Das Hirscher-Comeback: Warum der Ski-Star als Niederländer ein Niemand ist
Marcel Hirscher kehrt in den Weltcup zurück.
Ist der 1.April um einige Wochen nach hinten gewandert? Schlägt der Klimawandel zu und die Sommerlöcher tauchen jetzt auch schon im Spätwinter auf? Und kann da wirklich etwas dran sein?
Tatsächlich steckt hinter dieser Meldung mit Sensationsgehalt mehr als nur eine Schlagzeile. Marcel Hirscher wird wieder Skirennen bestreiten. Allerdings steht der achtfache Gesamtweltcupsieger nicht mehr für Österreich am Start, sondern für die Niederlande, das Heimatland seiner Mutter. Das wirft einige Fragen auf.
- Hat es so einen Fall schon einmal gegeben?
Im Skisport ist das ein absolutes Novum. Annemarie Moser-Pröll nahm in der Saison 1975/’76 mit 22 Jahren eine einjährige Auszeit, ehe sie sich erfolgreich im Weltcup zurückmeldete und noch Olympiasiegerin und Weltmeisterin wurde.
Bei Marcel Hirscher ist die Ausgangsposition eine andere: Am 17. März 2019 bestritt der Salzburger in Soldeu (Andorra) sein letztes Weltcuprennen, einen Slalom, den er für seine Verhältnisse auf dem enttäuschenden 14.Rang beendete. Mittlerweile ist er 35, der Skisport hat neue Helden wie Marco Odermatt, der etwa den Riesentorlauf auf ein neues Level gehoben hat. Lassen sich fünf Jahre Auszeit einfach so wegschieben?
- Ist ein Nationenwechsel überhaupt so leicht möglich?
Als Lucas Braathen vor wenigen Wochen zum Ski-Brasilianer wurde, benötigte er dafür das Okay des norwegischen Verbandes, für den der Jungstar bisher gefahren war. Der Österreichische Skiverband erteilte Marcel Hirscher die Freigabe für das Herzensprojekt. "Auch als Wertschätzung für seine Verdienste für den ÖSV und den Skisport", sagte ÖSV-Generalsekretär Christian Scherer.
Dass ein Läufer fünf Jahre nach dem Rücktritt die Karriere wieder starten will, ist ein Präzedenzfall. Beim ÖSV hätte man es natürlich lieber gesehen, wenn Hirscher für Österreich etwaige Erfolg einfährt. Und nicht für das alpine Niemandsland Niederlande, wo das größte Skigebiet ein Dach hat – die Snow-World-Skihalle in Landgraaf.
- Warum fährt Marcel Hirscher nicht wieder für den ÖSV?
Die ÖSV-Bosse versuchten, den 35-Jährigen zu einem Comeback als Österreicher zu überreden. Doch sie stellten rasch fest, dass Marcel Hirscher seinen eigenen Weg gehen will. Und das ist auch besser so. "Er will keine Sonderbehandlung und auch keinem jungen Läufer einen Startplatz wegnehmen", erklärt Toni Giger, der Chef der Skifirma Van Deer Red Bull Sports.
- Wie konkurrenzfähig ist der Salzburger?
Natürlich ist Marcel Hirscher auf Brett’ln von Van Deer-Racing unterwegs, der Skimarke, die er 2021 ins Leben gerufen hat. Dass dieses junge Unternehmen konkurrenzfähiges Ski-Material produziert, beweisen der Slalom-WM-Titel von Henrik Kristoffersen (2023) und die Erfolge seines norwegischen Landsmanns Timon Haugan.
Am Material sollte das Comeback also nicht scheitern. Auch das Skifahren wird der achtfache Gesamtweltcupsieger in den vergangenen fünf Jahren nicht verlernt haben. Marcel Hirscher testet seine Skier selbst und bewegt sich dabei wie zur aktiven Zeit am Limit. Kiebitze und Ex-Kollegen, die den Salzburger bei seinen Trainingsläufen beobachten, behaupten, dass der Ausnahmesportler Hirscher immer noch mit den heutigen Topläufern auf Augenhöhe ist.
- Wie schwierig ist ein Neustart nach 5 Jahren?
Die Meriten von Marcel Hirscher sind verjährt und haben keinen Wert. Der achtfache Gesamtweltcupsieger ist bei seinem Comeback ein absoluter Niemand. Jedenfalls für den FIS-Computer, der Hirscher im Slalom-Ranking auf Platz 85 ausspuckt, im Riesentorlauf wird er gar nur als Nummer 356 geführt.
Keine Extrawürste für Superstars
Hirscher muss sich erst wieder für den Weltcup qualifizieren, weil es im Skisport nicht etwa wie im Tennis oder Golf Wildcards gibt. Im Fall Hirscher bedeutet das: Der 35-Jährige muss bei kleineren FIS-Rennen an den Start gehen, ehe er auf die Weltcupbühne darf. Geplant sind Starts im Sommer in Neuseeland, um die nötigen FIS-Punkte zu sammeln.
Ein mühsamer Weg, und auch dann hätte Marcel Hirscher bei der Rückkehr im Weltcup zumindest am Anfang sehr hohe Startnummern."Man darf sich keine Wunderdinge erwarten", sagt Anton Giger.
- In welcher Disziplin ist ein erfolgreiches Comeback am realistischsten?
Marcel Hirscher trainierte in den letzten Jahren hauptsächlich Riesentorlauf, jener Disziplin, in der er 2018 Olympiasieger wurde. Eine erfolgreiche Rückkehr im Slalom, in dem er die Mehrzahl seiner 67 Weltcupsiege gefeiert hatte, ist deutlich schwieriger.
Gerade der Slalom erfordert einen enormen Trainingsaufwand, die Leistungsdichte ist dort ungleich höher als im Riesentorlauf. 2022 hatte sich Marcel Hirscher auch einmal als Vorläufer über die Streif gewagt und danach von dieser grenzgenialen Erfahrung geschwärmt. In der Abfahrt wird man Hirscher trotzdem nicht zu sehen bekommen. "Marcel wird im Riesentorlauf und im Slalom Rennen bestreiten", verkündet Anton Giger.
- Wie fit ist Hirscher?
Wer den Salzburger auf Instagram verfolgt, der stellt fest, dass sich im Leben des 35-Jährigen praktisch alles um den Sport dreht. Hirscher ist nicht nur dank seiner intensiven Skitests topfit, er ist begeisterter Skitourengeher und nahm am Erzberg-Rodeo teil. Körperlich wäre er der Herausforderung Weltcup auf jeden Fall gewachsen. Und es gibt deutlich ältere Läufer als den Salzburger: Christof Innerhofer (ITA) wird heuer 40 und bestreitet noch immer Abfahrten.
- Braucht der Skisport Marcel Hirscher?
Es war ein harter Winter für den Weltcup, zahlreiche Rennen wurden abgesagt, etliche Stars verletzten sich schwer. „Dem Skisport gehen die Typen aus“, schrieb der KURIER. Natürlich wird Marcel Hirscher - zumindest kurzfristig - Akzente setzen und für Aufmerksamkeit sorgen.
Die Frage ist: Für den Ski-Weltcup, oder nicht doch eher für seine Skifirma und seine Geldgeber im Hintergrund? Hirschers Kopfsponsor und finanzieller Partner Red Bull ist bekanntermaßen ein Meister der Inszenierung. Ein Comeback des Rekord-Gesamtweltcupsiegers ist also der perfekte Marketing-Coup.
Viele andere Läufer, jedenfalls jene, die keinen Stier am Helm haben, werden Hirscher sicher nicht mit Jubelchören empfangen.
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