Good boy Roger, bad boy Novak: Rivalen für die Ewigkeit
Die Tennisszene als US-Western aus (schlechten) alten Zeiten? Da die Guten, die Herren Roger Federer und Rafael Nadal, die ihr Terrain verteidigen, da der Bösewicht Novak Djokovic. Zumindest wirkt es auf den ersten Blick so, wenn es nach den Beliebtheitswerten geht.
Die Vergleiche mit der Schwarz-Weiß-Malerei der alten Western-Klassiker sind demnach schon deshalb weniger zulässig, weil Djokovic den „guten“ Federer in vielen heißen Duellen besiegte (wer sportlich der Beste sei, darüber lässt sich sowieso streiten; siehe unten). Gestern ging der 33-Jährige in seine insgesamt 311. Woche als Nummer eins, löste damit Federer ab. Jenen Federer, der diese Woche in Doha auf die große, weite Tennisball-Bühne zurückkehrt.
Der Serbe wird dann bei Duellen noch ein paar weniger Fans haben – kaum jemand polarisiert wie der Serbe, sieht man vom Australier Nick Kyrgios ab, der aber sportlich wiederum nur in die Kategorie Statist fällt.
Djokovic trug selbst zu einem angeknacksten Image bei. Unvergessen sind die Vorfälle im Rahmen der Adria-Tour in Belgrad, wo man Corona Tür und Tore öffnete, vor 7.000 Fans spielte und danach auch noch maskenlos (gottlob nicht hüllenlos) nächtens feierte. „Es war ein Fehler. Aber ich wollte den Menschen Tennis schenken“, sagte Djokovic. Seine Landsleute erkannten die Beweggründe und liebten ihn noch mehr.
Im Achtelfinale der US Open bemühte er sich auch nicht unbedingt für einen Fairness-Preis. Nach einem verlorenen Aufschlagsspiel drosch er den Ball weg und traf eine Linienrichterin. Die Disqualifikation war die Folge. Dieser Tage bekam der „Djoker“ Rückendeckung von Gentleman Federer. „Das kann jedem passieren.“ Kenner wissen, zumindest ältere, Sir Roger war zu Beginn seiner Karriere auch nicht der Musterknabe. Am meisten schmerzte der verirrte Ball Djokovic selbst. „Diese ganze Situation lässt mich wirklich traurig und leer zurück.“
Konfrontationskurs
Djokovic eckt oft an, weil er sagt, was er denkt, weil er Gerechtigkeitsfanatiker ist. Deshalb fasste er den Entschluss, nebst der Spielervereinigung ATP eine eigene Vereinigung der Profis ins Leben zu rufen. „Ich sehe die Interessen der Profis nicht genügend berücksichtigt.“
Damit ging er auch auf Konfrontationskurs mit manchen Spielern. Diese nahmen es ihm nie übel, dass er einige von ihnen auf dem Platz parodierte. Djokovic gewann Fans dazu, weil nicht nur mit Returns unterhielt. „Ich bin professioneller Tennisspieler, will aber dennoch Dinge tun, die mir Spaß machen.“
Wenn es ums Gewinnen geht, überlässt er nichts dem Zufall. „Er ist sehr intelligent und arbeitet überaus professionell. Und er verlangt das auch von seinem Team“, sagt sein ehemaliger Fitnesscoach, der Tiroler Gebhard Gritsch.
„Nole“ schließt jedes Zufallsprinzip aus. Konzentrationsübungen gehören dazu wie yogaähnliche Bewegungen, die ihm zum beweglichsten Tennis-Profi machten.
