Schwere Vorwürfe gegen den Fußball-WM-Gastgeber Katar
Vålerenga Oslo, Tromsø, Strømsgodset, Viking Stavanger, Odd, Brann Bergen und Rosenborg Trondheim, allesamt norwegische Erstligaklubs, haben jüngst die norwegische Nationalmannschaft dazu aufgerufen, nicht an der Männer-WM 2022 teilzunehmen.
Eine Recherche der englischen Zeitung Guardian hatte vielerorts Verstörung ausgelöst. Von mehr als 6.500 toten Arbeitsmigranten in Katar aus fünf asiatischen Ländern in den vergangenen zehn Jahren war in dem Artikel zu lesen. Auf den unzähligen Baustellen in Katar schießen ohne Rücksicht auf Leib und Leben Prestigeprojekte wie etwa die WM-Stadien in die Höhe.
„Wir müssen Druck machen. Der Sport hat die Kraft, Signale zu setzen“
Die Zahl 6.500 fand breite Wahrnehmung. Reaktionen aus dem organisierten Fußball gab es nur in Norwegen. Wieder einmal stellt sich die Frage, wie viel Moral kann und will sich der Fußball leisten?
Bayern windet sich
Bayern München wird von der Fluglinie Qatar Airways unterstützt und schlug einige Mal in Katar das Wintertrainingslager auf. Aus der Münchner Fanszene gibt es immer wieder Kritik an der Partnerschaft. Für Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge leiste der Fußball einen „großen Beitrag zur Verbesserung der Situation“. Bayern oder der Fußball allein könnten keine umfassenden Veränderungen bewirken. „Wir können nicht die ganze Welt verbessern“, sagte Rummenigge.
Etwas anders ist die Meinung von Norwegens Teamchef. Ståle Solbakken sagt: „Wir müssen Druck machen. Der Sport hat die Kraft, Signale zu setzen.“ Das habe „Black Lives Matter“ gezeigt. Und das sei auch die Meinung von Haaland und Co., sagte Solbakken, seine Stars nähmen „mit vollem Herzen“ teil an der Diskussion. Aber, klar: Sie wollen spielen. Das, betonen die Befürworter eines Boykotts, täten sie angesichts all der toten Arbeiter „auf einem Friedhof“. Solbakken: „Katar hätte die WM nie bekommen dürfen“. Ein Boykott, betonte er, würde die Probleme der Arbeiter aber auch nicht lösen.
Zumindest hat Katar einen Mindestlohn für diese eingeführt. Seit Samstag erhalten Arbeitnehmer unabhängig ihrer Nationalität rund 230 Euro pro Monat, wie die Regierung mitteilte. Ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Die FIFA beschwichtigt
„Ich glaube nicht, dass der Boykott der WM ein richtiger Ansatz ist“, erklärte FIFA-Präsident Gianni Infantino wenig überraschend. Ein Grundproblem ist, dass große Sportorganisationen wie die FIFA in den Strukturen autoritären Systemen ähnlich sind. Abweichler werden ganz gerne zur Räson gerufen. Der norwegische Verband NFF würde einen WM-Boykott nicht mit dem möglichen Ausschluss für andere Turniere bezahlen wollen.
Bei der Jahreshauptversammlung des Verbandes stimmten vor einer Woche nur 61 Vertreter dafür, die Debatte über einen WM-Verzicht auf die Tagesordnung zu setzen, 146 waren dagegen. Nötig wäre eine Zweidrittelmehrheit gewesen. Am 20. Juni soll wieder darüber diskutiert werden – und eine Entscheidung wohl vertagt werden. Solbakken kritisierte, was der NFF bisher getan habe, um Arbeiter- und Menschenrechte in Katar zu fördern, sei „zu schwach und zu wenig resolut“ gewesen, sagte Solbakken. Sich wie Verbandspräsident Terje Svendsen nur auf einen Dialog zu berufen, sei „feige“, meinte er offen. Norwegen mag eine kleine Fußball-Nation sein, betonte der Teamchef. Aber: „Wir haben einen Weltstar, einen halbverrückten Trainer und junge, nach vorne stürmende Spieler. Wir müssen groß denken.“
Norwegen war zuletzt 1998 für eine WM qualifiziert. Sie spielen in einer Gruppe mit den Niederlanden. Das Problem Katar-WM könnte sich für Norwegen also ganz von selbst lösen. Das Team um Jungstar Erling Haaland spielt am 24. März in Gibraltar erstmals in der WM-Qualifikation.
Der niederländische Sportrasenhersteller Hendriks Graszoden verweigert Lieferungen für die WM in Katar. „Wir wussten, dass es während der Arbeit Todesfälle gab, aber wir wussten nicht, dass es ungefähr 6.500 sind“, sagte Firmensprecher Gerdien Vloet.
In den sozialen Medien überschlugen sich die Kommentatoren mit Lob und Zustimmung für den Familienbetrieb, der auch für die WM 2006 in Deutschland und für die vergangenen drei Europameisterschaften den Rasen geliefert hat. „Ein Betrieb für Gras und mit Rückgrat!“, heißt es etwa bei Twitter. Oder auch: „Applaus für Hendriks, für die Geld nicht das Einzige ist, was zählt!“
Ebenfalls nicht nach Katar reisen werden der niederländische König sowie der Ministerpräsident. Das hat das Parlament im Februar entschieden. Das Außenhandelsministerium hat eine für Ende März geplante Reise großer Unternehmen nach Katar kurzfristig abgesagt.
In Deutschland befürworteten 90 Prozent von 1.417 befragten Personen (von der Voting-App FanQ im Auftrag des SID) einen Boykott der WM. Damit solle wegen der Menschenrechtsverletzungen im Emirat am Persischen Golf ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Die Umfrageteilnehmer wünschten sich außerdem, dass sich die deutschen Spieler öffentlich stärker zu Wort melden.
Kommentare