Sporthistoriker Müllner: "Wehe, Alaba sagt was gegen die FPÖ"

Österreichische Sporthelden auf einem Bild vereint: Hermann Maier, Valentin Bontus, Sepp Straka, David Alaba, Marko Arnautovic
Sepp Straka gewann am Sonntag die Truist Championship in Philadelphia und schrieb österreichische Sportgeschichte. Der 32-jährige Wiener kassierte für seinen Turniersieg nicht nur 3,2 Millionen Euro, er scheint auch erstmals in den Top Ten der Golf-Weltrangliste auf.
Können die Österreicher diese Leistung richtig einschätzen? Und hat ein Sportler wie Sepp Straka das Zeug zum Nationalhelden? Ein Gespräch mit dem österreichischen Sporthistoriker Rudolf Müllner.
KURIER: Täuscht der Eindruck, oder hat ein Golf-Star wie Sepp Straka in Österreich einen schweren Stand?
Rudolf Müllner: Golf gibt es zwar rund um den Globus, aber in Österreich hatte dieser Sport bisher keine Massenfähigkeit. Auch weil die mediale Rezeption fehlt, wie es sie etwa in den USA oder in Großbritannien gibt. Für einen Sport ist es wichtig, dass er kulturell verankert ist. Dass er einen Niederschlag in den Medien findet und dass sich die Menschen auch auskennen. Nur so kann man eine emotionale Teilhabe erreichen. Außerdem ist Straka meist weit weg.

Sporthistoriker Rudolf Müllner
Österreich ist aber auch nicht unbedingt ein Land der Kitesurfer. Trotzdem wurde Olympiasieger Valentin Bontus zum Sportler des Jahres gewählt.
Er hat sicher auch vom Überraschungseffekt gelebt. Damit Sportler eine Art Heldenstatus erlangen, braucht es immer auch eine Erzählung. Und die tragende Geschichte von Valentin Bontus ist, dass er jetzt rein visuell nicht unbedingt den Typ Supersportler verkörpert. Trotzdem ist er Olympiasieger, von dieser Pointe lebt das Ganze. Aber…
Aber…
Aber ich bin die Liste der österreichischen Sportler des Jahres durchgegangen. 1963 war das ein Hammerwerfer. Ich gebe zu, ich habe mir den Namen nicht gemerkt. Ich will Valentin Bontus keineswegs unrecht tun, aber es kann leicht sein, dass diesen Namen in 20 Jahren keiner mehr kennt. Auf lange Sicht reden wir nun einmal über Sportarten, die in der Lage sind, eine große Gemeinschaft zu emotionalisieren.

Kitzbühel ist jeden Winter das Hochamt des Skisports.
Womit wir schon beim Skisport wären. Seit Einführung der Sportlerwahl ging der Titel 90 Mal an heimische Skifahrerinnen und Skifahrer.
Der Skisport ist extrem stark in der österreichischen Identität verankert. Und er ist auch eine der Sportarten, in denen Österreich bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen regelmäßig Goldmedaillen holt. Trotzdem gibt es auch beim Skifahren zwei Kategorien.
Zwei Kategorien?
Sie haben erwähnt, wie viele Skifahrerinnen und Skifahrer in Österreich bei der Sportlerwahl gewonnen haben. Aber zum echten Volkshelden sind trotzdem wenige geworden.
Warum ist das so?
Weil es bei dieser Vielzahl an Siegern eine Zusatzgeschichte braucht, um aus der Masse herauszustechen. Stephan Eberharter war wahrscheinlich technisch der beste Skifahrer der letzten 40 Jahre und er war auch unglaublich erfolgreich. Aber er hat kein großes Heldenpotenzial entwickelt, weil er neben einem wie Hermann Maier einfach untergegangen ist. Im Endeffekt geht es nicht nur um Erfolge, sondern immer auch um Emotionen. Ich erinnere an Maiers Sturz in Nagano oder seinen Motorradunfall. Das sind die wichtigen Bausteine des Heldenstatus.
Hätte Niki Lauda also ohne seinen Feuerunfall nie diese Popularität erreicht?
Die sportliche Leistung ist natürlich immer die Basis. Wenn jemand nach einem Autounfall 17. wird und er war vorher 24., dann ist das wurscht. Es braucht einen erzählerischen Mehrwert und Narrative. Diese Geschichten müssen anschlussfähig sein und die Menschen emotional berühren. Human-Touch-Stories. Es ist ja nicht so, dass diese Helden vom Himmel fallen. Es stellt sich sowieso die Frage, wozu es solche Helden braucht.
Wozu braucht es sie denn?
All diese Figuren, die so Herausragendes leisten, bieten den Menschen Orientierung. Es gibt eine Art Hierarchie: Dort oben ist der Held mit seinen begehrten Eigenschaften und unten sind wir Normalos.
Was unterscheidet den Held denn vom Normalo?
Wenn jemand mit 140 km/h eine Piste hinunterrast, dann ist das grundsätzlich für die Gesellschaft vollkommen nutzlos und irrelevant. Aber wenn er wie Hermann Maier eine Geschichte mitbringt, mit dem Sturz und dem Motorradunfall, diesem Aufrappeln und Zurückkämpfen, dann sind das Biografien, die alle bewegen. Und wer das nicht hat, der läuft dann halt Gefahr, dass er in der Hierarchie nur Zweiter oder Dritter ist und in Vergessenheit gerät.
Ist es heute noch möglich, dass ein Sportler ein ganzes Land mitreißen kann?
Es wird immer schwieriger. Und das hängt auch mit der Situation der Medien und der Fragmentierung der Gesellschaft zusammen. In der Literatur spricht man von der Heldenbanalisierung. Es gibt inzwischen so viele Heldentaten und so viele Superlative, natürlich auch befeuert durch die sozialen Medien, dass es fast schon inflationär wirkt. Nationalhelden des Sports, die quer über die Alters- und Gesellschaftsschichten die ganze Bevölkerung beeindrucken, wird es immer seltener geben.
Außer in neu entstandenen Ländern wie etwa im früheren Jugoslawien. Warum genießen Sportler dort so ein hohes Ansehen?
All diese jungen Nationen haben einen ganz großen Bedarf an Vergemeinschaftung. Und der Sport hat in diesem Fall ein großes Potenzial, eine emotionale Bindung zu erzeugen. Darum war in Österreich auch Toni Sailer in den 1950er-Jahren eine so wichtige Figur. Bis kurz vor Unterzeichnung des Staatsvertrages haben ja 60 Prozent der Österreicher gesagt, wir sind keine Nation. Das kann man heute schwer nachvollziehen. Aber je fragiler die Nationalidentität in politischer und kultureller Hinsicht ist, umso wichtiger sind sportliche Helden.

