Während so einer Tour de France bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Da brauchst du schon ein wenig Abstand, um alles einzuordnen. Ich war aber grundsätzlich schon immer einer, der mit sich nur selten richtig zufrieden war. Das war auch schon nach Erfolgen im Nachwuchs so.
Das heißt, Sie sind selbstkritisch und gehen hart mit sich ins Gericht?
Ich habe in Wahrheit meine Erfolge nie so richtig genossen. Weil ich immer schon das nächste Ziel im Auge hatte. Außerdem habe ich mir Erfolge und Siege oft auch nicht selbst zugeschrieben, sondern das Team in den Vordergrund gerückt. Ich habe mir jetzt bewusst vorgenommen, dass ich die Erfolge in Zukunft mehr genießen will.
War der Etappensieg bei der Tour de France für Sie ein Befreiungsschlag oder verspüren Sie dadurch eine Bürde?
Ich merke schon, dass ich heute deutlich mehr Selbstbewusstsein habe. Auch im Umgang mit den Teamkollegen, ich genieße innerhalb der Mannschaft ein viel größeres Vertrauen. Zugleich traue ich mir auch selbst mehr zu. Dass die Ansprüche von außen steigen, ist mir klar. Auch meine Erwartungshaltung ist heute eine andere, weil ich weiß, was ich geschafft habe und was alles möglich ist.
Sind die Selbstzweifel also verflogen, die Sie während Ihrer Karriere so lange begleitet haben?
Ich bin der Meinung, dass man sich immer hinterfragen sollte. Aber es ist heute nicht mehr so, wie vor einem Jahr. Da habe ich mich wirklich vor jedem Rennen gefragt: Wird das was? Kann ich das? Bin ich gut genug? Hab ich es drauf?
Ihr Team hat offenbar deutlich mehr in Ihnen gesehen: Sie wurden während Ihrer ersten Tour de France gleich zum Kapitän befördert.
Das Team hat schon früh großes Vertrauen in mich gesetzt. Ich hatte schon im letzten Jahr gewisse Freiheiten. Heuer wurde der Rennkalender mit mir abgestimmt, es ist alles auf die Tour de France ausgerichtet. Ich werde als Teamleader in die Tour gehen, das Team hat da keine Zweifel. Fertig. Aus.
Wie hat die Konkurrenz auf Sie reagiert? Genießen Sie inzwischen mehr Respekt?
Nach der Tour de France habe ich schon gemerkt, dass es einfacher war, mich im Feld zu bewegen und auf mich auch geschaut wurde. Da habe ich schon deutlich mehr Respekt gespürt. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass ich meinen Etappensieg bei der Tour de France nicht zufällig oder durch Glück gefeiert habe. Sondern durch meine reine Stärke in einer Bergetappe. Und ich habe die Leistungen später dann ja auch noch öfter bestätigt.
Nach dem Etappensieg und Platz acht in der Gesamtwertung im Vorjahr: Wo soll die Reise hingehen?
Die Tour bleibt das große Ziel. Der achte Platz aus dem letzten Jahr ist für mich die Orientierung. Ich werfe aber auch einen Blick auf die Weltrangliste, da möchte ich über das Jahr schon eine gewisse Konstanz haben und regelmäßiger vorne dabei sein. Und ich will besser in die Saison starten als 2023 und dann auch nach der Tour noch performen. Das war im letzten Jahr alles ein wenig hektisch und stressig.
Wo ist noch Luft nach oben? Sie sind nicht der begnadetste Zeitfahrer.
Das Zeitfahren ist sicher die größte Baustelle. Wir haben über den Winter in dieser Richtung viel getestet. Ich habe eine neue Zeitfahrmaschine, ich habe auch eine neue Position auf dem Fahrrad und fühle mich deutlich besser. Ich werde bestimmt nicht zu den Favoriten beim Zeitfahren zählen, aber ich sollte normal nicht mehr so viel Zeit verlieren wie bisher.
Abschließend: Wie begehrt waren Sie eigentlich nach den Erfolgen 2023?
Es haben sich bei mir schon einige Teams und Fahrer gemeldet, aber richtig konkrete Angebote hat es keine gegeben. Für mich hat sich die Frage auch nicht wirklich gestellt: Ich fühle mich in diesem Team wohl, ich genieße ein enormes Vertrauen und hatte auch nie die Motivation, weg zu gehen. Da geht es auch um Dankbarkeit. Mir ist bewusst, was mir dieses Team in den letzten Jahren alles ermöglicht hat.
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