Missbrauchsskandal: Die Schatten der Vergangenheit

Nicola Spieß-Werdenigg steht im Zentrum des Missbrauchsskandals.
In den 1970er Jahren herrschten im Wintersport-Zirkus üble Sitten, denen die Ski-Damen hilflos ausgesetzt waren.

In zehn Tagen wird Anna Veith ihr Comeback in Lake Louise versuchen. Dort, wo Petra Kronberger im Dezember 1992, obwohl Doppel-Olympiasiegerin und damals erst 23 Jahre alt, ihren Rücktrittsentschluss fasste. Sie ließ viel Geld liegen. Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr sicher genug.

Heute ist Kronberger, mit der es das Schicksal nach dem jähen Karriereende privat eine Zeit lang nicht so gut wie auf der Piste meinte, Magister der Kunstgeschichte, seit 2015 Frauenreferentin des Skiverbandes und ... erschüttert. Entsetzt über die Aussagen der ehemaligen Tiroler Rennläuferin Nicola Spieß-Werdenigg, der Kronberger zugleich nachahmenswerten Mut attestiert.

Gedemütigt

Sie sei von einem Rennläufer unter Alkoholeinfluss vergewaltigt worden, gibt die heute 59-jährige, in Wien lebende dreifache Mutter via Standard zu Protokoll. Weiters sagt Spieß, dass eine Teamkollegin, nachdem sie heimlich beim Sex gefilmt worden war, aus Verzweiflung sogar die Karriere beendete.

Das war 1975. In jenem Winter, in dem Spieß Abfahrtsmeisterin wurde. 1976 schrammte sie als Olympia-Favoritin in der Axamer Lizum knapp an einer Medaille vorbei, weil man die falsche Skiwahl getroffen hatte.

Auch darüber schwieg die Olympiavierte Spieß-Werdenigg jahrzehntelang.

Annemarie Pröll hatte just im Olympiawinter 1976 pausiert, ehe sie danach wieder allen um die Ohren fuhr. Sie hätte manch Rennen wohl selbst auf Holzscheitern gewonnen. Sie war auch mental stärker als andere, vor allem als Nicola, die sich als einzige Gymnasiastin wie eine Außenseiterin vorkam. Deshalb überrascht es nicht, dass Annemarie Moser-Pröll in Servus TV zu den Missbrauchsvorwürfen sagt: "Ich hätte mich zu wehren gewusst."

Es war eine raue Zeit, in der sich Trainer und Serviceleute zuweilen angeblich nicht nur an den Skiern vergriffen haben. Und wollten sich sensible Mädels während wochenlanger Tourneen daheim telefonisch ausweinen, dann mussten oft am Postamt erst Ferngespräche angemeldet werden. Als Jung-Reporter stand man zuweilen auch auf der Leitung, wenn die Läuferin A schluchzend behauptete, dass sie nur deshalb die langsameren Skier bekam, weil der Servicemann mit der Läuferin B ein Verhältnis habe.

"Hauptsache, die Skier laufen und die Trainer saufen", sagte nicht nur einmal Helmut Girardelli, der zur Ironie neigende Trainervater des fünffachen Gesamtweltcupsiegers und für Luxemburg fahrenden Marc Girardelli.

Gleichberechtigt

Peter Schröcksnadel war, obwohl jetzt schon 27 Jahre im Amt, zu dieser Zeit noch nicht Präsident des ÖSV.

Mittlerweile geht’s im Skizirkus ungleich nüchterner (= professioneller) zu.

Mittlerweile sitzen die Renndamen nachmittags nicht mehr in einer Cafeteria, sondern auf dem Fahrradergometer. So wie die Männer. Auch hinsichtlich Gagen fällt der Geschlechtervergleich nicht mehr sehr unterschiedlich aus. In der vergangenen Saison schienen in der Top 20 der Preisgeldrangliste sogar mehr Damen als Herren auf. An Mikaela Shiffrin zahlten die Veranstalter mehr Prämien aus als an Marcel Hirscher.

Nicht geändert hat sich,

... dass das Betreuerpersonal im Damen-Zirkus zu 90 Prozent aus Männern besteht;

... dass, wie Nicola Spieß-Werdenigg zurecht anprangert, vorm Fernseher die Skidamen mit abfälligen Macho-Sprüchen immer noch mehr nach ihrem Aussehen als nach ihren Leistungen beurteilt werden;

... und dass es speziell zu Weltcup-Beginn und zum Weltcup-Finale, wenn Damen und Herren zur selben Zeit am selben Ort wohnen, zu "Pantscherln" (O-Ton ÖSV-Präsident Schröcksnadel) kommt, die freilich oft vor dem Traualtar enden.

Glücklich

Angefangen von Olympiasiegerin Hanni Wenzel und Ex-Weltmeister Harti Weirather – Beispiele für prominente Ski-Ehen, die seit Jahrzehnten quer durch alle Nationen halten, gibt es genug.

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