Denn ein halbes Jahr zuvor waren bei einem Bewerb in China 23 Schwimmer aus dem Nationalkader positiv getestet worden, nachgewiesen wurde ihnen das verbotene Herzmittel Trimetazidin. Das Mittel erhöht die Energie- und Sauerstoffversorgung in den Muskeln. Allerdings: Die Athleten wurden nicht suspendiert, sie schwammen munter weiter, gewannen Bewerbe. Einige von ihnen holten sogar Gold bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Alle 23 positiv getesteten Schwimmer unschuldig
Alle 23 Sportler wurden von der chinesischen Anti-Doping-Agentur als unschuldig eingestuft. Das Dopingmittel müsse beim Essen im Mannschaftshotel versehentlich in einen Kochtopf gefallen sein. Die Folge: Freispruch. Auch die WADA glaubte diese Geschichte und erhob keinen Einspruch.
Laut Recherchen der ARD beziehungsweise der New York Times …
- … wurden die betroffenen Sportler über ihre positiven Testergebnisse gar nicht informiert – ein klarer Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln;
- … waren die 23 Sportler gar nicht gemeinsam in einem Hotel untergebracht;
- … haben die WADA-Verantwortlichen nie mit den betroffenen Schwimmern gesprochen und zu den Vorwürfen befragt;
- … sollen drei der 23 Athleten, darunter zwei Goldmedaillengewinner von 2021, schon 2016 und 2017 positiv auf Clenbuterol getestet worden sein. Auch damals gab es keine Sperren. Chinesische Behörden argumentierten, dass die Schwimmer die Substanz versehentlich durch kontaminiertes Fleisch zu sich genommen hätten.
Die WADA und die chinesische Anti-Doping-Agentur wiesen alle Anschuldigungen zurück. Die 23 Schwimmer wollten sich zu dem Fall nicht äußern. Elf der im Jänner 2021 positiv getesteten Schwimmer sind nun auch in Paris am Start. Darunter Doppelolympiasiegerin Zhang Yufei sowie Goldmedaillengewinner Wang Shun und Jungstar Qin Haiyang.
Wie "ein Messer im Rücken"
„Das ist ein Messer im Rücken der sauberen Athleten und für uns, die wir täglich auf der ganzen Welt für einen sauberen Sport kämpfen“, sagt Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur im Gespräch mit der ARD. Schwimm-Legende Michael Phelps legt nach: „Als Athleten können wir nicht mehr blind der WADA vertrauen. Sie ist eine Organisation, die immer wieder zeigt, dass sie unfähig ist, ihre Regeln durchzusetzen.“
Michael Cepic ist der Chef der österreichischen Anti-Doping-Agentur (NADA). „Mir liegen keine detaillierten Berichte über diesen Fall vor“, sagt er. Doch auch er stellt sich Fragen, wie er im KURIER-Gespräch in Paris sagt. Allerdings rückt er zurecht: „Würde ich mich an Spekulationen beteiligen, würde ich mich fragen: Warum sollen die Chinesen bei einer nationalen Veranstaltung ihre Sportler testen und diese Fälle dann auch offiziell in ADAMS (Doping-Datenbank; Anm.) eintragen und das dann wieder versuchen, zu vertuschen?“
Offensichtlich biete der aktuelle Code (Regelwerk) der WADA unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. „Wir müssen schauen, wo die Baustellen im WADA-Code sind und dann den Code ändern.“
Die Betrüger
Doping werde es immer geben. „Es wird immer Leute geben, die sich einen unerlaubten Vorsprung herausholen wollen“, sagt Cepic. „Aber man muss die Latte so hoch wie möglich legen.“
Das US-Justizministerium hat jedenfalls eine Untersuchung angestoßen. Dies wiederum missfällt der WADA und dem IOC zutiefst. Auch Chinas Außenamtssprecher Lin Jian kritisierte, dass die USA chinesische Sportler diffamieren wolle.
In die Offensive ging daraufhin der Schwimm-Weltverband. 2.145 Tests hätte man seit dem 1. Jänner durchgeführt. Chinesische Schwimmer seien im Schnitt 21-mal getestet worden, jene aus den USA sechsmal.
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