Eine EM in Deutschland, ein Deutscher als ÖFB-Teamchef und viele Fragen dazu. Wer kann die besser beantworten als Dirk Stermann. Der 58 Jahre alte Kabarettist und Autor ist Bundesdeutscher und seit Jahrzehnten Wahlösterreicher, Anhänger (MSV Duisburg) und Fußballer-Papa.
KURIER: Deutschland oder Österreich ist eine öde Frage. Daher vielleicht: Rangnick oder Nagelsmann, wer gefällt Ihnen besser?
Dirk Stermann: Für den Fußball im deutschsprachigen Raum war Rangnick wahnsinnig wichtig. Ich finde, dass er ein Genie ist. Nagelsmann ist ein sehr guter Trainer, aber er hat nicht den Fußball revolutioniert wie Rangnick.
Dennoch hat er nicht immer diesen Respekt oder die Zuneigung in Deutschland bekommen.
Von mir schon. Ich glaube, er hatte immer mit Bayern München Probleme. Wenn du in Deutschland Probleme mit Bayern München hast, dann hast du Probleme im Fußball. Aber es ist ja wohl vollkommen eindeutig. Die Fußball-Spiele seiner Mannschaften sind gut. Überall war das so: In Ulm, Hoffenheim, Leipzig.
Was zeichnet das österreichische Team derzeit aus?
Es wirkt so gefestigt. Früher, auch in besseren Phasen, fehlte dieses Grundvertrauen. Und das brauchst du im Fußball. Fußball ist 90 Prozent Psychologie offensichtlich. Weil gut sind die alle auf dem Niveau. Jeder Aserbaidschaner im Nationalteam spielt super Fußball. Also muss da irgendwas noch dazukommen. Und das ist dann halt sowohl eine Mischung aus Philosophie und Psychologie. Und da ist Ralf Rangnick offensichtlich super.
Was erwarten Sie sich generell von der EM in Ihrem Geburtsland?
Ich hoffe, dass es ohne Dramen abgeht. Da ist ja immer eine latente Gefahr, und zwar von allen Seiten, weil die Leute so durchgeknallt sind. Sportlich finde ich es total interessant, weil ich früher immer zwei, drei Mannschaften getippt habe als mögliche Europameister. Diesmal haben locker acht eine Chance.
Deutschland träumt als perfekter Veranstalter vom Sommermärchen wie bei der WM 2006. Korrigieren Sie mich, aber ich habe den Eindruck, dass Deutschland etwas schlampiger geworden ist.
Das stimmt. Ich komme aus der alten Bundesrepublik und bin 1987 nach Österreich gekommen, da gab es noch Helmut Kohl, den ich immer gehasst habe. Das Ekelhafte an Deutschland war, dass alles immer so perfekt war. Und die Deutschen haben immer auf alle Länder, in denen es nicht so war, verächtlich runtergeschaut. Seit dem Mauerfall ist Deutschland aber genauso.
Ist das nicht sympathisch?
Man ist genauso schlampig, nur ohne dabei cool zu sein wie die anderen. Man ist protestantisch schlampig und das ist eine schlechte Mischung, eine uncoole Mischung. Ein Glück nur, dass man keine Stadien neu bauen musste, weil die wären niemals rechtzeitig fertig geworden oder hätten am Ende das 100-fache gekostet.
Was gefällt Ihnen am Fußball an sich? Was hat Sie im Kindesalter begeistert?
Immer die Emotionen. Ich war mit meinem Opa im Fußballstadion, da war ich ganz klein. Und es war Wahnsinn, dass Tausende Leute dort stehen und alle ganz emotional sind. Du hast im Fußball immer das Gefühl, dass du benachteiligt wirst, also deine Mannschaft. Diese Gefahr lauert immer. Und das bedeutet, dass du emotional immer extrem involviert bist. Mir gefällt aber noch etwas anderes.
Was denn?
Ich finde, dass ein Fußballfeld und ein Stadion architektonisch und grafisch irrsinnig schön sind. Alles ist perfekt, das Grün sowie die weißen Linien und diese merkwürdigen Formen von Halbkreisen. Ich bin immer, wenn ich an einem Fußballstadion vorbeifahre, kurz euphorisiert. Ich liebe Stadien, aber genauso Dorffußballplätze.
