Dominic Thiems Eltern: "Wir wohnten in Hotels mit Kakerlaken"
US-Open-Sieger Dominic Thiem hat keinen einfachen Weg gepflastert bekommen, um vier Wochen nach seinem Triumph in New York erneut in einem Grand-Slam-Finale zu stehen.
In der ersten Runde der French Open trifft der 27-Jährige auf den kroatischen Routinier Marin Cilic, in einem etwaigen Achtelfinale könnte es gegen den Sieger aus Stan Wawrinka (SUI-16) gegen Andy Murray (GBR) gehen, im Halbfinale droht dem Weltranglistendritten die hohe Hürde Rafael Nadal (2).
Doch egal, was in Frankreich auch passiert, "ich bin ein Grand-Slam-Sieger. Das wird mir nie mehr irgendwer wegnehmen", sagte Thiem im Vorfeld. Sein Triumph bei den US Open ist nun zwei Wochen her. Der KURIER traf vor Beginn des Turniers in New York seine Eltern, Karin und Wolfgang Thiem zum Interview.
KURIER: Frau Thiem, Sie lassen sich für jeden Sieg Ihres Sohnes ein Tattoo stechen. Wie kam es dazu?
Karin Thiem: Ich muss. Das war eine blöde Wette, die ich im Vorjahr abgeschlossen habe (lacht und zeigt die Tattoos für Barcelona – eine Sonne – oder Kitzbühel – die Gams). Wir waren auf dem Weg von Rio nach Los Angeles. In Rio schied Dominic in der ersten Runde aus und war ganz schlecht drauf. Dominics Freund Lukas meinte auf dem Weg nach Indian Wells: „Wenn er den Schas gewinnt, dann lass ich mich tätowieren“. Und ich antwortete: „Ich auch“ – und wir schlugen ein. Seither hat Dominic fünf Siege gemacht. Aus dem Spaß wurde eine Tradition.
Was kommt jetzt nach dem Sieg in New York?
Karin Thiem: Dominic will die Freiheitsstatue als Tattoo, aber da hadere ich noch.
Sie waren 20 Jahre alt, erst wenige Monate verliebt, als Sie schwanger wurden. Wie belastend ist das?
Karin Thiem: Wir waren erst zwei Monate zusammen. Ich fiel aus allen Wolken, als der Schwangerschaftstest positiv war. Ich erinnere mich noch genau: Wir lagen damals im Bett, als ich Wolfgang die Schwangerschaft mitteilte, aber er drehte sich um und schlief weiter. In dem Alter realisiert man überhaupt nicht, was passiert. Aber die ganze Familie war entsetzt, weil ich mein Ökologiestudium abbrechen musste. Wir brauchten Geld. Aber es stand nie eine andere Variante zur Diskussion. Zeit für Eheprobleme gab es auch keine, weil wir mit Kind, Geld verdienen und Hausbauen jahrelang beschäftigt waren.
Wolfgang Thiem: Ich hatte damals keinen Job. Im Nachhinein betrachtet, ist das alles ein Wahnsinn. Aber wenn man so jung ist, macht man sich keine großen Gedanken. Deswegen ist das Verhältnis zu unseren Kindern auch sehr locker. Aber wir haben auch die Erstkommunion oder die Schultüte nicht verherrlicht. Das verstehe ich heute noch nicht, warum sich Väter am ersten Schultag frei nehmen oder Mutter und Vater zum Elternsprechtag gehen.
Aber dafür waren Sie bereit, jedes Wochenende dem Tennis zu opfern. Ist der Grand Slam-Titel ohne Family-Business überhaupt möglich?
Karin Thiem: Jeder war eingesetzt. Die Opas, die Omas, die Tanten und die Onkel, um das Training und die Turniere zu besetzen. Wir haben meine Mama mit Dominic zu den Turnieren nach Bosnien geschickt, obwohl sie sich dort nicht auskannte und auch nicht verständigen konnte.
Wolfgang Thiem: Wir wollten Dominic mit 10, 11 oder 12 Jahren nicht mit einem Trainer auf Turniere schicken. Dass ein Familienmitglied dabei ist, war uns wichtig. Ein guter Trainer muss mit dem Kind zu Hause am Platz gut arbeiten, aber nicht beim Turnier. Bis Dominic 16 Jahre alt wurde, begleitete ihn sein Großvater.
Wie war das mit Günter Bresnik. Gab es da nicht Situationen, wo es zu einer Pattstellung zwischen Vater und Trainer kam?
Wolfgang Thiem: Heute würde ich einen Trainer nicht mehr so nah an die Familie heranlassen. Es gab Situationen, wo Günter Bresnik mit uns zu Hause gemeinsam Mittag gegessen hat. Ich wollte den Teller von Dominic in die Küche tragen. Günter mischte sich ein und meinte, Dominic muss seinen Teller selbst abräumen. Ich war damals zu schwach oder habe dem Günter zu sehr vertraut, dass er in meinem Haus über mich bestimmen konnte. Das würde ich nie mehr machen.
Günter Bresnik hat die Familie nun geklagt. Nach so vielen gemeinsamen Erfolgen, wie sehr schmerzt das?
