Die Formel 1 dreht durch: Vom Hamilton-Kracher bis zur Causa Horner
Am 23. Februar, exakt eine Woche vor dem ersten Formel-1-Rennen der neuen Saison in Bahrain, wird die sechste Staffel der genre-prägenden Doku "Drive to Survive" auf Netflix abrufbar sein. Die wenigen Kritikpunkte an dem Erfolgsformat zielen auf eine Überdramatisierung der Ereignisse ab. Aktuell scheint eine Zuspitzung gar nicht mehr nötig, wirkt doch die Realität gerade unrealer als jedes Drehbuch.
Die Königsklasse steht dabei bis zu den Testfahrten von 21. bis 23. Februar offiziell noch still, sie dreht aber angesichts der jüngsten Wendungen trotzdem schon regelrecht durch. Ein Überblick:
Die Causa Horner
Eigentlich hätte sich Red Bull ruhig zurücklehnen und genüsslich den Konkurrenten zusehen können, wie sie das Wesentliche aus den Augen verlieren. Ferrari und Mercedes, die größten Widersacher des Weltmeister-Teams, beschäftigten sich im Finish der Autoentwicklung vor allem mit dem Seitenwechsel von Lewis Hamilton, Red Bull wiederum wäre wohl auch gut unterwegs gewesen, wenn man den dominanten 2023er-Boliden (21 von 22 Rennen gewonnen) unverändert in diesem Jahr auf die Reise geschickt hätte.
Doch seit ein paar Tagen hat auch Red Bull ganz andere Sorgen. Nach schwerwiegenden Vorwürfen einer Mitarbeiterin musste sich Teamchef Christian Horner am Freitag in London einer Untersuchungskommission stellen, die von Red Bull aus Salzburg eingesetzt wurde. Laut Sky Sports News soll es sich in der Causa um "kontrollierendes und potenziell nötigendes Verhalten" gehandelt haben. Eine Entscheidung zur Zukunft Horners, der die Anschuldigungen bisher vollständig zurückwies, soll jedenfalls vor dem Saisonauftakt fallen.
Mercedes und Hamilton
Am 14. Februar präsentiert Mercedes sein neues Auto – und bei der Vorstellung wird sich alles um Bald-Ferrari-Pilot Hamilton drehen. Teamchef Toto Wolff steht damit wohl vor seiner schwierigsten Aufgabe, seit er 2013 das Kommando bei den Silberpfeilen übernommen hat. Nicht nur, dass seine eigene Erfolgsgeschichte eng mit jener des britischen Superstars verwoben ist, der Wiener wird 2024 viel an der Zukunft arbeiten müssen, ohne jedoch die Gegenwart aus den Augen zu verlieren.
Das Team braucht Hamilton, um die Saisonziele zu realisieren, gleichzeitig wird der siebenfache Weltmeister nicht mehr in alle technischen Geheimnisse eingebunden werden, um möglichst wenig Mercedes-Wissen mit nach Maranello zu transferieren. Wolff hob zuletzt zwar die Integrität Hamiltons hervor, das Team hat sich aber dennoch juristisch abgesichert. Eine Klausel in Hamiltons Mercedes-Vertrag verhindert, dass weiteres Schlüsselpersonal zu Ferrari mitzieht.
Abgesehen von der Rechtssicherheit sollte man die Signale, die der Hamilton-Wechsel intern aussendet, nicht unterschätzen. Der bald 40-Jährige glaubt offenbar, dass er eher mit Ferrari als mit Mercedes seine achte WM einfährt.
Ferrari und Hamilton
Am 13. Februar präsentiert Ferrari sein neues Auto – und bei der Vorstellung wird sich alles um Noch-Mercedes-Fahrer Hamilton drehen. Der Scuderia ist zweifelsfrei der größte Coup seit Jahrzehnten gelungen, Garantie für den ersten Fahrer-Titel seit 2007 ist der funkelnde Neuzugang 2025 aber keine. Die Italiener patzten nicht nur oft bei der Fahrzeugentwicklung, sondern auch bei Rennstrategien und Personalauswahl. Hamilton, der seit 2007 mehr als doppelt so viele Rennen gewonnen hat (103) wie alle Ferrari-Fahrer zusammen (51), muss nicht nur den Boliden beschleunigen, sondern den gesamten Rennstall voranbringen.
Alles auf Kurs ist bei Ferrari trotz des Megatransfers nicht. Carlos Sainz muss Ende 2024 für Hamilton Platz machen und wird zusehends seine eigenen Interessen in den Vordergrund rücken. Nur minimal glücklicher dürfte Charles Leclerc sein. Der Monegasse galt bis vor wenigen Tagen als jener Pilot, dem Ferrari die Wende zutraut. Kürzlich unterzeichnete der 26-Jährige eine mehrjährige Vertragsverlängerung. Dass zeitgleich Verhandlungen mit Hamilton liefen, habe er nicht gewusst. Im Corriere dello Sport zeigte sich Leclerc "schockiert und enttäuscht".
Der Fahrermarkt
Üblicherweise beginnt sich das Fahrerkarussell im Sommer zu drehen. "Verrückte Saison" wird dieser Zeitraum genannt, wenn alle möglichen Gerüchte gestreut werden. Heuer dürfte es noch ein bisschen verrückter werden. Mit Mercedes und Red Bull sind zwei Topteams auf der Suche – und 13 der 20 Piloten im Feld haben Stand heute noch kein Cockpit für 2025. Das eröffnet ungeahnte Chancen.
Nach der Hamilton-Entscheidung scheint gar nichts mehr unmöglich – auch nicht ein Angebot von Mercedes an Red-Bull-Weltmeister Max Verstappen. "Toto Wolff wird das versuchen", glaubt Red-Bull-Berater Helmut Marko, „aber da wird er erfolglos sein“. Markos Team scheint auch dieses Rennen gewinnen zu wollen. Dem ehemaligen Red-Bull-Fahrer Alexander Albon, derzeit bei Williams, soll man den Platz neben Verstappen ab 2026 angeboten haben.
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