Doch das Skifahren kommt auch aus anderen Gründen unter Druck. Klimawandel bedeutet Schneemangel. Kunstschnee ist aus ökologischer Sicht ebenso problematisch wie die Eingriffe in die Natur, die die moderne Skiindustrie verlangt. Um Pisten und Liftanlagen zu errichten, werden Wälder gerodet, Böden planiert, und mitunter stehen sogar Berggipfel zur Disposition.
Dennoch prägt das Skifahren das „Wir“-Gefühl Österreichs nach wie vor enorm. Dass die diesjährige Skisaison nach Ansicht einiger europäischer Regierungschefs in ganz Europa ausfallen sollte, wurde hierzulande höchst emotional debattiert. Tenor: „Die EU will uns das Skifahren verbieten.“
Wie aber wurde das Skifahren überhaupt zu einem derart identitätsstiftenden Faktor in Österreich?
Das habe nicht zuletzt politische Gründe, meint Sporthistoriker Matthias Marschik. „Österreich war zwischen 1918 und 1938 sehr von Wien geprägt. Nach 1945 ist Österreich von der Donaurepublik zur Alpenrepublik geworden. Das war der politische Wille von dreien der vier Besatzungsmächte: Amerikaner, Engländer und Franzosen wollten aus Österreich eine Alpenrepublik machen, weil im Osten die Russen waren.“
Die Fokusveränderung begünstigte den Skisport ebenso wie der Bedeutungsverlust des Fußballs, bis Mitte der 50er der wichtigste Sport in Österreich. „Noch 1954 errang Österreich den dritten Platz bei der Fußball-WM. Danach fand ein Ausverkauf der Nationalmannschaftsspieler statt, Leute wie Ernst Happel gingen ins Ausland,“ sagt Marschik.
Und dann kam das Jahr 1956. Bei den olympischen Spielen in Cortina d’Ampezzo gewann der junge Tiroler Toni Sailer drei Goldmedaillen. Er wurde Filmstar, Mädchenschwarm, Volksheld – und das heldenhungrige Österreich wollte sich mit ihm identifizieren.
Dabeisein wollen setzt Dabeisein können voraus. Und das war nun, in den Jahren des Wirtschaftswunders, möglich. Skifahren wurde zum Aufstiegsversprechen. „Skifahren wurde ein Massenphänomen, dem sich auch die Mittelschicht verschrieb. Davor war Skiurlaub eine mondäne Sache, nun wurde es zum Statussymbol, das man sich als Familie leisten wollte“, erklärt Rudolf Müllner, Sportwissenschafter und Historiker an der Uni Wien. Zum Skifahren als Mittelklasseprojekt gehörten die Schulskikurse. „Ein unhinterfragtes Paradigma über alle Parteien hinweg.“
Mit dem Aufstieg des Skisports sind auch die Medien verbunden, insbesondere das Fernsehen. „Die dauernden Skiübertragungen haben dazu beigetragen, dass ein gemeinsamer emotionaler Raum entstanden ist. Der Höhepunkt dieses Gemeinschaftserlebnisses war der Olympiasieg von Franz Klammer 1976.“
Zwar ist der Zenit des „Wir“-Gefühls überschritten, doch sorgt die nach wie vor starke Massenfähigkeit des Skisports für starke Emotionen angesichts der Frage, ob er in Corona-Zeiten erlaubt sein soll. Besonders dann, wenn die Anregung zur Pistenenthaltsamkeit von außen kommt.
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