Bagnaia vor MotoGP-Titel: Die Nerven fahren mit
Francesco Bagnaia sieht die Ziellinie. Es braucht nicht mehr viel, dann überfährt er sie am Sonntag in Valencia als neuer MotoGP-Weltmeister. Ein 14. Platz reicht dem Ducati-Piloten bereits, um den regierenden Champion Fabio Quartararo zu entthronen. Sollte der Franzose nicht gewinnen, dann ist Bagnaia so oder so Weltmeister, unabhängig von seinem Ergebnis beim Saisonfinale. Bagnaia geht von Startplatz acht ins Rennen, Kontrahent Quartararo von Rang vier. Die Poleposition sicherte sich Ducati-Kollege Jorge Martin.
Der 25-jährige Turiner wäre der erste italienische Weltmeister seit Valentino Rossi 2009, für Ducati wäre es der erste Titel seit 2007 (Casey Stoner). Seit 2010 gab es zehn spanische, einen französischen und einen australischen Weltmeister. Bagnaia wäre ein Champion, der hart mit sich ins Gericht geht. Fünf Mal ging er in der laufenden Saison leer aus. Vier dieser Nullnummern (Losail, Le Mans, Sachsenring und Motegi) waren auf eigene Fehler zurückzuführen. Einmal kam der Ducati-Pilot unverschuldet zu Sturz, als sich Takaaki Nakagami beim Start in Barcelona verschätzte. Bagnaia ärgert sich dennoch über seine Fehler in diesem Jahr. „Ich hätte diese Lektion eigentlich bereits im vergangenen Jahr lernen müssen“, bemerkt Bagnaia.
Damals warf er in Misano seine WM-Chancen ins Kiesbett und machte Quartararo zum Weltmeister. Der Italiener übt sich in Selbstkritik: „Mit Blick auf unser Potenzial hätte ich heuer viel mehr Punkte sammeln müssen. Da das Niveau aber so hoch ist, können Fehler einfacher passieren. Jedes Mal, wenn ich stürzte, ging ich über das Limit und attackierte einfach zu hart.“
Die Aufholjagd
Doch trotz der Hoppalas führt Bagnaia die WM vor dem Saisonfinale mit 23 Punkten Vorsprung an. Ein Polster, der reichen sollte. Eigentlich. Im Sommer allerdings bot sich noch ein ganz anderes Bild. Nach dem Grand Prix auf dem Sachsenring lag Bagnaia 91 Punkte zurück, der WM-Titel war in weite Ferne gerückt. Und auch die Statistiken sprachen gegen den Italiener, denn bisher konnte noch nie ein Fahrer einen so großen Rückstand aufholen und sich den Titel sichern. „Alle Fahrer haben gute und schlechte Momente. Doch kein Fahrer hat so einen großen Unterschied ausgemacht wie ich in der zweiten Saisonhälfte. Deshalb habe ich meine Position verdient“, erklärt Bagnaia, der „Pecco“ genannt wird. Diesen Spitznamen verdankt er seiner Schwester Carola, die einst in sehr jungen Jahren nicht imstande war, den Vornamen ihres Bruders korrekt zu artikulieren.
Die glorreichen Sieben
Für den Italiener hätte der Titel auch eine zusätzliche emotionale Bedeutung. Die Motorrad-Weltmeisterschaft wird seit dem Jahr 1949 ununterbrochen ausgetragen. Seither haben sich Fahrer aus nur sieben verschiedenen Nationen den Weltmeistertitel in der Königsklasse gesichert. Das erfolgreichste Land ist Italien. Sechs italienische Fahrer haben zusammengerechnet 20 Weltmeistertitel errungen. Im Jahr 1966 begann der Erfolgszug von Giacomo Agostini. Mit MV Agusta gewann die Motorradlegende sieben WM-Titel hintereinander. 2001, 2002 und 2003 wurde dann Valentino Rossi mit Honda Weltmeister. Es folgten zwei weitere WM-Titel mit Yamaha. 2008 und 2009 feierte Rossi seine letzten großen Erfolge. Sein WM-Titel im Jahr 2009 war der bisher letzte eines Italieners. Dass ein Italiener mit einem italienischen Motorrad Weltmeister war, passierte letztmals 1972. Giacomo Agostini drückt seinem Landsmann Bagnaia vor Ort die Daumen: „Es würde 50 Jahre nach meinem letzten WM-Titel mit einem italienischen Motorrad passieren. Italien sollte stolz darauf sein.“
Juventus Turin, Bagnaias Lieblingsteam, ließ ihm rechtzeitig eine Video-Botschaft als Motivation zukommen. Jeder einzelne Spieler sprach dabei zu Bagnaia und ermunterte ihn, den Titel für Italien und Turin einzufahren.
Fabio Quartararo motiviert sich derweil mit dem Titelfinale des Jahres 2006, als Rossi – ausgerechnet auf Yamaha – den Triumph vor Augen ins Kiesbett legte und Nicky Hayden davon überraschend profitieren konnte und am letzten Drücker an „Il Dottore“ in der WM vorbeizog. Das geschah damals ebenfalls in Valencia. Und genau aus diesem Herzschlagfinale schöpft Quartararo die Hoffnung, doch noch das „Wunder von Valencia“ zu schaffen. Diesmal will Yamaha den Spieß noch umdrehen.
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