bekommt man im Leben Möglichkeiten, an Projekten mitzumachen, die einfach cool sind. Jetzt sind gerade viele Möglichkeiten gleichzeitig gekommen.
Wie ist denn die Idee für den Film "Aksel" entstanden?
Das haben Freunde von mir gestartet, die Skifilme produzieren. Sie haben 2016 einfach mal angefangen, das norwegische Team zu begleiten. Erst viel später habe ich mitgekriegt, dass sie einen Kinofilm machen wollen. Dieses Ziel hatten sie offenbar immer – aber sie haben es mir nicht erzählt.
Was würden Sie mit dem Film gerne vermitteln?
Es geht gar nicht so sehr um die Message. Der Film ist eigentlich dazu da, dass man als Ski-Fan ein bisschen näher an die Athleten rankommt. Ich glaube, es wird interessanter, wenn man sieht, was im Hintergrund passiert. Wenn man sieht, wie die Nerven vor dem Start sind. Wie sich die Athleten zusammenreden. Ich glaube, für Junge und deren Medienkonsum ist es auch nicht mehr genug, am Wochenende die jeweilige Liveübertragung zu senden. Man muss mehr machen. Die schauen ja 3-4 Bildschirme gleichzeitig. Ich denke, das ist auch ein bisschen die Zukunft von Sport. Es ist nicht mehr so, dass die Eltern Skifahren schauen und die Kinder schauen automatisch mit und interessieren sich dafür.
Sie haben vorher die vielen Freunde erwähnt, die der Skisport Ihnen beschert hat. Mit wem haben Sie denn noch Kontakt?
Weniger als ich mir gedacht hätte. Und auch die wenigen sehe ich seltener als gedacht. Aber wenn man sich sieht, ist es, als ob man jeden Tag zusammen ist. Von den "Ausländern" habe ich fast nur mit (Felix) Neureuther regelmäßig Kontakt.
Mit den Österreichern gar nicht?
Mit (Marcel) Hirscher ein bisschen. Und mit Matthias (Mayer) und Vincent (Kriechmayr). Eigentlich bin ich jetzt fast mehr in Kontakt mit meinen richtig alten Teamkollegen wie (Kjetil Andre) Aamodt. Wir versuchen uns zum Kaffee zu treffen oder zum Abendessen. Jetzt haben wir alte Kollegen eine WhatsApp-Gruppe mit zehn Leuten.
Wer ist noch in dieser Gruppe?
(Lasse) Kjus, Hans Petter Buraas, Tom Stiansen, Ole Kristian Furuseth und noch ein paar. Das ist richtig schön für mich! Ich habe mit diesen Jungs Kontakt – und mit den ganz jungen, so wie Lucas Braathen. Der ist Jahrgang 2000, Furuseth 1967. Und ich habe das Glück, dass ich mich mit allen diesen Generationen austauschen kann.
Viele von ihnen waren bei der Premiere in Oslo, bei der Kronprinzessin Mette-Marit und Kronprinz Haakon neben Ihnen gesessen sind. Glauben Sie, sind Sie bekannter in Norwegen oder in Österreich?
Ich glaube schon in Norwegen.
Aber in Österreich können Sie auch nicht auf der Straße spazieren, ohne erkannt zu werden…?
In Sölden oder Innsbruck vielleicht nicht, aber in Wien denke ich schon.
Wo sind Sie völlig unbekannt?
Als ich aktiv war, hatte ich immer den Wunsch, wohin zu fahren, wo Palmen sind. Denn dort gibt es keinen Schnee. Und wenn es keinen Schnee gibt, ist es den Leuten scheißegal, wer Ski fährt. Mein Puls geht runter, wenn ich eine Palme sehe.
Sie wirken immer freundlich. Mit Fans, mit Journalisten… Ist das manchmal mühsam?
Man lernt schnell, was funktioniert und was nicht. Wenn du eine Bachelorette Party siehst, musst du einen großen Bogen machen. Aber wenn jemand nach einem Selfie oder Autogramm fragt, kostet es mehr Kraft und Zeit, "nein" zu sagen und das erklären zu müssen, als einfach "ja" zu sagen.
Ein anderes Thema, das unangenehm werden kann, ist, wenn Athleten zu Politik befragt werden. Wenn Großveranstaltungen in Ländern wie Russland, Katar, China veranstaltet werden, in denen die Menschenrechtslage kritisiert wird – muss man das als Sportler ausblenden? Oder sollten Athleten sich äußern?
Das ist ein total schwieriges Thema. Wenn Sie Skifahrerin oder Eisläuferin sind, 17 Jahre, Sie haben das erste Mal die Chance, teilzunehmen, Ihr Traum war immer Olympia... Jetzt stehen Sie da und sollen Verantwortung zeigen? Ich finde es nicht okay, diesen Druck auf die Athleten abzuwälzen.
Also keine Kritik?
Auch wenn es zu hundert Prozent richtig ist, die Politik eines Landes zu kritisieren, muss es nicht richtig sein, dass ein junger Athlet seinen Traum verschenken muss, weil jemand hunderte Stufen über ihm entschieden hat, dass es perfekt ist, in diesem Land Olympische Spiele abzuhalten.
Wie konnte es so weit kommen?
Viele der Länder, in denen es absolut logisch wäre, Winterspiele zu veranstalten, sagen Nein. Oslo hat sich gegen Olympia entschieden, Garmisch und München haben abgesagt, Innsbruck und auch Sion in der Schweiz. Da ist etwas so falsch gelaufen. Es gibt doch eigentlich nichts Cooleres als eine Olympia. Fragen Sie mal einen Norweger, wie stolz der war auf Lillehammer 1994! Und jetzt sagen sie Nein.
Wird sich das wieder ändern?
FIFA und IOC sind nicht dumm. Sie sehen ja auch, was wir sehen. Aber sie haben zu langsam reagiert. Für Olympia 2030 wird die Entscheidung wieder anders sein, da bin ich mir sicher. Da wird kein Athlet gefragt werden, ob er oder sie zuhause bleiben wird, weil es Kritik an den Menschenrechten in diesem Land gibt. Es ist jetzt so weit gekommen, es kann nur besser werden.
Also Sie sehen es als Aufgabe der demokratischen Länder, die Verantwortung zu übernehmen und diese Events zu organisieren?
Ja. Ich denke, da müssen alle mithelfen, auch die Medien. Denn die Alternative ist, Olympia zu streichen. Ich denke, es wird jetzt auch zum Beispiel die Möglichkeit geben - für Länder wie Österreich, Deutschland oder Norwegen -, Spiele zu veranstalten, die nachhaltig sind. Denn es geht nicht nur um Geld und Menschenrechte, sondern auch um Umwelt. Ich bin sicher, man könnte etwas komplett Anderes machen als in Sotschi und Peking.
Wobei Nachhaltigkeit auch mehr kosten könnte...
Nein, es kostet weniger. Denken Sie an Innsbruck! Was müsste man denn noch bauen für Winterspiele? Es gibt Skigebiete, eine Skisprungschanze, eine Eishalle,… man muss nicht alles völlig neu bauen. Und Innsbruck müsste das auch nicht allein machen. Vielleicht müsste man dann die Zugverbindungen verbessern. Aber das ist ja etwas, das man sowieso machen sollte. Ich bin Optimist. Ich denke, jetzt sieht man einen Tiefpunkt und bald wird es besser.
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