Nach 20 Jahren: Warum Messi dem FC Barcelona den Rücken kehrt
Kaum hatte sich die Nachricht vom Abschied von Lionel Messi verbreitet, da zog es die Fans des FC Barcelona auf die Straßen. Zu Hunderten versammelten sie sich zu später Stunde am Estadio Camp Nou und stimmten Gesänge auf den Superstar an. "Messi quedate, nosostros te queremos" war da immer wieder zu hören:
"Messi bleib’, wir lieben dich!"
Doch der 33-Jährige wird sich nicht mehr umstimmen lassen. Nicht durch Kundgebungen und Lobeshymnen, und schon gar nicht durch ein neues lukratives Angebot des FC Barcelona. Die Entscheidung, seinem Herzensverein nach zwei Jahrzehnten Adios zu sagen, dürfte in ihm über Monate gereift zu sein. Dabei schien gerade für Lionel Messi das Vereinsmotto des FC Barcelona so treffend zu passen: Més que un club steht in großen Lettern auf der Tribüne des Nou Camp-Stadions. Mehr als ein Verein.
Messi: Nach zwei Jahrzehnten sagt der Superstar Adios
Barcelona als Heimat
Tatsächlich war Barca für Messi mehr als nur ein Klub, er war eine Heimat, seit er im Alter von 13 Jahren zusammen mit den Eltern und seinen drei Geschwistern aus Argentinien nach Barcelona gekommen war. Der Klub bezahlte ihm damals eine notwendige Hormonbehandlung, ohne die Lionel Messi möglicherweise nie der Lionel Messi geworden wäre, wie ihn nun die ganze Welt kennt und bestaunt.
Es muss also einiges vorgefallen sein, dass Lionel Messi nun auf seine alten Tage den Klub verlässt, dem einerseits er so viel zu verdanken hat und den er andererseits so geprägt hat wie kein anderer.
Es sei das „verdorbene Ende einer Ära“ schreibt die Tageszeitung El Mundo. Und für die Marca ist der Abschied der Barca-Legende in Anlehnung an die Viertelfinal-Schmach gegen den FC Bayern sogar „schlimmer als jedes 2:8.“
Wie konnte es nur so weit kommen? Warum hat sich Lionel Messi so sehr von seiner großen Liebe entfremdet? Wieso will er nun woanders sein Glück versuchen.
-
Schlechtes Klima
Lionel Messi war noch nie ein guter Schauspieler. Dem argentinischen Superstar konnte man es meist auf den ersten Blick ansehen, wie er sich fühlt und ob er in Spiellaune ist. Das Lächeln, das er früher oft auf den Lippen hatte, war zuletzt immer seltener zu sehen. Augenscheinlich wurde seine Unzufriedenheit im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Bayern, als er bereits mit hängenden Schultern und leerem Blick über den Platz trottete, als die Partie noch lange nicht entschieden war.
Spanische Medien berichten, dass das Tuch mit Barcelona-Präsident Josep Bartomeu schon seit längerem zerschnitten ist und Messi dem Vereinschef kein Vertrauen mehr entgegen bringt. Anlass waren unter anderem die Gehaltskürzungen während der Corona-Krise. Der ansonsten so wortkarge Messi kritisierte öffentlich das Vorgehen des Vereins.
-
Falsche Personalentscheidungen
In den Schlussminuten des Champions League-Viertelfinales gegen den FC Bayern erhielt das Dilemma des FC Barcelona ein Gesicht. In Gestalt von Philippe Coutinho, der nach seiner Einwechslung wie zum Hohn zwei Tore und ein Assist zum 8:2-Triumph beisteuerte. Beim FC Barcelona hatte man Coutinho für 145 Millionen Euro aus Liverpool verpflichtet, um ihn dann rasch zum Teufel zu jagen und an die Bayern zu verleihen. Nicht viel anders verhält es sich mit Antoine Griezmann (120 Mio. Ablöse) und Ousmane Dembele (138 Mio. Euro), die bislang allesamt ihr Geld nicht wert waren.
„Wir sind ein schlechtes Team“, monierte Lionel Messi ungewohnt scharf, nachdem der FC Barcelona in der Primera Division dem großen Rivalen Real Madrid den Vorzug lassen musste. Auch beim Führungspersonal griff der Klub zuletzt immer häufiger daneben. Bezeichnend, dass neben dem glücklosen Trainer Quique Setien nun auch Sportchef Eric Abidal gehen musste.