Djokovic, der wohl beste Returnspieler weltweit, wird die Rekordjagden fortsetzen. Gritsch: „Wer Novak kennt, weiß, dass er alle möglichen Rekorde brechen will.“
Diese Duelle haben immer zwei Herzen in meiner Brust schlagen lassen – das eine für den Tennisvirtuosen Federer, das eine für den unerbittlichen Kämpfer Djokovic. Am Ende hat sich fast immer das für den Letzteren durchgesetzt. Geschah dies aufgrund unseres gemeinsamen Nenners – der Endung „ic“ im Familiennamen? Jein. Es war in erster Linie das Gefühl, einem Einzelkämpfer beistehen zu müssen. Denn, während der nette Schweizer Saubermann stets das beinahe ganze Publikum hinter sich hatte, stand der „arrogante“ Serbe immer alleine dar.
Übrigens, Arroganz wirft Nole (By the way: Djoker nennt ihn in seiner Heimat niemand) südöstlich von Triest niemand vor. Am ganzen Balkan erfreut sich der Belgrader enormer Beliebtheit, was angesichts der Narben, die Kriegswirren der 90er Jahre hinterlassen haben, alles andere als selbstverständlich ist. Seine großzügigen Spenden richte(te)n sich an Bedürftige aus der gesamten Region, was ihm sowohl die Serben als auch Bosnier und Kroaten hoch anrechnen. Eines wissen sie alle: Wie schwer es ist, aus dem ewig unterentwickelten und unruhigen Balkan die Weltspitze zu erreichen.
Djokovic hat es nicht aufgrund seines Talents geschafft. Es war der unbändige Wille, gepaart mit einer enormen Mentalstärke und einer am Balkan sehr geschätzten Eigenschaft – dem Trotz. Dieser trieb ihn zu Höchstleistungen. Den Buhrufen zum Trotz kehrt er so Jahr für Jahr nach Melbourne zurück und obwohl er dort schon neun Mal gewonnen hat, wird er die Rod Laver Arena niemals wie etwa Federer den Centre Court in Wimbledon sein Wohnzimmer nennen. Denn in einem Wohnzimmer sollte man sich wohlfühlen können. Der Umstand, dass er es nicht tut, weckt den Trotz. Und das ist gut so. Für ihn und das Tennis.
Man könnte es sich jetzt einfach machen und einfach die nackten Zahlen sprechen lassen: Novak Djokovic hat Roger Federer als Rekordführenden in der Weltrangliste abgelöst, er hat obendrein 25 der 41 bisherigen Duelle mit Roger Federer für sich entschieden – wozu also die ganze Diskussion?
Nun bildet die Weltrangliste unbestritten fundiert die sportliche Hierarchie im Tennissport ab, sie spiegelt zugleich aber nicht alles wider. Die Macht der trockenen Fakten und nüchternen Statistiken endet nämlich dort, wo die Emotionen und die Popularität beginnen.
Und es geht ja in Wahrheit auch gar nicht darum, wer jetzt den härteren Aufschlag, wer den besseren Volley hat, kurz: ob jetzt Novak Djokovic oder Roger Federer der bessere Tennisspieler ist.
Roger Federer ist, ganz egal ob gerade Nummer 1 der Welt, oder nicht, seit zwei Jahrzehnten der größte und glaubwürdigste Botschafter seines Sports – und das längst weit über die Centre Courts hinaus. Ein Mann ohne Allüren und Skandale. Einer, der seine Gegner respektiert, für Fairness steht und in kein Fettnäpfchen tritt – und dem für sein Verhalten ähnliche Bewunderung entgegenschlägt wie für seine elegante und lässige Art, Tennis zu spielen. Dass er im Dezember zum 18. Mal in Folge den ATP-Award für den beliebtesten Tennisprofi gewonnen hat, sagt alles.
Titel und Trophäen sind nicht die Grundlage, um Legendenstatus zu erlangen. Roger Federer hat als Tennisspieler wie als Mensch die Sympathien gewonnen. Deshalb wird er auch ein riesiges Loch hinterlassen, sollte er den Tennisball endgültig ins Out schießen. Ein Loch, das so schnell keiner schließen wird können. Egal, ob er nun Djokovic, Zverev oder Thiem heißt.
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