Radstar Gall bei der Tour: "Manche schalten das Gehirn aus"
Mit dem berühmten Col du Galibier (2.642 m) wartet heute auf der vierten Etappe der Tour de France der erste Alpenpass. Felix Gall hat sich das schwierige Teilstück von Pinerolo nach Valloire (138 km) ganz genau angesehen. Je steiler es wird, umso wohler fühlt sich der Osttiroler Radprofi.
Vor einem Jahr war Gall der Sensationsmann der Tour de France. Als Neuling gewann der 26-Jährige die Königsetappe und kam als Gesamt-Achter im Ziel in Paris an. Bei seiner zweiten Frankreich-Rundfahrt führt Österreichs Sportler des Jahres 2023 sein Decathlon AG2R La Mondiale Team als Mannschaftskapitän an.
KURIER: Wie kommen Sie mit dieser Rolle zurecht?
Felix Gall: Ich fühle mich durch die neue Rolle überhaupt nicht gestresst. Es ist ein Privileg, ein Team als Kapitän in die Tour zu führen. Das ist mir nicht zugeflogen, diese Rolle habe ich mir erarbeitet. Das Team glaubt an mich. Ich verspüre eine innere Ruhe, die ich so im letzten Jahr nicht hatte. Einerseits weil ich das Vertrauen des Teams spüre. Andererseits weil ich weiß, wozu ich fähig bin.
Verspüren Sie denn als Kapitän gar keinen Druck?
Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich eine gewisse Verantwortung trage. Das Team setzt große Hoffnungen in mich auf eine Top-Platzierung in der Gesamtwertung. Ich nehme diese Rolle schon wahr, zugleich versuche ich auch, gewisse Sachen auszublenden. Es bringt nichts, wenn ich mich zu sehr unter Druck setze. Das habe ich 2023 bei meiner ersten Tour gelernt.
Was war damals die große Erkenntnis?
Dass man sich nicht zu sehr beeindrucken lassen darf. Bei der Tour ist alles sehr intensiv. Es ist stressiger und hektischer. Davon darf man sich nicht verrückt machen lassen.
Also ist es ein Vorteil, dass Sie wissen, was auf Sie zukommt?
Jeder weiß, dass die Tour de France das größte und wichtigste Radrennen der Welt ist. Es ist aber auch viel Mythos dabei. Jeder sagt dir, wie verrückt es dort zugeht und wie arg doch nicht alles ist. Im letzten Jahr hat mich das echt beschäftigt. Ich habe mich damals vor dem Start öfter gefragt: Wie wird das bloß werden?
Und wie ist es heuer?
Heuer sehe ich das Ganze schon viel nüchterner. Ja, die Tour de France ist gigantisch. Aber unterm Strich ist es dann auch nur ein Radrennen. Du fährst gegen die gleichen Profis, die du sonst das ganze Jahr über bei den anderen Rennen triffst. Nur sind bei der Tour halt alle in Topform.
Die Tour de France wird gerne auch Tour der Leiden genannt. Wie hart ist es wirklich?
Man weiß vorher schon: In den drei Wochen wird man irgendwann einmal schwere Tage haben. Da muss man dann durch. In diesen Momenten hilft das Wissen, dass es jedem Fahrer bei der Tour gleich geht.
Wie überstehen Sie solche harten Tage?
Als Radfahrer lernt man, diese Strapazen auszublenden. Ich habe oft das Gefühl, dass ich im Kopf einen Schalter finde und im entscheidenden Moment noch ein wenig mehr aus mir herausholen kann. Wenn es mir so richtig schlecht geht, dann sage ich mir immer: ,Hey, das ist das Rennen, zu dem du hinwolltest. Genau dafür hast du das ganze Jahr trainiert.’
Es gab in dieser Saison schon erstaunlich viele Massenstürze. Kann man Stürzen aus dem Weg gehen?
Teilweise ja, aber oft hast du auch einfach nur Pech, weil du zur falschen Zeit am falschen Ort im Feld bist. Mich hat es heuer bei der Baskenland-Runfahrt erwischt und ich habe damit auch ziemlich gehadert.
Warum gehadert?
Weil ein Sturz immer Spuren hinterlässt. Es dauert dann schon einige Zeit, bis man wieder das Vertrauen hat in seine Nebenleute. Ich habe bei der Tour mit Oliver Naesen einen sehr erfahrenen Fahrer an meiner Seite, der auf mich aufpasst und mich im Feld lotst. Ihm kann ich blind nachfahren, weil ich weiß, dass er kein unnötiges Risiko eingeht.
Geht’s denn bei der Tour im Fahrerfeld anders zu als bei normalen Radrennen?
Bei der Tour läuft alles viel stressiger, manche schalten das Hirn aus. Bei 170 Leuten kann nicht jeder ganz vorne fahren. Vor allem ist es in vielen Fällen gar nicht notwendig, dass man sich vorne im Feld aufhält. Das habe ich letztes Jahr auch erst lernen müssen. Immer wenn ich die Nerven verloren habe und unseren Road-Captain Oliver Naesen überholt habe, hat er mich eingebremst und mir gesagt: ,Bleib cool, da passiert jetzt nichts.’
Mit welchem Ergebnis wären Sie bei Ihrer zweiten Tour de France zufrieden?
Wenn mir das Gleiche gelingen würde, wie im letzten Jahr, dann würde ich das auf der Stelle unterschreiben. Wieder ein Etappensieg und ein Top-Ten-Platz in der Gesamtwertung – das wäre ein Traum. Es ist gut, zu wissen, dass ich bei der Tour schon etwas erreicht habe. Ich denke mir dann immer: Wenn ich das einmal geleistet habe, dann wird das wieder möglich sein. Vor allem, weil im letzten Jahr noch Potenzial da war.
In welchen Bereichen?
Meine Wattwerte sind im Vergleich zum Vorjahr besser geworden. Außerdem bin ich heute leichter als 2023 und wiege jetzt unter 65 Kilo. Und ich bin resistenter und vertrage die Trainingsumfänge besser.
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