Ski-Legende Karl Schranz: "Der Neureuther regt sich über alles auf"
Vergangenes Jahr jährte sich sein Ausschluss von den Olympischen Spielen in Sapporo zum 50. Mal – dabei war das nicht der einzige „Olympia-Raub“, den Karl Schranz erleben musste.
Kommenden Sonntag wird die Ski-Legende unglaubliche 85. Fragen nach seinen füheren Kontakten zu Wladimir Putin wehrt er ab („Mein Familie hat mir verboten, das Thema zu berühren“), aber zum Skifahren früher und heute, zum Wettbewerb und Kameradschaft, zu Saisonopenings und Kunstschnee, fällt ihm viel ein.
KURIER: Wann sind Sie das erste Mal auf Skiern gestanden?
Karl Schranz: Meine Mutter hat gesagt, mit zweieinhalb.
Zu früh für eine Erinnerung.
Ich selber weiß es nicht. Sie hat mich beim Nachbarn, der war Skilehrer, zum Anfängerunterricht dazugestellt. Da bin ich runter gefahren, und er hat gesagt: „Der kann das glei.“
Und wann sind Sie als Kind im Winter auf die Piste?
Wenn’s Schnee gehabt hat. Einmal im November, einmal im Dezember ...
Dass der Ski-Zirkus mit Ski-Openings immer früher beginnt, zuletzt Ende Oktober in Sölden, hat viel Kritik von Mikaela Shiffrin bis Felix Neureuther hervorgerufen.
Der Neureuther regt sich über alles auf. Lass es sein, gedeih’n – wir haben als Junge auch Ideen gehabt, und sie haben uns gelassen, Gott sei Dank. Ich misch’ mich auch nicht überall ein – das Einzige, was mir nicht gefällt, ist das neue ÖSV-Logo.
Also nicht zu früh?
Nein, das passt. Da oben ist es kalt, und man kann immer beschneien.
Auch nicht zu viel Ski? Früher gab’s Wengen, Kitz, Garmisch und ein paar Hand voll mehr Rennen, heuer gibt’s bei Frauen und Herren jeeweils 45 Rennen.
Da muss man die Rennläufer fragen. Mir als Zuschauer ist es nicht zu viel.
Meine ersten Ski waren die Schranz-Kneissl mit den schwarzen Streifen, 1,90 Meter ...
Minimum, wir sind 2,20er gefahren.
Hatten Sie als Junger ein Idol auf Skiern?
Den Anderl Molterer. Der ist leider gerade verstorben.
Den sah’ man damals nicht im TV, den sahen Sie live.
Klar. Und ich bin selbst gegen ihn gefahren. Er hat mich als Junger am Anfang unter seine Fittiche genommen, ich durfte, wenn wir unterwegs waren, in seinem Zimmer schlafen. Und in Wengen habe ich ihn dann einmal geschlagen, in der Abfahrt war ich vor ihm.
Majestätsbeleidigung, oder war er stolz?
Ich hab’ mich gar nicht hingetraut zu ihm. Er hat mir gratuliert. Und in Wahrheit war er wirklich stolz, so ein feiner Mensch.
Was unterscheidet einen Karl Schranz von damals von einem Hermann Maier oder einem Marcel Hischer?
Die sind als Spezialisten aufgewachsen, Slalom, Riesenslalom, Super-G, Abfahrt. Bei uns musste man alles fahren. Sonst hast keine Chance gehabt für den Gesamtweltcup.
Sie waren 3x Weltmeister, 2x Weltcup-Gesamtsieger. Nur der Olympiasieg wurde Ihnen „gestohlen“ ...
Nicht nur einmal.
Genau, in Sapporo 1972 und in Grenoble 1968.
Der Franzosen-Betrug.
Welcher tat mehr weh?
Beide gleich. In Sapporo wurde mir von vornherein gesagt, ich dürfe nicht starten. und in Grenoble wurde ich mit Bestzeit disqualifiziert.
Weil Ihnen ein Pistenarbeiter im Weg stand und Sie den zweiten Durchgang wiederholt haben.
Ja, beim ersten Mal ging es nur bis zum 15. Tor. Dann kam der in die Piste, ein Polizist war’s.
Absichtlich?
Das kann man niemandem unterstellen. Damals hab’ ich natürlich alles unterstellt. Ich fuhr den zweiten Durchgang noch einmal und habe gewonnen. Und dann sagte der Serge Lang (französischer Erfinder des Ski-Weltcups, Anm.) und sagte: „Das geht nicht.“
Damit Jean-Claude Killy, der Zweite, bei den Heim-Spielen drei Goldene bekommt?
Ja, wie der Toni (Sailer, Anm.) 12 Jahre zuvor. Aber der Killy konnte nichts dafür – ich treffe ihn heute noch einmal im Jahr.
Und vier Jahre später ...
War es eine Sauerei, dass ich als einziger nicht starten durfte. Die anderen haben Geld verdient mit Sponsoren genauso wie ich.
Warum hat sich IOC-Präsident Avery Brundage so auf Sie eingeschossen und Sie wegen des Amateurparagraphen von den Spielen ausgeschlossen?
