Was hat Sie so beschäftigt?
Es war nicht so, dass ich der Saison hinterhergeweint hätte und mordsmäßig frustriert war. Das war ich im Winter, da war ich oft richtig niedergeschlagen wegen der vielen Ausfälle. Der Winter hat jedenfalls viel Analyse und Reflexion von mir gebraucht.
Sind Sie denn einer, der viel grübelt? Ein Kopfmensch?
Ich bin ganz bestimmt einer, der extrem viel nachdenkt. Das hat Vorteile, aber manchmal steht man sich dann selbst im Weg.
Welche Lehren haben Sie aus der Saison gezogen?
Ich habe für mich entschieden: Ich muss nicht nur die letzte Saison loswerden, sondern auch die Saison, in der ich Olympiasieger geworden bin. Die Gefahr war da, dass ich mich immer nur an das Olympia-Jahr zurückerinnere. So ungefähr nach dem Motto: Was habe ich damals gemacht, wie hat es sich angefühlt, was hat da gut funktioniert?
Was ist daran schlecht?
Ab einem gewissen Punkt muss man den Erfolg auch einmal vergessen. Sonst läuft man wirklich Gefahr, dass man sich im Kreis dreht und nicht mehr die nötigen Schritte macht, um sich weiterzuentwickeln. Ich habe mit einem Mentaltrainer viel Zeit verbracht und die beiden Saisonen aus sportpsychologischer Sicht analysiert.
Wird die kommende Saison für Sie womöglich einfacher, weil Sie nicht mehr so im Fokus stehen wie nach den Erfolgen bei Olympia 2022?
Die Ausgangsposition ist sicher nicht einfacher. Ich bin in der Startliste weit zurückgefallen, das ist nicht ideal. Natürlich ist die Aufmerksamkeit von außen bei Weitem nicht so groß wie im letzten Jahr. Das ist in gewisser Weise ein Vorteil. Ich hatte mehr Zeit, um mich auf das Training zu konzentrieren.
Sind Ihre Ansprüche denn gesunken?
Von der Herangehensweise habe ich nicht das Gefühl, dass es heuer anders ist als vor der vergangenen Saison. Da hatte ich große Erwartungen in mich selbst, die waren auch nicht verkehrt. Ich spreche die Ziele immer offen aus. Wie ich zu Olympia gefahren bin, habe ich gesagt, ich will eine Medaille. Ich finde es schade, wenn man Dinge künstlich kleinredet. Jeder will Weltmeister werden. Der eine sagt es halt, der andere nicht. Ich finde auch, dass man es ansprechen darf, ohne dass man deshalb gleich überheblich wirkt. Meine großen Ziele haben sich durch den jüngsten Winter nicht verändert. 2025 ist eine Heim-WM, ich will die ganz großen Rennen gewinnen wie Kitzbühel, Wengen, Schladming.
Das klingt, als gebe es ein „aber“ ...
Stimmt. Ich schiebe meine großen Ziele nach hinten. Ich muss sicher am Anfang kleinere Schritte ins Auge fassen. Da geht’s darum, dass ich mit der Startnummer wieder nach vorne komme. Da muss ich auch die Fahrweise dann entsprechend anpassen.
Heißt das etwa, Sie fahren taktisch und daher mit angezogener Handbremse?
Groß taktieren kann man im Slalom nicht mehr. Aber man kann sehr wohl die eine oder andere Passage mit Kopf fahren. Ich muss für mich vor dem Lauf klar festlegen, an welcher Passage ich das allerletzte Hemd riskiere und wo ich vielleicht mit ein bisschen Bedacht fahre. Ich darf es nicht mit Gewalt erzwingen. Das funktioniert nicht, das habe ich zuletzt gesehen. Gerade bei schlechten Pisten war es bei mir oft zu viel des Guten. Ich hätte öfter sagen müssen: Nimm dich zurück!
Wie schwierig fällt das?
Das ist gar nicht so leicht. Du bist ja doch ein Rennfahrer aus Leib und Seele. Dann möchtest du das natürlich auch in jedem Rennen zeigen.
Sie sind letzte Saison in neun Rennen sechsmal ausgeschieden. Wie kriegen Sie Stabilität und Sicherheit?
Die Grundlage dafür liegt sicher im Training. Die Hausaufgaben haben wir sicher im Sommer und in den letzten Wochen gemacht. Das Allerletzte ist eine gewisse Leichtigkeit im Wettkampf. Und die kriegst du im Normalfall aber nur durch Ergebnisse. Die Angst vor dem Versagen wird immer mitfahren. Das hatte ich auch bei Olympia in Peking. Damals habe ich mir nach dem ersten Slalom-Durchgang gedacht: Was ist, wenn ich es als Halbzeitführender verhaue. Diese Versagensängste sind ganz normal. Wichtig ist nur, dass ich mit der Situation richtig umgehe. Das ist die berühmte mentale Stärke, die man kriegt, wenn die Ergebnisse eintreffen. Und dann kommt die Leichtigkeit von alleine. Ich muss mich selbst manchmal an der Nase nehmen, dass ich es mit dem Perfektionismus nicht übertreibe.
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