Souveräner Giro-Triumph: Warum Rad-Star Pogacar der "nette Kannibale" ist

Giro d'Italia cycling tour - 19 stage
Tadej Pogacar fuhr bei der Italien-Rundfahrt allen um die Ohren. Der Slowene will nun als erster Profi seit 1998 in einem Jahr das Double aus Giro und Tour de France holen.

Man kann sich einen Kosenamen nur selten aussuchen. Er wird einem verpasst. Dann kann es passieren, dass die Menschen jemanden plötzlich mit einem „Kannibalen“ in Verbindung bringen.

Tadej Pogacar wird neuerdings gerne als „Kannibale“ bezeichnet. Dieser Kosename, der sich so abstoßend und grausam anhört, ist in Wahrheit die größte Respektbekundung, die dem 25-jährigen Slowenen zuteilwerden kann. Es gab vor ihm nur einen Radfahrer, der als „Kannibale“ in die Geschichte einging: Der legendäre Belgier Eddy Merckx.

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Große Emotionen

Tadej Pogacar ist inzwischen ebenfalls in den Rang eines „Kannibalen“ aufgestiegen. Mit einem kleinen, aber nicht unfeinen Unterschied: Für die italienische Sportbibel Gazzetta dello Sport ist Pogacar im Gegensatz zu Merckx der „nette Kannibale“.

Weil der beste Radfahrer der Gegenwart nahezu immer ein Lächeln auf den Lippen hat, den Emotionen gerne freien Lauf lässt und den Kontakt zur Konkurrenz und den Fans nicht meidet. „Ich bewundere ihn, wie er mit der ganzen Situation umgeht. Tadej steht so in der Öffentlichkeit und unter Druck, aber dem sieht man das nicht an“, sagt Felix Großschartner, der oberösterreichische Mannschaftskollege des Slowenen beim Team UAE.

Dem 107. Giro d’Italia hat Pogacar in den vergangenen drei Wochen seinen Stempel aufgedrückt. Schon lange hat kein Radprofi die berühmte Italien-Rundfahrt so dominiert wie der 25-jährige Alleskönner aus Komenda, der am Sonntag mit einem Riesenvorsprung das Ziel in Rom erreichte.

"Der Beste"

Sechs Etappensiege gehen allein auf das Konto von Pogacar, und der „nette Kannibale“ gewann diese Teilstücke nicht einfach nur, er zelebrierte sie und zog dabei eine One-Man-Show ab. Fast immer suchte der Slowene sein Heil in der Flucht und kam solo ins Ziel. „Er ist einfach auf einem anderen Level und der Beste, mit dem ich je gefahren bin. Er fährt in einer anderen Welt“, gesteht Geraint Thomas.

Der Tour-de-France-Sieger von 2018, der den Giro als Dritter beendete, machte bei Pogacars Attacken wie alle anderen Mitkonkurrenten erst gar keine Anstalten, sich ans Hinterrad des Superstars zu heften. Sie wären nicht weit mit dem Dominator mitgekommen.

Diese langen Solofahrten sind inzwischen zum Markenzeichen geworden. Auch bei seinem Triumph beim Klassiker Lüttich – Bastogne – Lüttich hatte Pogacar heuer weit vor dem Ziel Reißaus genommen, das Kultrennen „Strade Bianche“ gewann er mit vier Minuten Vorsprung, nachdem er 81 Kilometer allein unterwegs war. „Er ist der beste Radfahrer, den es im Moment gibt, weil er alles kann“, sagt Teamkollege Großschartner.

Ohne Limits

Legende Eddy Merckx sieht für Tadej Pogacar, der im Alter von 21 Jahren gleich bei seiner ersten Tour de France triumphierte, keine Limits. „Pogacar ist das Gegenteil von dem Computer-Radsport, der in den vergangenen Jahren aufgekommen ist. Er wird schwer zu schlagen sein.“

Der „nette Kannibale“ hat sich den echten „Kannibalen“ zum Vorbild genommen und will auf den Spuren des Belgiers wandeln. Merckx ist einer von nur sieben Radprofis, die in einem Jahr sowohl den Giro d’Italia als auch die Tour de France gewinnen konnten. Der Italiener Marco Pantani war 1998 der letzte Radfahrer, dem dieses Kunststück gelang.

Damals war Tadej Pogacar noch nicht geboren.

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