Ohne Massen und Schwarzenegger: Wie der ORF die Streif inszeniert
Womöglich ist kein Mensch die Kitzbüheler Streif öfter im Renntempo runtergefahren als Michael Kögler. Jeden Hahnenkamm-Teilnehmer, von der Startnummer 1 bis zur Nummer 57 oder 63, hat der 56-Jährige in jeder Kurve auf die Skier geschaut. Er weiß exakt, wie viele Sekunden es braucht, um vom Lärchenschuss auf den Oberhausberg zu gelangen. Jänner für Jänner ist Kögler Teil des wichtigsten Skirennens der Welt, und zwar ohne Unterbrechung seit 1987.
Damals sah der junge ORF-Mitarbeiter Pirmin Zurbriggen siegen. Mittlerweile ist er Chefregisseur des Senders und daher nicht unbeteiligt am Mythos Streif.
„Die Streif ist die beste Fernsehstrecke der Welt“, ist Kögler überzeugt. Nirgendwo sonst sehe man vom Zielgelände aus so viele entscheidende Passagen. Der Sprung über die Hausbergkante mit den Fanmassen unten im Ziel (siehe Aufmacherfoto) zähle zum besten, was der Weltsport zu bieten hat. „Eine ikonische Aufnahme.“
Video: Die Hausbergkante im Detail
Diese Einstellung wird „und muss“ (Kögler) es auch ohne Publikum geben. „Dieses Bild erwartet der Konsument. Natürlich merkt der Zuseher, dass keine Fans vor Ort sind. Das brauchen wir nicht kleinreden.“ Von virtuell zugespielten Fans auf Videowänden hält der TV-Regisseur nicht mehr viel: „Das war am Anfang charmant.“
Aus professioneller Sicht abgehen wird dem 56-Jährigen aber eine spezielle Art von Streif-Gästen: die Promis. „Als Regisseur fehlen mir die Schwarzeneggers auf der Tribüne.“ VIPs sind selten im Skirennsport und daher Gold wert für unerwartete Zwischenschnitte.
Bis auf den Hardcore-Fan muss man nach Ende der Pandemie jeden Einzelnen wieder neu überzeugen, damit er ins Stadion kommt."
Spitzensport als Show und Spektakel. Am Hahnenkamm gelingt dieses Zusammenspiel in Perfektion. Das Coronavirus hat aber auch bei Österreichs Nationalsport die Spielregeln neu definiert. Dennoch kommt die Forschung zu einem ersten Schluss: „Der Sport hat kurzfristig profitiert von den Corona-Beschränkungen“, sagt Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Vor allem im ersten Lockdown im Frühjahr seien die TV-Quoten außerordentlich gewesen.
Langfristig könne das Fernbleiben der Fans jedoch schaden. „Der Sport braucht die Bindung zum Fan“, sagt der Medienwissenschafter, „und bis auf den Hardcore-Fan muss man nach Ende der Pandemie jeden Einzelnen wieder neu überzeugen, damit er ins Stadion kommt.“
Auch im Sport zeige sich, wer die Krise als Chance begriffen hat. Bertling: „Federführend sind die USA, wo Sport ein Medienprodukt ist. In Europa sieht man Sport als Kulturgut, das mitunter konservativ behandelt wird.“ Die Basketball-Liga NBA experimentiert derweil mit 60 Kamera-Robotern.
Neues wagt der ORF auch in Kitzbühel. Erstmals sitzt ein Sounddesigner im Regiewagen. „Wir wollen das Kratzen der Skikanten auf dem blanken Eis verdeutlichen“, sagt Kögler. „Normalerweise übertönen die Fans dieses unglaubliche Geräusch.“
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