"Die Leute sind müde": Die Kitzbühel-Rennen im Zeichen Coronas
Die Straßen im Zentrum sind fast menschenleer. Der Wintereinbruch am Donnerstag und Freitag hat Kitzbühel in Watte gepackt. Das passt zur mehr als gedämpften Stimmung in der Stadt, die durch die Absage der in die Flachau transferierten Slalom-Bewerbe in den Keller gegangen ist.
„Es wäre wichtig, dass jetzt wenigstens die Rennen nächstes Wochenende stattfinden“, sagt eine Einheimische mit Blick auf die Speed-Bewerbe ab kommendem Freitag. „Das täte der Seele von Kitzbühel gut. Die Leute sind müde“, meint sie.
Der Corona-Cluster im benachbarten Jochberg, in dem die britische Virus-Mutation festgestellt wurde, lässt alles im Ungewissen. Die Slaloms hat er bereits ausgebremst. Alles andere wird davon abhängen, ob die Covid-Variante B.1.1.7 im Bezirk gestreut hat, was mit Massentests und Abwasseranalysen geprüft werden soll. In Jochberg gab es darauf keine Hinweise.
Bangen um die Rennen
„Die Sorge ist groß, dass uns das Rennwochenende genommen wird“, sagt Bürgermeister Klaus Winkler. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, wäre er nicht sorgenfrei: „Wir hoffen wirklich, dass keine Leute kommen. Wenn wir nur zwei singende Fans mit Bierflaschen und Fahnen in der Hand haben, gibt es erst recht imageschädigende Bilder“, fürchtet Winkler.
Die Rennen in Kitzbühel sind die international meistbeachteten des gesamten Skiwinters: 1931wurden die ersten Hahnenkammrennen ausgetragen. Insgesamt sieben Siege feierten Marc Girardelli (LUX) und Pirmin Zurbriggen (SUI). Franz Klammer gewann vier Mal die Abfahrt.
50.000 Zuschauer sahen 2020 den Sieg von Matthias Mayer. Der letzte Slalom-Sieger aus Österreich war 2017 Marcel Hirscher.
2.500Gäste zuzeln normalerweise bei der Weißwurstparty 12.000 Paar Würstel. Die 30. Auflage wurde auf 2022 verlegt.
150.000 Euro werden beim Ersatzslalom ausgeschüttet, der heute in Flachau stattfindet – 40.000 mehr als geplant.
Etwaige Zaungäste sollen mit Polizeipatrouillen und großräumigen Absperrungen um die Piste von den Rennen ferngehalten werden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden müssen. Und das in Kitzbühel, das mit der Zauberformel „Promis, Partys, Pistenaction“ zum Zuschauermagneten für jährlich Zehntausende Skisport-Begeisterte wurde.
Die Schweizer mit den Kuhglocken
Signe Reisch wird sie vermissen, „die Schweizer mit ihren Kuhglocken, die Fans mit ihren Transparenten“, wie die Chefin des Rasmushofs sagt. Ihr Fünf-Stern-Hotel steht im Zielgelände der Streif, das ihrer Familie gehört.
Wo sonst bereits an den Zuschauertribünen geschraubt werden würde, herrscht gähnende Leere. Für das riesige VIP-Zelt gibt es heuer ebenfalls keinen Bedarf. „Die Woche der Hahnenkamm-Rennen war immer die fünfte Jahreszeit. Jetzt ist es die stille Jahreszeit geworden“, sagt Reisch.
Zurück zu den Wurzeln
Dass das ganz schrille Drumherum wegfällt, sieht Reisch nicht nur negativ: „Für uns Kitzbüheler und den Skiclub mit seinen Hunderten Freiwilligen stand immer der Sport im Vordergrund. Es ist back to the roots.“ Zurück zu den Wurzeln hieß es für die Hotel-Grande-Dame zuletzt auch im Lockdown. „Wir haben für Geschäftsreisende – etwa Handwerker oder Architekten – offen gelassen. Für sie habe ich mit einem Lehrling gekocht“, erzählt die Kitzbühelerin, die mit 16 Jahren in der Küche ihre Tourismuskarriere gestartet hat.
Seither war nie Zeit, um ein ganzes Rennen mitzuverfolgen. „Dieses Mal werde ich auf dem Balkon stehen und es mir anschauen – mit Wehmut“, sagt Reisch. Die Zimmer, in denen sonst Promis wie Bernie Ecclestone den Blick genießen, bleiben leer.
Die VIPs müssen dem Speed-Spektakel heuer genauso fernbleiben wie jeder andere Ski-Fan. Der Stanglwirt in Going hatte seine berühmte Weißwurstparty – Fixpunkt im Hahnenkamm-Promi-Schaulaufen – bereits im September abgesagt. Juniorchefin Maria Hauser steht allein in der großen Halle, in der sich am Freitag die Gäste um einen riesigen Kessel zum Essenfassen gedrängt hätten. Das Luxushotel ist im Ruhemodus. Da bleibt Zeit für Dinge, die sonst unmöglich sind: „Wir werden uns die Rennen heuer als Familie im Fernsehen anschauen und Weißwurst essen“, sagt Hauser.
An der Bar haben Mitarbeiter vor dem Lockdown den Kult-Satz von Stammgast Arnold Schwarzenegger auf einer Tafel hinterlassen: „I’ll be back.“ Die Unternehmerin blickt ebenfalls „grundoptimistisch“ in die Zukunft, sagt sie und hofft, dass die Zwangspause für den Tourismus in Tirol zu einem Umdenken führt: „Das ist eine riesige Chance, dass es mehr Richtung Qualität statt Quantität geht.“
Neuausrichtung
Das Image des Landes hat unter dem Covid-Ausbruch in Ischgl gelitten. Mit dem Cluster in Jochberg und den daraus resultierenden Renn-Absagen kam auch Kitzbühel in die Schlagzeilen. „Jetzt haben wir die Misere“, sagt Rasmushof-Chefin Reisch.
Die Aussichten sind auch so trübe. „Die Saison ist wahrscheinlich gelaufen“, glaubt Michael Keuschnigg vom Restaurant First Lobster in Kitzbühel, wo in einer normalen Saison 4.000 bis 5.000 Hummer serviert werden. Dass die Gäste nach all den Debatten ausbleiben, fürchtet er nicht: „Ich glaube schon, dass die Leute wieder kommen.“
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