Man sah Sie öfter beim Wiener Sport-Club, ein kultiger Underdog aus der dritten Liga. Gefällt Ihnen dieses Image?
Die Idee, die hinter dem Sport-Club steckt, ist schon gut. Dass du antirassistisch bist, gegen Homophobie und so. Das sind Vereine, die muss man schätzen. Was dann aber schon ein bisschen nervig ist, ist diese jahrzehntelange Armut. Ich hab’ diese Tristesse aus nächster Nähe mitbekommen, weil mein Sohn dort angefangen hat. Aber jetzt gibt es ja die konkreten Stadionpläne, und die klingen vielversprechend.
Amateurfußball und Champions League – passt das zusammen?
Der Fußball ist zu perfekt geworden. Bei Manchester City gegen Barcelona hat gefühlt jeder Spieler eine 100-prozentige Passquote. Doch Fußball lebt gerade von den Fehlern, aber die werden immer mehr vermieden bei den Top-Klubs.
In Deutschland hat ein Fan-Protest dafür gesorgt, dass ein Investorendeal der Bundesliga nicht zustande gekommen ist. Ein gutes Zeichen?
Ich mag auch nicht die Idee, dass irgendein saudischer Prinz einen Verein kauft. Ich bin prinzipiell gegen Bayern München, aber immerhin ist das ein autarker Verein, der politisch okay ist. Es ärgert mich, dass ich in dem Punkt Bayern München gut finden muss. Wissen Sie, was ich mal geträumt habe?
Was denn?
Dass Elon Musk, den ich auch ablehne, den MSV Duisburg, meinen Verein, kauft. Und er wollte fünf Milliarden in den Klub stecken. Seine einzige Bedingung war, dass alle Duisburg-Spieler Tesla fahren. Doch die Spieler kamen nicht klar mit den Autos. Das war’s dann mit dem großen Geld.
Welche Spieler gefallen Ihnen?
Michael Gregoritsch und Marko Arnautovic mag ich sehr, weil sie etwas anders sind. Arnautovic ist sowieso eine große Ausnahme. Der hat keine Akademie durchlaufen, ist überall rausgeflogen mit seiner Art und hat es dennoch irgendwie geschafft. Und die Zeiten seiner grenzwertigen Aussagen sind ja auch schon lange vorbei. Aber ich konnte das alles schon irgendwie verstehen.
Was meinen Sie damit?
Der Typ kommt ja aus relativ einfachen Verhältnissen und wird dann ab dem Moment, in dem er Profi wird, auch schon vergleichsweise mit viel Geld überschüttet. 300.000 Euro die Woche oder so in China. Was machst du dann? Wie kannst du da normal bleiben in dem Alter? Dass es einer wie Arnautovic ganz nach oben schafft, ist eine dieser schönen Geschichten. Aber er ist die absolute Ausnahme. Das weiß ich von meinem Bruder, der mir einmal die Augen geöffnet hat.
Inwiefern?
Er war ein hochtalentierter Fußballer und beim MSV Duisburg in der Jugend, als der Klub noch in der ersten Liga spielte. Er hatte auch einen Profi-Vorvertrag. Einmal hat er gemeint, Fußball ist Charles Darwin – ein brutales Ausleseverfahren und das jedes Jahr aufs Neue. Ständig kommt jemand, der dich verdrängen will. Du musst alles geben und gleichzeitig darfst du dich nicht verletzen. Wie sollst du da ein sozialverträglicher, leiwander Typ sein mit Mitte 20? Wissen Sie, wie viele es aus seiner Generation und aus unserer Region mit rund 15 Millionen Menschen geschafft haben zum Fußball-Profi?
Verraten Sie es uns?
Zwei! Und die haben es nur bis zur zweiten Liga gebracht. Das ist doch irre!
Wie war Ihre aktive Zeit?
Die war katastrophal. Weil ich war mit sieben in einem ganz kleinen Dorfklub, aber selbst da nur in der Reservemannschaft. Dafür war ich Kapitän, weil ich als Einziger den Spruch auswendig konnte, mit dem die gegnerische Mannschaft begrüßt werden musste. Danach setzte ich mich sofort auf die Reservebank. Dazu kam, dass irgendwann mein Bruder, der fünf Jahre jünger war, viel besser spielte als ich. Total demütigend. Aber die Lust am Fußball konnte mir das nicht nehmen.
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