Wenn David Alaba in einem Champions-League-Finale auf dem Platz gestanden ist, dann hat er es auch gewonnen. Das war 2013 so, als er mit den Bayern in London Borussia Dortmund in die Knie gezwungen hat, und 2020 ebenso, als in Lissabon Paris Saint-Germain besiegt wurde. 2010 und 2012 musste er von der Tribüne aus zusehen, wie die Bayern gegen Inter Mailand bzw. Chelsea den Kürzeren zogen.
Am Samstagabend wird der 29-Jährige wieder auf dem Platz stehen. Nach einem Muskelfaserriss, der ihn für das Halbfinal-Rückspiel gegen Manchester City am 4. Mai aus der Bahn geworfen hat, ist er im Endspiel zurück. Im Stade de France vor den Toren von Paris, wo er 2009 als 17-Jähriger sein Debüt im Nationalteam feierte, greift er zum dritten Mal nach dem Henkelpokal, um eine starke Saison zu krönen. Als erster Österreicher könnte er diesen mit zwei verschiedenen Klubs holen.
Es wäre der 30. Titel in seiner Profikarriere, nachdem sein Transfer von den Bayern zu Real im Vorjahr viel Staub aufgewirbelt und manch Experte sogar die Reservistenrolle für ihn prognostiziert hatte. Doch Alaba wurde in Madrid auf Anhieb zum Leistungsträger, knackte die Marke von 100 Einsätzen in der Champions League und wurde prompt auch spanischer Meister.
Vor dem Endspiel in der Stadt der Liebe spricht Alaba über die außergewöhnliche Kraft von Real Madrid und seinen Fans, über die Mentalität von Stars wie Luka Modric und Karim Benzema, über Finalgegner FC Liverpool und über den neuen ÖFB-Teamchef.
KURIER: Sind Sie nach Ihrer Verletzung bereit fürs große Finale?
David Alaba: Das bin ich. Ich hatte ein gutes Programm die letzten Wochen, zuletzt intensive Einheiten und fühle mich sehr gut.
Sie haben mit Real in diesem Frühjahr vor allem in den Heimspielen Großes erreicht. Beschreiben Sie bitte diesen Mythos des Stadions Santiago Bernabéu.
Ich habe schon als Gegner gemerkt, welchen Faktor in Madrid die Fans spielen können. Zum ersten Mal erlebt habe ich es dann vor dem Achtelfinal-Rückspiel gegen Paris. Viele Kilometer entfernt vom Stadion stehen schon Tausende Fans Spalier für den Mannschaftsbus und heizen uns für das Spiel ein. Diese Emotionalität und Kultur spürst du im Bus. Ich nehme dann die Kopfhörer raus und genieße immer diese Stille. Das ist eine spezielle Stille, weil alle Spieler schauen, was die Fans draußen machen. Diese Energie nimmst du mit ins Spiel.
Real Madrid ist zwar Rekordsieger der Champions League, war gegen Paris und Manchester City aber dennoch für viele der Außenseiter. Auch gegen Liverpool im Finale sehen das viele so. Motiviert das zusätzlich?
Das beschäftigt uns kaum. Egal ob wir zurückliegen oder der Gegner eine Drangphase hat: Wir bleiben ruhig. Auch in Momenten im Spiel, in denen es nicht gut aussieht, wissen wir, wer wir sind. Dafür steht Real Madrid auch.
Ist das sozusagen das spanische „Mia san mia“?
Die Bayern-Kultur ist ähnlich. Beide Klubs stehen für Erfolg, beide streben nach dem Größten. Man kennt die spezielle Beziehung von Real zur Champions League. Egal wann, egal wie: Es ist das größte Ziel jedes Jahr. Dafür wird gelebt und gearbeitet.
Sie haben bei Real große Spieler kennengelernt. Was zeichnet etwa Luka Modric aus, der mit 36 Jahren unglaublich fit wirkt?
Seine größte Stärke ist seine Liebe zum Fußball. Er könnte sagen: „Ich bin 36, ich habe alles gewonnen, auch den Ballon d’Or. Und im Training habe ich jetzt einen Radius von drei Metern, und im Spiel weiß ich eh, wie es geht.“ Aber das tut er nicht. Mit welcher Hingabe er täglich auftritt, ist beeindruckend. Daher ist er für viele ein Vorbild, nicht nur für mich. Wenn man dann sein Alter hört, kann man es nicht glauben. Ich frage ihn dann: „Wen willst du eigentlich häkeln?“ Wie er über den Platz fliegt, er ist gefühlt überall. Er ist noch lange nicht fertig.
