Schwimm-Legende Michael Phelps: "In dieser Hinsicht bin ich ein Freak"
Michael Phelps, der erfolgreichste Olympionike der Geschichte, und sein Nachfolger Léon Marchand im Gespräch über Meilensteine im Sport.
24.07.24, 05:00
Für den Uhrenhersteller Omega setzten sich die beiden Markenbotschafter Michael Phelps (39) und Léon Marchand (22) an einen Gesprächstisch. Beide haben den Schwimmsport geprägt. Phelps ist mit 28 Medaillen der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten. Marchand ist auf dem besten Weg, bei den Spielen in seiner Heimat Paris dessen Erbe anzutreten. Bei den WM 2023 in Fukuoka brach Marchand den letzten verbleibenden Weltrekord von Phelps über 400 Meter Lagen.
Wann sind Sie einander zum ersten Mal begegnet?
Léon Marchand: Das erste Mal war bei der WM in Fukuoka. Ich hatte gerade die 400 Meter in der Vorrunde hinter mich gebracht. Michael saß auf der Tribüne und winkte mich zu sich und sagte zu mir: „Hol dir den Titel!“
Michael Phelps: Wir hatten schon Monate zuvor über Instagram miteinander geschrieben. Ich war sogar einige Male an der Arizona State University, wo Léon trainierte, aber wir hatten uns noch nie getroffen. Natürlich weiß ich alles über seine Schwimmkarriere von (Trainer) Bob Bowman. Dieser Bursche würde meinen Rekord brechen, daran bestand kein Zweifel.
Erzählen Sie uns von Ihren Emotionen, als Ihr Weltrekord gebrochen wurde.
Phelps: Ich wollte meinen Rekord 20 Jahre lang halten. Das ist der längste Weltrekord im Schwimmsport und das ist mir gelungen. Aber bei Léons Wettkampf war mir klar, dass er es schaffen würde, gleich nachdem er 100 Meter vor dem Ziel gewendet und bereits einen Körperlänge Vorsprung auf den Rekord hatte.
Marchand: Ich habe mir das Video von Michaels Weltrekord aus Peking viele Male angeschaut. Ich wusste, dass das eine Wahnsinnsleistung war und träumte davon, dem irgendwann nahezukommen. Als ich das Ziel erreichte, hat die ganze Halle gejubelt, und da dachte ich: „Okay, das war’s.“
Spüren Sie mitten in einem Wettkampf, dass Sie sich einem Weltrekord nähern?
Phelps: Es ist der Klang. Bei jedem meiner Weltrekorde war der Klang anders. Ich weiß nicht, ob es die Energie ist. Es fühlt sich einfach anders an. Ich höre immer Pfeiftöne, die unterschiedlich klingen.
Marchand: Ja, absolut. Für mich war es bis zur 200-Meter-Marke eher still. Dann hatte ich wohl eine gute Geschwindigkeit drauf, und die Menschen begannen, mich anzufeuern. Das konnte ich beim Brustschwimmen definitiv hören. Denn beim Brustschwimmen kommt der Kopf vollständig aus dem Wasser. Die Japaner haben mir zugejubelt. Es war ein epischer Moment für mich.
Michael Phelps Geboren am 30. Juni 1985 in Baltimore/ USA, ist Michael Phelps der bis heute vielseitigste Schwimmer der Welt und der mit Abstand erfolgreichste Olympionike
28 Medaillen gewann Phelps bei Olympischen Spielen, 23 davon aus Gold. Bei Weltmeisterschaften schlug er 26-mal als Erster an, dazu kommen sieben weitere Medaillen
Privat In seiner Kindheit wurde ADHS diagnostiziert. Zur Kompensation begann er im Alter von sieben Jahren zu schwimmen. Als Erwachsener gab Phelps auch zu, unter Depressionen gelitten zu haben
Léon Marchand Der Franzose wurde am 17. Mai 2002 in Toulouse geboren. Der Sohn zweier Schwimmer ist der schnellste Mann über 200 m und 400 m Lagen. Bei der WM in Fukuoka brach er in 4:02,50 den Weltrekord von Michael Phelps über 400 m Lagen. Danach gewann er noch über 200 m Lagen und 200 m Schmetterling. Bei Olympia in Paris wird er zu den gefragtesten Athleten gehören
Wie schafft man sich einen Vorteil von Sekundenbruchteilen?
