ÖSV-Krise: Schwächstes Abfahrtsteam seit fast 40 Jahren
Marko Pfeifer würde gerade wohl gerne in der Haut von Andreas Widhölzl stecken. Der Trainer der ÖSV-Skispringer hat nämlich genau jene Probleme, mit denen sich der Chefcoach der Ski-Herren liebend herumschlagen würde.
Widhölzls Mannschaft ist dermaßen stark, dass er einen Sportler aus dem Aufgebot für die Vierschanzentournee streichen musste, obwohl dieser am Sonntag Sechster wurde und im Weltcup an 13. Stelle liegt (Manuel Fettner).
Im ÖSV-Abfahrtsteam wäre so jemand heute gesetzt und unverzichtbar. Mit Österreichs Abfahrern ist es so steil bergab gegangen, dass mittlerweile schon Mittelmaß den Ansprüchen genügen muss.
Ein Podestplatz
Ernüchternd ist noch ein Hilfsausdruck für die Zahlen, die der Fahrtenschreiber der ÖSV-Abfahrer auswirft: In der Saison 2023/’24 gab es nur ein Podestplätzchen, in der Abfahrtswertung schaffte es nur Vincent Kriechmayr (4.) in die Top 14, der Oberösterreicher ist auch der einzige Läufer im Team, der je eine Weltcup-Abfahrt gewonnen hat – der ÖSV hat gerade die schwächste Abfahrtsmannschaft seit fast vier Jahrzehnten.
Man muss schon bis in die Saison 1987/’88 zurückblicken, um auf ähnlich desolate Auftritte der österreichischen Abfahrer zu stoßen. Nicht gerade ideale Voraussetzungen 45 Tage vor einer Heim-WM.
„Wir brauchen nichts schönreden: das ist gerade ein Tiefpunkt“, sagt Hans Knauß. Der ORF-Experte erinnert an frühere interne Konkurrenzkämpfe in der Abfahrt, als bis zu zehn Läufer um die begehrten vier Startplätze für ein Großereignis ritterten. „Ohne Stockerlplatz warst du in der fünften Reihe.“
Handicap
Diese personelle Qual der Wahl ist längst Schnee von gestern, in der ÖSV-Abfahrtsmannschaft herrscht gerade eher die Wahl der Qual. „Ich kann mich nicht erinnern, dass es als Abfahrer einmal so leicht war, zu einer WM zu kommen“, meint Knauß. „Das ist für diesen Riesenverband definitiv zu wenig.“
Alles steht und fällt mit Vincent Kriechmayr, der auch in der ersten Saisonabfahrt in Beaver Creek (5.) als Einziger in den Top Ten zu finden war. Teamkollege Otmar Striedinger (33)? Zuletzt 2021 auf dem Podium. Daniel Hemetsberger (33)? Gehandicapt durch vier Kreuzbandrisse. Daniel Danklmaier (31)? Hat eine lange Verletzungsgeschichte und war 2019 einmal Fünfter. Stefan Babinsky (28)? Kann zwei Top-Ten-Platzierungen in der Abfahrt vorweisen und ist aktuell die Nummer 2 im Team.
Der ÖSV zahlt nun den Preis für die Fehler, die in den letzten 15 Jahren gemacht wurden. „Es gibt bei uns ein Strukturproblem“, moniert Knauß.
„Ich vermisse einen technischen Leitfaden. Aber es finden auch kaum mehr Europacup- und FIS-Abfahrten in Österreich statt. Den jungen Abfahrern fehlen dadurch die Rennkilometer.“
So schnell wird der Abwärtstrend freilich nicht zu stoppen sein. Der ÖSV schenkt inzwischen jüngeren Läufern das Vertrauen: Wie Stefan Eichberger (24), der in Beaver Creek 14. (Super-G) und 20. (Abfahrt) wurde. Oder Felix Hacker (25) und Vincent Wieser (22), die zuletzt im Europacup gewannen. Oder auch Stefan Rieser (25) und Manuel Traninger (26).
Generationswechsel
„Es ist jetzt der Zeitpunkt für einen Generationswechsel“, sagt Hans Knauß, betont zugleich aber: „Man darf diese Burschen aber nicht verheizen. Für die Heim-WM ist es zu spät. Das wäre ein Glücksfall, wenn da was aufgeht.“
Eichberger, Hacker, Wieser, Rieser und Traninger haben gemeinsam freilich weniger Weltcuprennen in den Beinen als Vincent Kriechmayr Weltcupsiege eingefahren hat (18.).
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