Matthias Mayer: Die große Olympia-Legende mit dem kleinen Ego
Welcher Moment denn für ihn am schönsten gewesen sei, wurde Matthias Mayer nach dem Olympiasieg im Super-G am Dienstag im chinesischen Yanqing gefragt. Die Antwort wird viele vielleicht überraschen.
Es war nicht etwa der Augenblick, als nach der Zieldurchfahrt auf der Anzeigetafel der Einser aufblinkte. Es war auch nicht der Moment, als der Kärntner mit der Goldmedaille um den Hals auf dem Siegespodest stand und für ihn die österreichische Hymne angestimmt wurde („Das war die Draufgabe“). Am meisten genoss Matthias Mayer einen anderen Moment.
Es war jener Augenblick, als er den goldenen Moment mit seinen engsten sportlichen Vertrauten teilen durfte. „Das Abklatschen mit all den Trainern und Kollegen nach dem Rennen – das war der schönste Moment“, versichert der 31-Jährige.
Das sagt sehr viel über diesen Mann aus, der am Dienstag in China österreichische Sportgeschichte geschrieben hat. Mit drei Goldmedaillen und einer Bronzenen ist Mayer nun der erfolgreichste österreichische Skifahrer bei Olympischen Winterspielen – das muss man in einem Land, das Skilegenden wie Toni Sailer, Franz Klammer, Annemarie Moser-Pröll, Hermann Maier, Marcel Hirscher hervorgebracht hat, erst einmal schaffen.
Toni Sailer: Mit drei Goldmedaillen 1956 bei den Spielen in Cortina d’Ampezzo war der 2009 verstorbene Kitzbüheler Österreichs Nr. 1 – bis Dienstag.
Hermann Maier: Gold im Super-G von Nagano drei Tage nach dem kapitalen Sturz in der Abfahrt und danach noch RTL-Gold machten den bald 50-Jährigen zum „Herminator“
Annemarie Moser-Pröll: Mit 18 gewann Jungstar Pröll 1972 zwei Mal Silber. Erst mit nicht ganz 27 Jahren holte sie 1980 endlich Abfahrtsgold
Franz Klammer: Der 22-Jährige hielt vor 60.000 Fans bei den Heimspielen in Innsbruck 1976 dem Erwartungsdruck stand und wurde Abfahrtsolympiasieger
Marcel Hirscher: Sechsmal hatte er bereits den Weltcup gewonnen, aber noch kein Olympia-Gold. 2018 mit fast 29 vergoldete er sich doppelt
Es mag durchaus stimmen, dass Matthias Mayer neben den anderen alpinen Lichtgestalten ein wenig verblasst. Dafür kann er wenig. Als Toni Sailer 1956 in Cortina d’Ampezzo drei Goldmedaillen gewann, wurde dies von den Landsleuten nicht allein als Erfolg eines Sportlers wahrgenommen. Es war vielmehr ein nötiges Lebenszeichen eines Landes elf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. „Sailer war eine Figur, in der sich dieser Mythos bündelte, dass Österreich aus den Trümmern des Weltkrieges wiederaufersteht und aus eigener Kraft eine wichtige Rolle in der Weltgemeinschaft spielen kann“, sagt dazu der Wiener Sporthistoriker Rudolf Müllner.
Die Geschichte einer anderen Wiedergeburt erzählte Hermann Maier 1998 bei den Spielen in Nagano. Die Bilder seines wilden Sturzes in der Olympiaabfahrt haben vermutlich heute mehr Menschen noch im Kopf als seine Fahrten zu Gold im Super-G und im Riesentorlauf. Diesem Sturz verdankte der Salzburger nicht nur den Beinamen „Herminator“, sondern auch seine weltweite Bekanntheit.
Neben Hermann Maier kommt der Namenskollege mit Y vergleichsweise unscheinbar daher. Matthias Mayer kann nicht mit solchen Helden-Geschichten aufwarten. Sein historischer Erfolg fällt zwar gerade auch in eine besondere Zeit, allerdings ist eine Pandemie mit all ihren Begleiterscheinungen – von leeren Tribünen bis zu maskierten Protagonisten – nicht gerade das Bühnenbild für ein goldenes Schauspiel, das das Publikum so wie bei früheren Winterspielen in den Bann zu ziehen vermag.
Matthias Mayer dürfte das gar nicht einmal so unangenehm sein. Der Kärntner ist keiner, der ins Rampenlicht drängt oder nach Aufmerksamkeit lechzt. Ihm sei es nie darum gegangen, Toni Sailer oder Hermann Maier zu überflügeln, sagte der besonnene Kärntner nach dem dritten Olympiasieg. „Für mich hat nur das Rennen gezählt. Vielleicht kommt es irgendwann, dass ich begreife, dass ich Geschichte geschrieben habe.“
Der elffache Weltcupsieger ist anders gestrickt als frühere österreichische Ski-Helden. Er fährt nicht die Ellbogen aus, wie es Hermann Maier mitunter gemacht hat; er ist kein Solist wie Marcel Hirscher, der ein eigenes Team um sich geschart hat. Matthias Mayer stellt den Teamgeist über seine Person, das betont er bei jeder Gelegenheit.
Mensch Mayer – das trifft es beim 31-Jährigen auch abseits der Pisten. Während der Flüchtlingskrise 2015 nahmen er und seine Eltern zwei irakische Familien bei sich in Kärnten auf. Wie es seinem Naturell entspricht, machte er in der Öffentlichkeit kein großes Aufheben davon. Das war für Matthias Mayer so selbstverständlich, wie bei Olympischen Winterspielen Gold zu gewinnen.
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