Marchand: Vor einigen Jahren habe ich mir eine Dokumentation über Michael und Bob angesehen. Darin ging es vor allem darum, was unter Wasser passiert. Der Film zeigte, wie gut Michael darin war, unter Wasser zu beschleunigen. Er erklärte, wie man bei jeder Wende den Wellen und der Oberfläche ausweichen kann. Also habe ich begonnen, meine Unterwasserübungen beim täglichen Training zu wiederholen. Bei jeder Runde. Bei jeder Wende. Mit der Zeit holte ich dann diese Sekundenbruchteile heraus. Ich glaube, das Training mit Bob ist viel härter als der eigentliche Wettkampf. Wir machen viel durch.
Phelps: Jeden Tag schaue ich über meinen Schreibtisch auf ein Foto von einem Sieg mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung, dem knappsten Sieg überhaupt. Diesen Wettkampf habe ich gewonnen, weil ich in diesem Moment wusste, dass ich meinen Schwung verlieren würde, wenn ich einen vollen Armzug machte. Das ist mir nur dank des Bewusstseins gelungen, das wir jeden Tag beim Training geschärft haben.
Also ist es wahr: Übung macht wirklich den Meister.
Phelps: Aus einem Training, wie Léon und ich es hatten, gehen einige der besten Schwimmer der Welt hervor. Léon ist Weltrekordhalter über 400 Meter Lagen, aber er trainiert gegen die drei oder fünf besten Schwimmer in den Disziplinen Freistil, Rücken, Brust und Schmetterling. Sie alle wollen Gold gewinnen. So kann man jeden Tag gegen die Besten antreten. Und je öfter man das macht, desto mehr Selbstvertrauen gewinnt man. Wenn man vom Startblock springt, denkt man: „Den Kerl werde ich heute fertigmachen.“
Erkennen Sie viele Gemeinsamkeiten?
Marchand: Wir beide arbeiten sehr hart. Wir lieben es, die Grenzen des Sports neu zu definieren, und wir sind beide sehr gut darin, unter Druck Leistung zu erbringen.
Phelps: Ich sehe eine Chance und möchte sie ergreifen. Und das sehe ich auch bei Léon. Der bringt das Unterwasser-Schwimmen auf ein ganz neues Niveau. Dieser Stil geht quasi auf Ian Thorpe zurück. Und dann haben Ryan Lochte und ich ihn weiterentwickelt.
Eine der jüngsten Innovationen von Omega ist die Messung von Livedaten – die Anzahl der Schwimmzüge, die Livepositionen und die Beschleunigung. Hilft das?
Marchand: Wir können dadurch einige Dinge verbessern. Ich arbeite beispielsweise daran, mein Tempo unter Wasser zu halten.
Phelps: Diese Daten zeigen, wo unsere Defizite liegen. Man kann sich anschauen, wie man die Schwimmzüge kontrolliert, wie weit sie reichen, all diese Feinheiten. Ich bin in dieser Hinsicht ein ziemlicher Freak. Über je mehr Wissen und Informationen ich verfüge, desto besser kann ich sie nutzen. Das ist ein echter Gamechanger.
Léon, gibt es einen Wettkampf von Michael Phelps, der Sie am meisten inspiriert?
Marchand: Ja, die 200 Meter Schmetterling im Finale der Olympischen Spiele 2008. Weil er den Wettkampf gewonnen hat, obwohl sich seine Schwimmbrille mit Wasser gefüllt hatte. Das ist, als hätte man die Augen verbunden. Ein Albtraum. Du konntest gar nichts sehen, oder?
Phelps: Nach den ersten 25 Metern gar nichts mehr.
Marchand: Aber ihm machte das nichts aus. Er hat nicht aufgegeben. Ich fand es echt beeindruckend, was er für eine mentale Stärke besaß. Wie sehr er gewinnen wollte. Das hat mich inspiriert.
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