Wolfgang Thiem: Ich bin grundsätzlich kein emotionaler Mensch. Also schmerzt es mich auch nicht. Es war klar, dass diese Klage irgendwann an die Öffentlichkeit kommen muss. Wenn es mit dem Management oder Trainer Probleme gibt, dann kommt es in diesen Größenordnungen immer zu Reibereien. Dass es da eine friedliche Lösung gibt, passiert nur in den seltensten Fällen.
Die Trennung von Günter Bresnik war auch eine Abnabelung. Wie lange dauerte dieser Prozess ?
Karin Thiem: Als Mutter hatte ich schon lange das Gefühl, dass der Dominic leidet.
Weil Günter Bresnik zu dominant war?
Karin Thiem: Er hat sich einfach überall eingemischt. Auch in unser Privatleben. Das war einfach ungut auch uns gegenüber. Es war ein logischer Schritt, den Dominic für sich selber gehen musste. Jetzt sieht man, dass Dominic eine gereifte Person ist.
Wolfgang Thiem: Wir schätzen und wissen natürlich, dass Günter Bresnik einen riesigen Anteil am Erfolg hat. Wie viel Zeit und Enthusiasmus er in den Dominic investiert hat, vergessen wir auch nicht. Vor drei oder vier Jahren begann ein schleichender Prozess, und plötzlich war der Moment da, wo das Fass einfach überlief.
Ihr zweiter Sohn Moritz, der sieben Jahre jünger ist, will ausgerechnet auch im Tennis-Zirkus erfolgreich sein. Wie schafft man es, hier eine Balance zwischen den Brüdern zu halten, dass sich der zweite Sohn auch wertgeschätzt fühlt, wenn der erste Sohn der Tennisstar ist?
Karin Thiem: (lacht). Als Moritz auf die Welt kam, war er einfach da. Eben ein typischer Moritz. Er ist ein Mensch mit einer unglaublichen Präsenz, den kann man nicht übersehen. Moritz ist eine extrem starke Persönlichkeit, deswegen kommt er mit den Erfolgen seines Bruders auch klar. Die Situation ist einfach so, das kann niemand ändern.
Wolfgang Thiem: Ein klassisches Vorurteil ist: „Der hat es ja eh leicht, weil der bekommt ja eh alles.“ Es stimmt, es ist unangenehm, wenn man das letzte Geld zusammenkratzen muss, um auf ein Turnier fahren zu können. Es ist genauso eine intensive Belastung, wenn Moritz auf ein Turnier fährt, weil er immer am großen Bruder gemessen wird. Dieses Gefühl permanent verglichen zu werden, performen zu müssen, ist schon ein enormer Druck.
Dominics Großvater hat im KURIER-Interview gesagt, dass ihm lieber gewesen wäre, wenn Dominic die Schule fertig gemacht hätte ...
Wolfgang Thiem: Das sagt er noch immer (lacht).
Aber im Ernst: Wie schwer war die Entscheidung, volles Risiko zu nehmen oder den klassischen Weg – zuerst Ausbildung und dann Tenniskarriere? Sie haben ja auch eine Wohnung für die Karriere ihres Sohnes verkauft ...
Karin Thiem: Mir war klar, dass Dominic und Moritz professionell ins Tennis einsteigen müssen, bevor sie die Matura absolviert haben. Wenn es nicht geklappt hätte, dann hätte Dominic die Matura einfach nachgemacht. Das habe ich entspannt gesehen.
Wolfgang Thiem: Der Verkauf dieser Wohnung hat uns das Leben erleichtert, aber es war nicht ausschlaggebend, ob Dominic Tennis spielen kann oder nicht. Es hat einfach kostspielige Reisen zu Turnieren nach Südamerika leichter gemacht.
Wenn man in den Tenniszirkus hineinrutscht und zum Club der Millionäre gehört, wie geht man mit diesem neuen Leben um?
Wolfgang Thiem: Wenn man uns jetzt ganz plötzlich in diesem Zirkus platzieren würde, würden wir es wahrscheinlich gar nicht packen. Aber wir sind wie der Dominic mitgewachsen. Irgendwann ist es normal, wenn in der Players Lounge Nadal an dir vorbeiläuft und du mit ihm plauderst. Man muss es nur weiterhin auch wertschätzen. Aber ich glaube, man kann es nur dann richtig einordnen, wenn man die andere Seite auch erlebt hat. In Kroatien haben wir in Hotels gewohnt, wo die Kakerlaken herumgelaufen sind und ich am liebsten zehn Jogginganzüge beim Schlafen angezogen hätte, weil alles so grauslich war. Dominic ist in Südamerika mit einem Magen-Darm-Virus im Krankenhaus gelegen. Da waren schon viele weniger angenehme Momente dabei.
- Thiem startet wohl am Montag
Seit Mittwoch ist Dominic Thiem in Paris. Er startet (vermutlich) am Montag gegen den Routinier Marin Cilic (CRO) ins Turnier. Rafael Nadal wäre schon im Halbfinale der Gegner. Qualifikant Jurij Rodionov bestreitet schon heute gegen den Franzosen Jeremy Chardy die zweite Partie nach 11.00 Uhr, Dennis Novak gegen den als Nummer sechs gesetzten deutschen US-Open-Finalisten Alexander Zverev die vierte.
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