Ich glaube, dass das auch aus Österreich angezündet worden ist.
Wie bitte?
Ich will niemanden nennen.
Haben Sie den Brundage je persönlich getroffen?
Nein. Darum hat mich ja gewundert, dass der so viel weiß über mich. Der Brundage hat gesagt, er müsste eigentlich alle ausschließen, aber ich sei der Schlimmste. Das muss ihm jemand gesagt haben ...
Der fand das Foto von Ihnen mit Kaffeewerbung auf der Hobbyfußballerbrust nicht von selbst in österreichischen Zeitungen.
Nein.
Sie wurden ausgeschlossen, nachdem Sie Trainingsbestzeit in der Abfahrt hingelegt hatten?
Zwei Mal. Der Heinz Prüller kam zu mir und sagte: „Ich glaub’ sie haben Dich ausgeschlossen.“ Hab’ ich gesagt: „Hau ab da, bist du narrisch.“ Mir wurde dann von einigen geraten, zu klagen – das IOC wäre kaputt gewesen, hat auch der Vizepräsident zugegeben. Aber der Kneissl (Skifabrikant, Anm.) wollte nicht.
Denken Sie noch oft dran?
Nur sporadisch.
Über Ihre Heimkehr nach Österreich ist viel geschrieben worden. Was war das für ein Gefühl auf der Simmeringer Hauptstraße und dem Ballhausplatz-Balkon?
Ich musste abschalten. So wie ich das bei Skirennen gewohnt war, wenn von links und rechts reingerufen wird, „Du Depp“ oder „Schranz, gib Gas“. So viele Menschen, abnormal. Ich hab’ ein bisschen gewinkt, dann ist mir in der Hand kalt geworden und ich hab den Handschuh wieder angezogen. Und abgeschaltet. Die Medien wollten das, der Bruno Kreisky wollte das auch, obwohl er dann nicht auf den Balkon mit wollte.
Dabei haben „wir“ damals am Tag vorher eine Olympia-Goldene gemacht, Trixi Schuba im Eiskunstlauf. Das ging total unter.
Das hat mir leid getan. Sie ist in der Nacht aus Sapporo zurück gekommen, was heißt: „eingesickert“, keiner war da. Ich habe mich entschuldigt bei ihr. Ich bin mit der Trixi gut. Aber was kann ich dafür. Die Leut’ sind, wie die Leut’ sind: verrückt. Da versteht man manch andere Sachen auf der Welt.
Heute wär’s mit Social Media nochmal wilder.
Aber heute haben's keinen Schranz mehr (lacht).
Der Skizirkus heute ist schneller und hektischer?
Ja, aber das ist die Zeit, in der wir leben. Der Nenning, der Messner, wir sind gegeneinander gefahren, und dann haben wir gewattet (in Tirol populäres Kartenspiel, Anm.). Das gibt’s heute nicht mehr.
War da mehr Teamgeist, mehr „wir“ Österreicher wollen gewinnen?
Nein, ich habe mich nie gefreut, dass ein anderer gewinnt. Und wenn, dann lieber ein Ausländer als die unmittelbare Konkurrenz. Das war bei allen so. Du musst Individualist sein, sonst gewinnst du ja nix. Aber man hat gratuliert und war dann wieder zusammen.
Würden Sie in der heutigen Zeit Skifahrer sein wollen?
Ja klar. Die verdienen ja Unsummen. Im Gegensatz zu damals. Mir hat man angeboten, die Schweizer Zimba-Bindung zu fahren. Die hat nicht funktioniert, aber was sie gezahlt haben, hat für den Rohbau meines Hauses in St. Anton gereicht. Das wäre heute nichts im Vergleich.
Apropos Sankt Anton, oder zu Beginn Sölden: Die Skiorte setzen auf immer mehr Ski fahren, andere sagen, in zehn Jahren können wir wegen Klimawandel gar nicht mehr ...
Das wurde vor 20, 30 Jahren auch schon gesagt. Und in meiner Zeit wurde das auch gesagt. Zu Beginn der 1930er-Jahre gab’s ein paar Jahre keinen Schnee, da hieß es in Anton: Wir werden uns nicht mehr Wintersportort nennen können. Und 200 Jahre vorher hat’s geheißen, wir werden vereisen. Natürlich, ein bisserl wärmer wird es. Aber man kann auch beschneien.
Echter Schnee oder Kunstschnee, was ist für den Profi der Unterschied?
Überhaupt keiner. Ich habe nie einen gemerkt.
Echt? Also an ein Aus fürs Skifahren glauben Sie nicht?
Nein, ich werde es nicht mehr erleben.
Karl Schranz, geboren am 18. November 1938 in St. Anton/Arlberg, österreichisches Skiidol der 1960er/70er-Jahre: Drei Weltmeister-Titel, zwei Gesamtweltcupsiege.
1972 bei den Olympischen Winterspielen in Sapporo wegen Verstoßes gegen Amateurparagraphen ausgeschlossen, 1968 in Grenoble auf Goldkurs disqualifiziert.
Wladimir Putin 2001 in St. Anton kennengelernt, enger Berater für die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 (und deshalb nachher, Stichwort Ukraine, in der Kritik).
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