David Alaba und Marko Arnautovic sind die Lieblinge der österreichischen Fußballfans
Im österreichischen Fußball sind David Alaba und Marko Arnautovic die Publikumslieblinge, zwei Spieler mit Migrationshintergrund. Wie passt das zusammen mit der Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft?
Das passt deshalb zusammen, weil der Sport in dieser Hinsicht ein Doppelgesicht hat. Man könnte auch durchaus sagen, dass der Sport eine gewisse Verlogenheit in sich trägt. Gerade im Fußball taucht der Rassismus immer wieder auf. Wenn es keinen Rassismus geben würde, dann würde die FIFA ehrlicherweise nicht ständig Kampagnen gegen den Rassismus starten. Zugleich ist es im Fußball aber völlig normal, dass sich in einem Team Spieler aus den unterschiedlichsten Nationen vereinen. Der Fußball präsentiert also eine scheinbare Diversität, die normal und alltäglich wirkt und ist somit eine Art Role Model für eine diverse Gesellschaft. Aber wehe ein Spieler bricht aus der Rolle aus und wird irgendwie auffällig. Mir fällt da spontan Mesut Özil ein.
Er hat sich als deutscher Teamspieler mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan fotografieren lassen.
Und damit war er in Deutschland unten durch. Plötzlich war er kein Deutscher mehr. Aber wenn er im Finale den entscheidenden Elfmeter verwandelt, dann sind wir natürlich tolerant. Umgemünzt auf Österreich: David Alaba spricht Wiener Dialekt, er ist unglaublich charmant und jeder mag ihn. Es gibt von ihm keinerlei politische Aussagen. Aber wehe, er würde irgendwas gegen die FPÖ sagen. Das würden ihm viele übel nehmen. Und was Marko Arnautovic betrifft…
Wie stehen Sie ihm gegenüber?
Marko Arnautovic ist in meinen Augen einer der originellsten Fußballer auf dem Spielfeld. Und mit seiner Art bedient er ein österreichisches Ideologem: Nämlich das kreative, grenzgeniale und unvorhersehbare Spiel. Gepaart mit seinen originellen Interviews hat das einen enormen Unterhaltungswert.
Wäre einer wie Marko Arnautovic auch in Deutschland ein Star? Oder passt er mit seinem Schlawinertum perfekt zu Österreich?
Ganz bestimmt passt er perfekt zu uns. Das sind nicht nur Stereotype, ich habe mich viel mit dem Sport und der österreichischen Identität beschäftigt. Und das ist ganz tief verankert: Dieses Kreative und Spielfreudige geht zurück bis auf Matthias Sindelar. Und das war übrigens immer auch ein Abgrenzungsdiskurs zu den Deutschen. So nach dem Motto: Die Deutschen sind die Nazis, aber wir waren anders: nämlich verspielt und unschuldig. Arnautovic funktioniert als Wiener, als Balkanspieler und als ein Schlitzohr. Er signalisiert in seiner Art, dass es scheinbar reicht, wenn man genial ist. Er verkörpert Lässigkeit und nur so viel harte Arbeit wie unbedingt nötig.
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