Stark am Berg
Drehen wir das Rad der Zeit einmal ein halbes Jahrhundert nach vorne und landen im Jahr 2024: Alles spricht gerade von Superstar Tadej Pogacar, alles schwärmt von den Qualitäten des Slowenen. Ein Radfahrer mit dem außergewöhnlichen Talent, der einzigartigen Pumpe (dazu später) und den Klettereigenschaften von Wolfgang Steinmayr wäre wohl auch heute einer der Helden der Landstraße und Superstars der Rad-Szene.
Zu seiner aktiven Zeit tischte der gelernte Koch auf dem Fahrrad einen Erfolg nach dem anderen auf. Das Feld war damals noch in Profis und Amateure geteilt, doch der Nebenerwerbsradler Steinmayr ließ nicht nur einmal die hauptamtlichen Akteure wie Hobbypedalisten aussehen.
Selbst Rad-Legende Eddy Merckx, der berühmt berüchtigte „Kannibale“ aus Belgien, hatte sich am schmächtigen Tiroler die Zähne ausgebissen. Vom Tourmalet bis zum Galibier – bei der Tour de L’Avenir, der Tour de France für Amateure, flitzte Steinmayr die gleichen Pässe empor wie die Profis. Und er war bei seinen Auffahrten oft schneller als der fünffache Tour-de-France-Sieger Eddy Merckx. Die Zeitung L'Équipe kürte den Österreicher zum besten Etappenfahrer der Welt und widmete ihm die Titelseite.
Angebot vom Kannibalen
Mehrmals machte der belgische Superstar dem Tiroler Amateurradler ein Angebot und versuchte Wolfgang Steinmayr in sein Profi-Team zu lotsen. Doch der Tiroler hatte kein Interesse, den Wasserträger zu spielen und sich für Eddy Merckx abzustrampeln. „Der Merckx hat mich gefragt, ob ich narrisch bin, weil ich nicht Profi werden wollte“, erzählt Wolfgang Steinmayr. „Die haben das alle nicht verstanden. Aber ich wollte mich nicht unterordnen und als Helfer bei der Tour de France um Platz 50 herumfahren.“
Zumal der Amateur-Radfahrer Wolfgang Steinmayr zu dieser Zeit ohnehin schon ein echter Profi war. Nicht nur auf dem Rad, sondern vor allem auch am Verhandlungstisch. „Ich habe für damalige Verhältnisse wirklich sehr gut verdient und mir durch den Sport eine tolle Existenz aufbauen können.“
Großes Herz
Die Österreich-Radrundfahrt elektrisierte damals das Land. Vor allem das Duell mit dem heuer verstorbenen Rudi Mitteregger, der zweiten heimischen Radlegende dieser Zeit, begeisterte die Massen.
Der ORF ließ für die beiden einst sogar die Glocknerstraße sperren, um den wahren Glocknerkönig zu ermitteln. Das Duell wurde groß inszeniert und mit Hubschrauberkameras übertragen. Nur Rudi Mitteregger hatte nicht seinen allerbesten Tag, weshalb Wolfgang Steinmayr bewusst nicht mit voller Kraft in die Pedale trat, um für die Fernsehzuschauer die Spannung aufrechtzuerhalten. „Wenn die Leute im Sport am Montag das große Duell sehen wollen, dann kann nicht einer auf und davonfahren. Ich habe erst zum Schluss angezogen.“
Das Erfolgsgeheimnis des Tirolers waren aber nicht nur seine Ausdauer und Zähigkeit, Wolfgang Steinmayr hatte vor allem auch ein außergewöhnlich großes Herz, wie 1976 bei einer medizinischen Studie festgestellt wurde. Selbst im internationalen Vergleich konnte keiner der Sportstars der 1970er-Jahre mit der „Pumpe“ des Tirolers mithalten. „Meine Ergebnisse waren dermaßen gut und besonders, dass ich danach immer wieder bei medizinischen Kongressen ein Thema war“, sagt der 80-Jährige.
Noch heute schlägt das Herz von Steinmayr für den Radsport. In Innsbruck sieht man ihn fast immer auf zwei Rädern herumflitzen, braungebrannt und fitter als viele, die halb so alt sind wie er.
Nur an seinem Geburtstagsgeschenk kann sich Steinmayr dann leider doch nicht erfreuen. Ein Virus brachte den Jubilar wenige Tage vor der Rad-Tour von Davos nach Venedig aus dem Tritt. „Dann fahre ich es halt zum 81er.“
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