Zweifache Europameisterin (im Einzel und Doppel), die Nummer zehn der Welt sowie unter den Top 3 der Wahl zu Österreichs Sportlerin des Jahres. Sofia Polcanova erntet aktuell die Früchte ihrer jahrelangen harten Arbeit. Die Ziele und Träume gehen der 28-jährigen Linz-Spielerin dennoch nicht aus.
KURIER:Die EM in München liegt jetzt etwas mehr als ein Monat zurück. Wie blicken Sie mit etwas Abstand auf dieses für Sie so erfolgreiche Turnier zurück?
Sofia Polcanova: Jetzt habe ich das mittlerweile schon realisiert. Ich blicke mit großem Stolz zurück, weil ich davor auch keine leichte Zeit hatte. Ich dachte auch nicht, dass ich diese harte Woche körperlich und mental durchhalten könnte. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich im wichtigsten Moment meine Leistung abrufen konnte.
Wie bitter war es, dass danach aus der Team-WM in China nichts wurde? Österreich hat wegen der Corona-Richtlinien auf ein Antreten verzichtet.
Aus sportlicher Sicht ist das schon traurig, dass wir nicht hingefahren sind. Die WM ist immer eine große Sache. Aber in dem Fall kann man leider nichts machen.
Sie sind erstmals unter den Top 10 der Welt. Wie viel bedeutet Ihnen das?
Das ist noch immer sehr surreal. Unser Sport ist in Asien so populär, aus Europa unter den Top 10 zu sein ist daher ein wirklich großer Erfolg. Und für das kleine Mädchen aus Moldawien ist das noch mehr ein Wahnsinn. Aber ich habe schon noch Träume und Ziele.
Was ist noch möglich?
Ich würde es schon gerne unter die Top 8 der Welt schaffen. Es sind „nur“ zwei Plätze, aber das ist richtig schwer. Unser Sport ist aber in Asien so stark, dass es sehr schwer ist, da etwas zu planen. Natürlich ist eine WM- oder Olympia-Medaille auch ein Ziel.
Wie gut lässt sich denn im Tischtennis heutzutage tatsächlich verdienen?
In Asien kann man sehr gut verdienen, wenn man richtig gut ist. In Europa ist das leider noch nicht so. Aber im Vergleich mit anderen Randsportarten geht es uns nicht allzu schlecht.
Sie haben es jetzt bei der Sportlerwahl unter die Top 3 geschafft. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Ich habe ehrlich gesagt nicht wirklich darüber nachgedacht. Ich bin auf meinen Sport fokussiert. Ich fühle mich geehrt. Es bedeutet mir sehr viel, dass die Menschen meine Leistung anerkennen und schätzen.
Der letzte Tischtennisspieler unter den Top 3 war Werner Schlager 2003, nach seinem Sieg bei der WM. Was bedeutet es Ihnen, mittlerweile in einem Atemzug mit ihm genannt zu werden?
Werner ist für uns eine Legende. Der letzte nicht-asiatische Weltmeister. Es ist also schon etwas Besonderes, dass ich da in die Fußstapfen getreten bin. Der EM-Titel hat mir auch selbst sehr viel gebracht. Ich war auch schon vorher gut, aber ich hatte noch keinen Titel. Das war eine Selbstbestätigung.
Sie sind 2008 mit 14 Jahren aus Moldawien nach Österreich gekommen. Hatten Sie damals schon so große Ziele?
Mit 14 Jahren habe ich nicht gedacht, dass ich Europameisterin werden kann. Ich war und bin ein bisschen schüchtern und manchmal fehlte es mir an Selbstvertrauen. Aber ich wusste, dass ich Tischtennis professionell betreiben werde.
Wie steht denn Ihrer Ansicht nach generell der österreichische Tischtennis-Sport da? Mit Robert Gardos und Daniel Habesohn sind die beiden Leistungsträger bei den Herren ja schon 43 und 36 Jahre alt. Sie sind mit 28 Jahren eine der jüngsten Spielerinnen im Nationalteam. Fehlt es da am Nachwuchs?
Ich denke schon, dass da noch etwas fehlt. Es ist schwer zu beurteilen. Ich denke, man könnte überall etwas verbessern. Das hat hauptsächlich etwas mit dem System zu tun, aber auch mit dem Willen. Ich glaube, wenn man wirklich etwas will, wird man hart dafür trainieren. Aber der Verband versucht eh bereits, da etwas zu ändern, damit auch jüngere Spielerinnen und Spieler die Motivation bekommen, den Sport professionell zu betreiben.
Schlager hat zuletzt gemeint, dass es im Tischtennis heutzutage nicht mehr so viel Kreativität gebe und das Spiel fader geworden sei. Wie sehen Sie das?
Ich kann Werner da schon zustimmen. Es hat sich im Tischtennis in letzter Zeit sehr viel verändert. Alleine der Ball. Früher konnte man viel mehr Spin- und Geschwindigkeitsvariationen machen. Mit der Veränderung des Balles hat man den Spin etwas rausgenommen, jetzt ist unser Sport mehr auf den körperlichen Zustand abgestimmt. Wir müssen extrem fit sein, weil die Ballwechsel länger dauern.
Was würden Sie denn in Ihrem Spiel als größte Stärke sehen und in welchen Bereichen gibt es noch den größten Verbesserungsbedarf?
Ich würde sagen, dass ich gut antizipiere. Auch meine Rückhand und meine Reichweite sind gut. Dafür bin ich nicht so schnell, weil ich auch sehr groß bin. Das ist vielleicht ein Nachteil. Und ich könnte meine Vorhand noch verbessern sowie gegen Verteidigerinnen besser spielen.
Wie viel Zeit investieren Sie generell ins Tischtennis?
Offiziell trainiere ich zweimal am Tag, also fünf Stunden. Aber das stimmt nicht ganz, weil es dreht sich alles um Tischtennis. Video-Analyse, Mentaltraining, Regeneration, Physiotherapie. Ansonsten bin ich eher ein gemütlicher Mensch. Ich bin doch sehr oft unterwegs und da brauche ich dann meine Ruhe mit den Menschen, die ich am meisten liebe.
Polcanova wurde am 3. September 1994 in Chisinau (Moldawien) geboren und übersiedelte 2008 mit 14 Jahren nach Oberösterreich, wo sie seitdem für Linz AG Froschberg spielt. Die 28-Jährige ist verheiratet und großer Harry-Potter-Fan.
Die Sporthilfe-Gala: Am 5. Oktober werden in der Wiener Stadthalle die besten Sportlerinnen und Sportler des Landes gekürt. Polcanova ist mit Snowboard-Olympiasiegerin Anna Gasser und Skisprung-Gesamtweltcupsiegerin Sara Marita Kramer unter den Top 3.
9 Spielerinnen sind in der Weltrangliste vor der Linzerin zu finden. Polcanova ist die einzige in den Top 10, die nicht in Asien geboren wurde. Bei den Herren ist Robert Gardos als bester Österreicher auf Rang 40.
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