Russi: "Ich hätte mitgelitten, wenn Franz 1976 nicht gewonnen hätte"
Kaum ein anderer wurde von Rivalen und Fans in Österreich so respektiert wie Bernhard Russi. Obwohl er es 1972 wagte, während Karl Schranz von Olympia ausgeschlossen wurde, nach WM- auch olympisches Abfahrtsgold zu gewinnen.
Und obwohl Russi vier Jahre später bei den Innsbrucker Spielen Franz Klammers schärfster Konkurrent war. Aktuell zeichnet der 73-Jährige – wie seit 1988 bei allen alpinen Großereignissen – für die Abfahrtsstrecke in China verantwortlich. Ehe er im Rennlauf durchstartete, war Russi einst gelernter Hochbauzeichner gewesen. Der Pistenarchitekt gewährt dem KURIER Einblicke in seine Gedankenwelt von einst und jetzt.
KURIER: Vor 50 Jahren war Karl Schranz in Sapporo ausgeschlossen worden, wo Sie dann die Abfahrt gewannen. Wie reagierten Sie zunächst auf die Schranz-Sperre?
Bernhard Russi: Wir hörten von Karls Disqualifikation auf dem Berg in Sapporo am dritten Trainingstag. Jeder Rennläufer war so sehr auf sich fokussiert, dass uns das gar nicht so beschäftigt hat.
Und von der Empörung in Österreich, von den 100.000 Menschen, die Schranz bei der Heimkehr wie einen Märtyrer feierten – wie haben Sie davon erfahren?
Vom Rummel um Schranz haben wir in Sapporo gar nicht erfahren. Und bis europäische Zeitungen nach Japan gekommen sind, war Olympia schon vorbei.
Bei Franz Klammers Olympiasieg 1976 erwiesen Sie sich als sehr fairer Verlierer. Haben Sie den neuen Klammer-Film schon gesehen?
Vier Mal. Ich hätte damals mitgelitten, wenn Franz nicht gewonnen hätte. Weil die Erwartungen bei den Heimspielen an ihn gar so groß waren.
Für Donnerstag ist das erste Abfahrtstraining angesetzt. Für alle Topfahrer ist die Strecke Neuland. Womit dürfen die Athleten rechnen?
Alle glauben immer, die Chinesen hätten keine Berge. Das stimmt nicht. Die chinesische Strecke ist attraktiv und anspruchsvoll. Zwar nicht mit den Klassikern von Kitzbühel und Wengen vergleichbar, aber im Ranking der Weltcup-Abfahrten würde ich Yanqing im oberen Drittel einreihen.
Seit 1988 sind alle Abfahrten bei Großereignissen auf neuen Pisten mit Russi-Handschrift bestritten worden. Welche ist die Schwierigste?
Von diesen sogenannten Neuen zweifellos Beaver Creek in Colorado.
Die Piste soll windanfällig sein. Es heißt, dass Steine immer wieder auf dem Kunstschneeband landen.
Es wurden Matten installiert, um den Wind abzublocken. Zudem hat man über 10.000 Bäume und Sträucher gepflanzt. Aber das Wetter kann, wie die letzten drei Tage zeigten, genauso einwandfrei wie in den Alpen sein.
Rechnen Sie trotzdem mit Kritik?
Die hat es immer gegeben, an Kritik bin ich gewöhnt. Speziell vor Olympia 1992. Als selbst Rennläufer kritisierten, dass die neue Piste von der Face de Bellevarde in Val-d’Isère in dem steilen, kurvigen Gelände mit Abfahrtsskiern unfahrbar sein wird.
Dann wurde dort just der vermeintliche Nur-Gerade-Aus-Fahrer Patrick Ortlieb Olympiasieger.
Weil sich herausstellte, dass man auf Abfahrtsskiern auch drehende Kurse bewältigen konnte. Es war der Beginn des Carving-Schwungs.
Pisten, an der sich die Geister scheiden, wird es offensichtlich immer geben.
Wenn mir alle auf die Schultern klopfen, stimmt was nicht. Dann liegt irgendwo der Hund begraben.
Im Weltcup waren keine Chinesen zu sehen. Dürfen die Lokalmatadore bei Olympia überhaupt starten?
Ja. Zwei Läufer sind pro Bewerb erlaubt. Sie haben die erforderlichen 80 FIS-Punkte bei Rennen abseits des Weltcups erreicht. Obwohl ihnen die langjährige Erfahrung fehlt. Einige Chinesen kommen vom Shorttrack. Sie fahren nicht mit feiner Klinge.
Hannes Trinkl, der FIS-Verantwortliche für die Speedbewerbe, saß während des Fluges nach Peking mit Ihnen im Flieger. Er wurde später wegen eines infizierten Fluggastes zur Kontaktperson erklärt. Davor hatte er noch den Kurs gesetzt.
Das hat er gut gemacht. Ich bin sicher, dass der Hannes nach negativen Tests hier noch ungehindert seinen Job auf der Piste ausüben kann.
Und Sie haben was Ihre Person betrifft keine Bedenken?
Nein. Ich bin schon einmal Covid-positiv gewesen. Ohne Nebenwirkungen .
In China endet Russis 35-jährige Tätigkeit als Pistenarchitekt. Mit Didier Défago, Landsmann und Olympiasieger von 2010, hat er seinen Nachfolger nach Peking mitgebracht. Für die revolutionäre Weltcupabfahrt am Matterhorn mit Start in der Schweiz und Ziel in Italien wird schon Défago zuständig sein.
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