-
Der neue Coach
Mit dem Fußballer Ronald Koeman hätte Lionel Messi wohl seine Hetz’ gehabt. Der stämmige Niederländer war nicht gerade der schnellste und agilste und wäre vom Argentinier wahrscheinlich schwindlig gespielt worden. Mit dem Trainer Ronald Koeman verhält es sich anders. Der ehemalige Barca-Spieler ist bekannt als harter Hund, der keine Extravaganzen duldet und das laut einem Bericht des argentinischen Online-Portals Diario Olé auch schon kund getan haben soll. „Die Privilegien im Kader sind vorbei, alles muss für die Mannschaft getan werden. Ich werde unflexibel sein, man muss an das Team denken.“
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Teile der Mannschaft für die Barcelona-Legende Xavi stark gemacht haben. Der 40-Jährige, der mit den Katalanen vier Mal die Champions League gewonnen hat, macht beim al-Sadd Sport Club gerade seine ersten Trainererfahrungen, fühlt sich aber noch nicht bereit für dieses Amt. Schon gar nicht in turbulenten Zeiten wie diesen. Xavi wäre es möglicherweise gelungen, Lionel Messi zum Bleiben zu überreden.
-
Ende des Tiki-Taka
Jahrelang dominierte und prägte der FC Barcelona mit seinem Spielstil den europäischen Fußball. Gegen das berühmte Tiki-Taka, dieses formvollendete Kurzpassspiel mit minutenlangen Ballstafetten, schien kein Gegner ein Mittel zu finden. Dank seiner Technik war Lionel Messi neben Xavi und Andres Iniesta der perfekte Spieler für diesen Fußball, der als das Nonplusultra galt und Spanien zu zwei EM-Titeln und dem WM-Triumph verhalf.
Inzwischen hat sich Tiki-Taka überholt. Diese bittere Erfahrung musste neben dem FC Barcelona auch schon die spanische Nationalmannschaft machen. Mit Ballbesitz allein lassen sich international keine Titel mehr gewinnen, die Zauberworte des modernen Fußballs heißen Angriffspressing und schnelles Umschaltspiel. Mit Wucht, Energie und Dynamik wie sie der FC Liverpool oder nun auch der FC Bayern demonstrieren, wird man im europäischen Fußball die Nummer eins.
Der FC Barcelona und Lionel Messi wirken daneben wie ein Relikt aus alten Zeiten. Bezeichnend, dass Barca seit 2015 die Champions League nicht mehr gewinnen konnte und seit damals nur noch einmal das Halbfinale erreichte.
Wo geht die Reise hin?
Lionel Messi will vor allem internationale Trophäen sammeln. In seinen Augen scheinen diese Ziele mit dem FC Barcelona nicht mehr erreichbar zu sein. Wo’s den Argentinier nun hinzieht, ist unklar. An Interessenten mangelt es nicht, auch nicht an Geldgebern, die in der Lage sind, die Gage des 33-Jährigen zu berappen, der in Barcelona 35 Millionen Netto im Jahr verdient haben soll – ohne Prämien wohlgemerkt.
Paris SG, wo sein Kumpel Neymar spielt, könnte sich den Superstar genauso leisten wie Manchester City, wo Ex-Vertrauenscoach Pep Guardiola auf der Bank sitzt, oder Inter Mailand, das einen chinesischen Investor hat.
Doch interessanter als die Frage, wo Lionel Messi künftig spielen wird, ist die Frage: Wie wird er dort spielen.
Kann sich Lionel Messi bei einem anderen Klub ähnlich entfalten wie beim FC Barcelona? Ist er mit seinen 33 Jahren bereit, sich ernsthaft auf einen neuen Spielstil einzulassen?
Beim FC Barcelona hatte sich 15 Jahre lang alles um Lionel Messi gedreht. Er konnte tun und lassen, was er wollte, er hatte auf dem Spielfeld Narrenfreiheit, die richtigen Leute um sich und alles war auf ihn zugeschnitten.
Dem gegenüber stehen seine oft mittelprächtigen Auftritte in der argentinischen Nationalmannschaft. Angesichts seiner Klasse und der vielen hochkarätigen Mitspieler, die bei den besten Vereinen der Welt unter Vertrag stehen, ist es eigentlich erstaunlich, dass Lionel Messi mit Argentinien in all den Jahren keinen Titel gewinnen konnte.
Kommentare