Viele Spieler kannten Sie schon als Gegner. Ist man beim einen oder anderen überrascht, wenn man ihn persönlich kennenlernt?
Ich bin ja auch von einer Mannschaft gekommen, bei der die Grundeinstellung, die Motivation und der Hunger immer sehr hoch waren. Ich wusste: Hier wird es ähnlich sein. Aber natürlich wirken Spieler wie Karim Benzema auch inspirierend. Seinen Hunger nach Erfolg sieht man schon alleine in seiner Mimik.
Was zeichnet ihn aus?
Er spielt eine unfassbare Saison. Bei wie vielen Toren er hält, wissen wir gar nicht, weil es so viele sind. Es ist inspirierend, wie er die ganze Woche dafür lebt, was er am Wochenende tut. Er ist täglich einer der ersten, der kommt und einer der letzten, der geht. Das habe ich mir in der Saisonvorbereitung angeschaut und einen Monat später wieder. Auch Monate später. Bis heute. Er lebt dafür, der Beste zu sein.
Sie kannten Carlo Ancelotti als Trainer von den Bayern. Macht er bei Real irgendetwas anders?
Vielleicht hat er seither neue Erfahrungen gesammelt, der Fußball hat sich wieder eine Spur verändert. Was einen großen Trainer auszeichnet, ist, sich auch ein wenig anzupassen. Diese Eigenschaft braucht es, um erfolgreich zu sein und Titel zu gewinnen. Er ist nicht umsonst der erste Trainer, der in den fünf größten Ligen Europas Meister geworden ist. Aber großteils ist er noch der gleiche Trainer und Mensch.
Was zeichnet Liverpool aus?
Das ist eine Mannschaft, die sehr viel Power hat, die hohe Intensität fahren kann und einen Trainer hat, der genau das an der Seitenlinie vorlebt und auf den Platz projiziert, sodass es sein Team mitnimmt. Durch diese Eigenschaft sind sie immer ein Anwärter auf große Titel.
Als Jürgen Klopp nach Liverpool gekommen ist, hat er die Premier League zunächst mit Pressing-Fußball aufgemischt. Heute dominiert er seine Gegner auch durch klugen Ballbesitz. Eine beispielhafte Entwicklung?
Das war sicher das Ziel von Klopp, und er betont ja auch immer, die Mannschaft stetig weiterentwickeln zu wollen. Das haben sie zu hundert Prozent getan.
Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Ralf Rangnick ÖFB-Teamchef wird?
Sehr positiv. Er ist ein Trainer, der uns sicher weiterhelfen kann. Das hat er oft bewiesen. Er hat eine klare Philosophie und wird uns seinen Stempel aufdrücken.
Hatten Sie schon mit ihm zu tun?
Er wollte mich als Hoffenheim-Trainer von den Bayern ausleihen, bevor ich 2011 dann wirklich für ein halbes Jahr dort war. Wir sind uns immer wieder begegnet, und er hat mich auch vor ein paar Tagen angerufen. Über seine Pläne wird er sicher kommende Woche mit mir sprechen.
Bei seiner ersten Kader-Nominierung hat er Härte gezeigt und auf Aleksandar Dragovic verzichtet.
Drago ist ein sehr guter Freund, seitdem wir elf oder zwölf Jahre alt waren und gemeinsame Träume hatten. Dass wir es beide ins Nationalteam geschafft haben, ist etwas Besonderes. Ich bin ihm dankbar, weil er in jungen Jahren – dadurch, dass er älter ist – ein Vorbild für mich war. Daher ist es schade, dass er dieses Mal nicht dabei ist. Im Fußball kann es aber schnell gehen. Er hat immer, egal wann, gezeigt, welche Qualität er hat. Dass er 100 Länderspiele hat, kommt nicht von ungefähr. So wie ich ihn kenne, nimmt er das als Ansporn. Er ist sicher kein Typ, der aufgibt.
Privat
David Alaba wurde am 24. Juni 1992 als Sohn eines Nigerianers und einer Philippinerin in Wien geboren. Er hat eine jüngere Schwester und ist mit Shalimar Heppner, Tochter des deutschen Starkochs Frank Heppner, liiert. Das Paar hat einen Sohn, geboren 2019.
Karriere
92 Länderspiele hat Alaba absolviert, nachdem er vom SV Aspern über die Austria als 16-Jähriger zu den Bayern kam und eine Weltkarriere startete.
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